17.10.2015FDPFDP

LINDNER-Interview: Baden-Württemberg wird der große Test

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Heilbronner Stimme“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte SASCHA SPRENGER.

Frage: Nach der Wahl 2013 lag die FDP am Boden. Hat die Partei das mittlerweile aufgearbeitet?

LINDNER:Wir haben nach dem guten Ergebnis 2009 Fehler gemacht: Wir haben nicht das Finanzministerium für uns beansprucht und beim Kernversprechen der steuerlichen Entlastung nicht genug erreicht. In dieser Zeit wurde zwar eine gute Finanzpolitik gemacht, aber diese Erfolge gingen nicht mit der FDP nach Hause.

Frage: Wie sehen Sie bisher Ihre Bilanz als Parteivorsitzender?

LINDNER: Die Partei hat sich stabilisiert und weiß wieder, wer sie ist. Vor einem Jahr haben sich laut Umfragen acht Prozent vorstellen können, FDP zu wählen, dieses Jahr sind es bereits knapp 20 Prozent.

Frage: Für wie wichtig erachten Sie die Landtagswahl in Baden-Württemberg im März 2016?

LINDNER:Das wird der große Test für uns. Hier können wir drei Dinge gleichzeitig erreichen. Erstens einen Wechsel in Stuttgart, hin zu einer mittelstandsfreundlicheren Politik. Zweitens wollen wir für die FDP die Trendwende dokumentieren. Und drittens wollen wir ein Signal nach Berlin senden, dass diese sozialdemokratische Politik fast aller Parteien, die sich nur noch graduell unterscheidet, nicht weiter fortgesetzt werden kann.

Frage: Winfried Kretschmann hat sich als Ministerpräsident auch der Wirtschaft angenähert. Kostet seine Beliebtheit im Land die FDP Stimmen?

LINDNER:Die Rhetorik des Ministerpräsidenten und die Politik von Grün-Rot stehen nur in sehr losem Zusammenhang. Herr Kretschmann hat es geschafft, sich zu einer Art baden-württembergischen Bundespräsidenten zu machen. Das mag geschickt sein, ist aber für das Land auf Dauer nicht gut, weil wesentliche Fragen der Wettbewerbsfähigkeit ungelöst bleiben. Ich habe ohnehin den Verdacht, dass sich Kretschmann innerhalb der kommenden Legislaturperiode aus der Politik zurückzieht.

Frage: Sie haben Thomas de Maizière kritisiert, er habe ignoriert, dass Millionen Flüchtlinge kommen könnten. Wäre in dieser Situation aber nicht jeder überrascht gewesen?

LINDNER:Er hätte nicht überrascht sein dürfen. Die Bundespolizei hat bereits Anfang des Jahres gewarnt, dass bis zu einer Million Flüchtlinge kommen könnten. Da hätte man schon anfangen müssen, über ein europäisches Asylrecht zu sprechen, über logistische Vorbereitungen in Deutschland, über den Schutz der europäischen Außengrenzen. All das wurde versäumt.

Frage: Sie fordern eine faire Lastenverteilung in Europa. Wie soll das funktionieren, wenn es Länder gibt, die sich weigern?

LINDNER:Dann macht man es erst einmal ohne die. Diese müssen dann allerdings klar signalisiert bekommen, dass eine EU der Rosinenpickerei keine Zukunft hätte.

Frage: Reicht es, wenn Kanzlerin Merkel ein Machtwort in Brüssel spricht?

LINDNER:Das wäre zumindest ein Anfang. Leider hat die Kanzlerin mit ihrem Zickzack-Kurs in den letzten Wochen die Lage nicht verbessert. Grenzen auf, Grenzen zu, das hat unsere europäischen Partner brüskiert und eine enorme Sogwirkung entfacht. Das war der schwerste Fehler ihrer bisherigen Amtszeit.

Frage: Wie wollen Sie eine solche Völkerwanderung, wie sie gerade stattfindet, überhaupt steuern?

LINDNER:Wir können die Zuwanderungszahlen aus den Krisenregionen reduzieren, indem wir die Auffanglager dort finanzieren und die Situation dort verbessern. Mit jedem Euro, den wir in Deutschland für eine Erstaufnahmeeinrichtung ausgeben, können wir in den europäischen Grenzregionen das Zehnfache erreichen.

Frage: An welchen Stellschrauben würden Sie noch drehen?

LINDNER:Der Westbalkan ist endlich zu sicheren Herkunftsländern erklärt worden, aber das reicht nicht. Wir müssen die Visapflicht für Menschen aus diesen Ländern wieder einführen. Es werden immer noch Zuwanderer, Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge in einen Topf geworfen, obwohl es da Unterschiede gibt. Wir sollten auch für Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Eritrea oder dem Irak darüber nachdenken, dass wir sie hier lediglich dulden, bis der Krieg zu Ende ist. Danach können sie sich immer noch über den Weg der qualifizierten Zuwanderung bewerben.

Frage: Sie sehen Zuwanderung als Chance für den Arbeitsmarkt. Darf man überhaupt so argumentieren, angesichts der Not vieler Menschen?

LINDNER:Wir werden in 30 Jahren noch 30 Millionen Erwerbsfähige haben, heute sind es 42 Millionen. Diese Lücke lässt sich nur über Zuwanderung schließen. Das funktioniert nicht über Familienpolitik. Um das auszugleichen, müsste jede Frau im gebärfähigen Alter im Schnitt sieben Kinder bekommen.

Frage: Sie haben zu zivilem Ungehorsam aufgerufen, wenn Politiker mit erhobenem Zeigefinger zu uns sprechen. Was haben Sie damit gemeint?

LINDNER:Die Menschen werden von der Politik zu sehr drangsaliert. Werbeverbote, Rauchverbot, Dokumentationspflichten. Wir werden teilweise behandelt wie Vierjährige, die ihr Leben nicht selbst steuern können. Ich glaube, dass es an der Zeit ist, der Politik einmal zu sagen, dass wir der Souverän sind.

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