12.03.2014FDPHaushalt

LINDNER-Gastbeitrag für „Handelsblatt Online“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER schrieb für „Handelsblatt Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Eine Politik für die „kleinen Leute“ hat die Große Koalition versprochen. Die nüchternen Zahlen der schwarz-roten Finanzen sprechen eine andere Sprache: die Sozialabgaben steigen, die Steuern bleiben unverändert hoch, die Erhöhung des Kindergeldes ist verschoben und die Tilgung von Altschulden abgesagt. Statt des Versprochenen kommt das Gegenteil: Schwarz-Rot wirtschaftet gegen die arbeitende Mitte unseres Landes. Sich selbst erhöhen die Abgeordneten dagegen die Diäten. Und gerade die Parteien, die so oft Kinderarmut beklagen, laden der jungen Generation immer neue Lasten auf. Dabei bräuchte Deutschland den Mut, der Versuchung des Verteilens zu widerstehen, um seine gegenwärtige Stärke zur dauerhaften Sicherung unseres Wohlstands einzusetzen.

23 Milliarden Euro – diesen Preis hat die Union für ihren Koalitionspartner SPD gezahlt. Denn um 23 Milliarden Euro steigen die geplanten Ausgaben der Großen Koalition bis 2017 gegenüber der bisherigen schwarz-gelben Finanzplanung. Die Investitionen wachsen dagegen nur um 1,8 Milliarden Euro: Konsum heute statt Investitionen für morgen. Die Politik der Großen Koalition ist aus der Balance.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble rühmt sich trotzdem dafür, im nächsten Jahr auf neue Kredite verzichten zu können. Die Rolle des eisernen Schatzministers ist aber nur noch eine Pose. Denn die neue Bundesregierung hat sich die Latte niedriger gehängt. Ursprünglich waren Überschüsse geplant, die zur Tilgung von Altschulden eingesetzt werden sollten. Vorbei. Von der ambitionierten Konsolidierungsstrategie der letzten Jahre haben die Umverteilungspolitiker nur noch die „schwarze Null“ übrig gelassen. Angesichts eines einmalig günstigen makroökonomischen Umfelds ist das zu wenig. Denn wann, wenn nicht jetzt, sollte der Staat mehr einnehmen als er ausgibt?

Aber egal wie die schnell die Steuereinnahmen auch steigen, bei schwarzen und roten Sozialdemokraten sprudeln die Ideen für neue Standsaufgaben und neue soziale Leistungen schneller. Als Liberaler widerspreche ich: Solange der Staat seine jetzigen Aufgaben und sozialen Leistungen nicht dauerhaft ohne Schulden und ohne zusätzliche Belastungen der Bürgerinnen und Bürger finanzieren kann, sollten wir auf neue Ansprüche verzichten. Im Interesse dauerhafter Stabilität von öffentlichen und privaten Kassen. Das wäre ein Gebot der Klugheit und der Generationengerechtigkeit gleichermaßen.

Für seine anders gelagerte Haushaltspolitik muss der Bundesfinanzminister tief in die Trickkiste greifen – und in die Sozialkassen: Noch nie gab es in Deutschland so viele sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse. Mehr als 42 Millionen Beschäftigte zahlen Monat für Monat Beiträge. Sie haben in der Renten- und Krankenkasse für höchste Rücklagen gesorgt. Das Recht sähe in diesem Fall eine Senkung der Rentenbeiträge vor.

Doch Union und SPD haben in einem windigen Verfahren die vorgeschriebene, maßvolle Beitragssenkung um 0,6 Prozentpunkte verhindert. Sie finanzieren mit diesem Geld der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler ihre Wahlversprechen. Politisch war das nichts anderes als eine Enteignung. Wolfgang Schäuble setzt mit der Aufstellung des nächsten Bundeshaushalts diese Taktik fort: Er kürzt den Bundeszuschuss an die Gesetzliche Krankenversicherung, mit dem versicherungsfremde Leistungen abgedeckt werden. Also werden die Versicherten mit Milliardensummen für Aufgaben zur Kasse gebeten, die der Staat zu tragen hätte. Die nächsten Beitragserhöhungen kündigen sich an.

Diese Politik ist feige, denn die Große Koalition verschleiert so die wahren und dauerhaften Kosten ihrer ungedeckten Wohlfahrtsversprechen. Ohne den Griff in die Sozialkassen müsste Wolfgang Schäuble die Kreditaufnahme oder die Steuern erhöhen – das wäre ehrlich! Er wird es spätestens in der kommenden Legislaturperiode nach 2017 tun müssen, denn dann sind die Reserven verbraucht. Zwischenzeitlich geht die Rechnung schon an Millionen Gering- und Normalverdiener, die bald höhere Sozialabgaben tragen müssen. Die angeblich soziale Politik von Roten und Schwarzen ist in Wahrheit also sozial zutiefst unausgewogen. Dagegen wäre eine maßvolle Entlastung bei den Sozialabgaben möglich – das wäre nach Jahren der Lohnzurückhaltung ein Gebot der Fairness. Steigende Beiträge in Zeiten höchster Beschäftigung und voller Kassen entlarven, dass die arbeitende Mitte unseres Landes nur noch Melkvieh der Großen Koalition ist.

Auch vom Versprechen der Union, es werde keine Steuererhöhungen geben, ist nur ein Lippenbekenntnis übrig geblieben. Denn weiterhin profitiert der Fiskus durch die kalte Progression am stärksten von jeder Gehaltserhöhung, während bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kaum mehr in der Tasche bleibt. Nach Berechnungen des Bundesfinanzministeriums selbst wird der Bund bis 2017 etwa 17,5 Milliarden Euro höhere Einnahmen erzielen, weil das Steuersystem nicht an die Preisentwicklung angepasst wird. Die Leidtragenden dieser heimlichen Steuererhöhung durch Unterlassung ist wiederum die arbeitende Mitte in Deutschland.

Inzwischen haben Sozialdemokraten und DGB das Problem erkannt, das sie noch vor einem Jahr geleugnet haben – Respekt! Also wann, wenn nicht in Zeiten höchster Steuereinnahmen, löst Angela Merkel ihr bereits in zwei Wahlkämpfen gegebenes Versprechen ein, die kalte Progression endlich anzugehen?

Unter dem Strich werden Millionen Bürgerinnen und Bürger durch das schwarz-rote Wirtschaften belastet: durch höhere Schulden als nötig, durch höhere Sozialabgaben als nötig, durch höhere Steuern als nötig. Geradezu zynisch ist, dass sich im gleichen Moment die Abgeordneten des Deutschen Bundestages selbst die Diäten kräftig erhöhen. Für ihre Wahlgeschenke erwartet die Große Koalition offenbar noch Lob. Dabei muss man kein Prophet sein, um mit Blick auf diese Politik vom „Fluch der guten Taten“ zu sprechen. Die Konsequenzen tragen ganz sicher die kommenden Generationen.

Ich befürchte, dass man so lange nicht wird warten müssen. Die Schuldenkrise in Europa hat uns belehrt, dass sich falsche Entscheidungen schneller auswirken. Die "guten Taten" der Großen Koalition könnten in wenigen Jahren schon als Bumerang zurückkommen, wenn die gegenwärtige Stärke unseres Landes leichtfertig verspielt wurde. Frankreich sollte Deutschland ein mahnendes Beispiel sein.

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