18.12.2013FDP

LINDNER-Gastbeitrag für „Handelsblatt Online“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER schrieb für „Handelsblatt Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Deutschland hat eine neue Regierung – endlich. Noch nie haben Koalitionsverhandlungen so lange gedauert. Hoffentlich bleiben der neuen Bundesregierung Krisensituationen wie in den vergangenen vier Jahren erspart, in denen schnell entschieden werden muss.

Im Ergebnis war es wenig überraschend, dass die Basis der SPD dem Koalitionsvertrag zugestimmt hat. Denn die Agenda für die kommenden Jahre folgt im Wortsinne einem „roten Faden“. Die Wählerinnen und Wähler der Union können sich dieser Tage nur die Augen reiben: Die CDU/CSU hat die Bundestagswahl gewonnen, aber die SPD die Koalitionsverhandlungen. Der Wahlverlierer setzt einen Richtungswechsel in Deutschland durch. Respekt, Sigmar Gabriel!

Im neuen Bundeskabinett setzt sich diese Gewichtsverteilung fort. Mit den Ressorts für Wirtschaft und Energie sowie Arbeit und Soziales hat die SPD die für den Wirtschaftsstandort Deutschland wesentlichen Bereiche in der Hand – und Zugriff auf die vollen Sozialkassen. Die Union hat ihren wirtschaftspolitischen Einfluss dagegen aufgegeben. Unmittelbar nach der Bundestagswahl hatte man noch Hoffnung, dass sich der Wirtschaftsflügel der Union bestimmend in Richtungsfragen einschalten würde. Man wollte die im Moment vakante Rolle der FDP als ordnungspolitischen Kompass übernehmen. Von einem „Verbrechen andere nächsten Generation“ war mit Blick auf den schwarz-roten Koalitionsvertrag sogar die Rede. Aus den markigen Ankündigungen wurden am Ende im Bundesausschuss der CDU zwei Enthaltungen zum Koalitionsvertrag...

Der alte und neue Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verspottet die Gestaltung von Zukunftsaufgaben in Interviews als „Reformhuberei“. Darunter leiden die Bürgerinnen und Bürger, denn der Verzicht auf die Anpassung des Steuersystems an die Preisentwicklung kostet sie bis 2017 nach Schäubles Schätzung 17,5 Milliarden Euro („kalte Progression“). Es wäre ein Gebot der Fairness, dass diejenigen, die den Aufschwung erarbeitet haben, auch etwas von ihm haben. So profitiert vor allem das Finanzamt.

Endlich bekommt Deutschland einen Energieminister – eine alte Forderung der FDP. Was nutzt aber die Bündelung in einem Ressort, wenn es keinen Gestaltungsehrgeiz gibt? Eine durchgreifende Reform des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) steht nicht auf der Agenda. Stattdessen wird das ohnehin aberwitzige Tempo der Energiewende noch erhöht und statt einem Ende für die Dauersubventionen gibt es neue Subventionen – nun für konventionelle Kraftwerke. Im kommenden Jahr werden durch das EEG 24 Milliarden Euro gepumpt, obwohl die Energie nur einen Marktpreis von 6 Milliarden Euro hat. Die Differenz ist Umverteilung: von der Rentnerin und dem BaFöG-Empfänger zum Solarinvestor. Der mangelnde Reformwille ist inzwischen amtlich dokumentiert, nachdem die Europäische Kommission ein Beihilfeverfahren eröffnet hat. Dringend nötig wären eine europäische abgestimmte Energiepolitik und marktwirtschaftliche Instrumente, um die Kosten unter Kontrolle zu bekommen. Davon ist nichts zu lesen im Koalitionsvertrag.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles kann daran arbeiten, wesentliche Elemente der Agenda 2010 zurückzudrehen. Wichtige und erfolgreiche Flexibilisierungen am Arbeitsmarkt werden eingeschränkt. In der Rentenpolitik nimmt Deutschland Kurs auf Frankreich, denn auch hierzulande kommt nun die „Rente mit 63“. Ökonomen haben dieser Tage errechnet, dass für die gesammelten Rentenbeschlüsse der Großen Koalition Rückstellungen in Höhe von 852 Milliarden Euro zu bilden wären, wenn künftige Generationen dadurch nicht belastet werden sollen. Gegen diese Gefälligkeitspolitik sind die deutschen Haftungssummen aus den Euro-Rettungsschirmen ein Pappenstiel. Angesichts des demographischen Wandels ein fatale Verschiebung von Lasten auf die Zukunft.

Der neue Bundesjustizminister Heiko Maas muss zügig Farbe bekennen. Ihm stehen wichtige Aufgaben ins Haus: Die aktive Verteidigung unserer Bürgerrechte, gerade auch auf europäischer Ebene, ist in Zeiten der NSA-Enthüllungen dringender denn je. Man wünscht ihm eine besonders schnelle Einarbeitung, denn er ist ein auf europäischer und bundespolitischer Ebene noch unbeschriebenes Blatt. Er muss schnell politisches Gewicht gewinnen, um die Union von ihrem Vorhaben abzubringen, alle unsere Kommunikationsdaten auf Vorrat zu speichern. In Europa beginnt schließlich ein Umdenken, das konservative Sicherheitspolitiker in Deutschland noch nicht zur Kenntnis genommen haben.

Eine überraschende Personalie ist sicher Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Ein richtiges Signal – denn für ihre Aufgabe ist das Geschlecht unerheblich. Es wird spannend zu beobachten, ob sie mit ihrer Durchsetzungskraft und ihrer Kommunikationsstärke diese große Aufgabe stemmen wird.

Es ist gut, dass sich jetzt eine Regierung gefunden hat. Als Bürger unseres Landes wünschen wir der Bundeskanzlerin und ihrer Regierung Erfolg. Ihre Arbeit werden wir daran messen, ob sie Deutschland bei der Solidität der Staatsfinanzen, am Arbeitsmarkt und etwa beim Wachstum weiter nach vorne bringt. Wir hoffen, dass es den Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft und Staat am Ende so gut geht wie heute. Kommentatoren aus dem Ausland sehen in Deutschland bereits die „große Stagnation“ am Werk. Es wäre gut, wenn sie nicht Recht behalten würden.

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