23.05.2014FDPEuropa

LINDNER-Gastbeitrag für die „Huffington Post“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER schrieb für die „Huffington Post“ den folgenden Gastbeitrag:

Die Ukraine-Krise ändert unseren Blick auf Europa. Vor vier Jahren, als über das erste Griechenland-Rettungspaket diskutiert worden ist, haben manche das europäische Friedensprojekt als romantisch und als gestrig abgetan. Sie waren bereit, Europas Einigung aufs Spiel zu setzen. Wenn es dazu gekommen wäre, wo stünden wir heute angesichts der Herausforderungen der Ukraine-Krise? Wenn es das Projekt der europäischen Integration nicht schon gäbe, man müsste es jetzt neu begründen. Denn auf die Herausforderungen unserer Zeit kann Europa nur gemeinsam antworten.

Im Europa-Wahlkampf ist es stattdessen zu einer Art politischer Mode geworden, dass die Parteien ihre europapolitische Rhetorik mit Europaskepsis würzen. Es überwiegt allenthalben das „Ja, aber“ zu Europa. Ich sehe darin einen unverantwortlichen Opportunismus, wider besseres Wissen der AfD nachzujagen. Auch wir wissen, dass die Europäische Union Defizite hat. Wir sehen die ungelösten Probleme. Nicht alles, was Europa regelt, ist gut. Nicht alles, was Europa regelt, muss Europa regeln. Wer aber ausschließlich die Defizite sieht, der verliert den Blick für das Wesentliche.

Uns Europäer verbindet mehr als die Währungsunion und der Binnenmarkt, mehr als Geld und Bürokratie. Theodor Heuss hat einmal gesagt, Europa sei gebaut auf drei Hügeln: Golgatha, Akropolis und dem Kapitol in Rom. Mit anderen Worten: wir in Europa teilen die gleichen Werte – Individualität, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft. Wenn wir diesen „way of life“ für die Zukunft behaupten wollen, dann wird uns das nur gemeinsam gelingen. Deshalb ist jetzt die Zeit vom „Ja, aber“ zum „Ja, weil“ zu kommen. Europa ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung:

Ja zu Europa, weil wir Frieden und Stabilität nur gemeinsam bewahren können. Die EU steht für die Herrschaft des Rechts und für die Überwindung von historischen Rivalitäten. Gemeinsam müssen wir uns mit diesen Werten und geteilten Interessen zum Beispiel um ein neues Verhältnis zu Russland bemühen. Jetzt wäre auch die Zeit für einen weiteren Schritt in Richtung einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, die das teure Nebeneinander von ineffektiven Strukturen auflöst – mit dem Fernziel einer gemeinsamen europäischen Armee.

Ja zu Europa, weil wir unsere Daten nur gemeinsam schützen können. Wenn wir Deutschen dem Machtanspruch von NSA und Google allein gegenüberstehen, sind wir ohne Einfluss. Wenn wir Europäer aber gemeinsam verhandeln, dann können wir nicht ignoriert werden. Es ist Zeit für ein Projekt der digitalen Emanzipation Europas von den USA. Dazu gehört ein zukunftsfestes Datenschutzrecht – die aktuelle Datenschutz-Verordnung der EU aber ist dagegen von 1995, als Google noch gar nicht gegründet war. Statt überkommene Strukturen zu subventionieren sollte die EU zudem eine Forschungs- und Innovationsinitiative initiieren, um Europa zum Weltmarktführer für Datensicherheit zu machen.

Ja zu Europa, weil wir einen europäischen Energiebinnenmarkt brauchen. Wer kann mir erklären, warum ich zwar ein Buch aus Luxemburg bestellen kann, mir aber nicht den günstigsten Energieversorger in Europa aussuchen darf? 13 Milliarden Euro hätten die Verbraucher alleine im Jahr 2012 sparen können, wenn es in Europa Wettbewerb in der Energiepolitik gegeben hätte. Deshalb brauchen wir weniger provinzielle Planwirtschaft, sondern mehr europäische Marktwirtschaft. Denn Wettbewerb, Liberalisierung und Wahlfreiheit sind es, die am Ende Preise senken und Versorgungssicherheit schaffen.

Ja zu Europa, weil wir den Euro nur gemeinsam stabilisieren können. Eine gemeinsame Währung braucht Regeln – die Schuldenpolitik einzelner Staaten darf die Eurozone nicht noch einmal in Gefahr bringen. Der Stabilitätskurs zeigt erste Erfolge, er muss fortgesetzt werden. Die Bundesregierung aber macht das Gegenteil, etwa wenn sie nachsichtig gegenüber neuen Schulden von Frankreich ist oder wenn sich die Spitzenkandidaten von Union und SPD die Vergemeinschaftung von Schulden durch Eurobonds vorstellen können. Zu verhindern, dass die Verbindung von Solidität und Stabilität relativiert wird – das gelingt nur gemeinsam.

Jetzt ist die Zeit, um den Blick zu schärfen. Wir müssen Europa besser machen – marktwirtschaftlicher, bürgernäher, transparenter. Aber wir dürfen nicht das abwickeln, wofür unsere Großväter und Väter jahrzehntelang gestritten haben. Andere plakatieren „Mut zu Deutschland“. Die Fragen der Zukunft erfordern dagegen „Mut zu Europa“.

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