05.06.2013FDPInnenpolitik

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER -Interview für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung"

Berlin. Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Bundesjustizministerin SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER gab der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten JOACHIM JAHN und REINHARD MÜLLER:

Frage: Frau Ministerin, die Legislaturperiode neigt sich langsam dem Ende entgegen. Mit welchen Ihrer Vorhaben sind Sie gescheitert?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Wir haben die Rückkehr zu einer grundrechtsorientierten Rechtspolitik geschafft, von der Stärkung der Bürgerrechte über das Familienrecht bis zum Insolvenzrecht. Achtzig Prozent des Koalitionsvertrages sind umgesetzt. Und wir sind jetzt noch bei einigen Themen auf der Zielgeraden, etwa im Patent- und Kostenrecht. Ich hätte nicht gedacht, dass uns die grundlegende Reform der Sicherungsverwahrung gelingen würde. Das heißt aber nicht, dass wir nicht in der nächsten Legislaturperiode auch noch Einiges zu tun hätten. Dazu gehört die komplette rechtstaatliche Renovierung unserer Sicherheitsarchitektur genauso wie Reformen in der Gesellschaftspolitik, etwa die volle Gleichstellung der Eingetragenen Partnerschaft.

Frage: Sie haben einmal gesagt, die Union sei nicht der geborene Partner der FDP. Heißt das: Das, was Sie bisher nicht geschafft haben, ist durch die Union verhindert worden?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Nein. Es gibt aber keine geborenen Partner. In einer Koalition muss man sich zusammenfinden, auf der Grundlage seiner eigenen Programme und Wertvorstellungen. Das wird an konkreten Themen deutlich. So wird es auch mit der Union in der nächsten Legislaturperiode sein.

Frage: Sie haben gerade mit Blick auf die von der Union versprochenen Wahlgeschenke geäußert, ein Rest von Freiheit auch für Investoren müsse bleiben. Das hört sich so an, als sei auch unter ihrer Herrschaft die Freiheit ziemlich eingedampft worden?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Wir haben eine Mietrechtsreform verabredet und den Ländern die Möglichkeit gegeben, in bestehenden Mietverhältnissen eine Deckelung bei der Anhebung der Mieten vorzusehen. Das haben wir gemacht mit dem Blick auf ganz wenige Ballungsräume und deshalb müssen nun die Länder entscheiden. Das halte ich aber für absolut ausreichend. Wir wollen keine generelle Preisregulierung im Mietrecht. Erbitterter Gegner dieser Regelung war bis zum Schluss mein Kollege Ramsauer im Kabinett. Wir wollen keine Mietpreisdeckelung auch noch beim Mieterwechsel in Bestandswohnungen, wie es Frau Merkel soeben gefordert hat. Unser Kompromiss - eine Deckelung von 15 Prozent nur in laufenden Verträgen in Ballungsgebieten - reicht aus. 60 Prozent aller Mietwohnungen gehören ja Kleinvermietern. Wir dürfen Investoren nicht die Anreize für Investitionen in den Wohnungsbau nehmen; der Staat kann diese Aufgabe nicht allein übernehmen.

Frage: Sie haben sich für die Integration stark gemacht, aber auch für die Sicherheit. Muss Ihr Amt mehr Kompetenzen bekommen, wie das etwa in Hessen schon der Fall ist? Ein Superminister für den Bund?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Hessen ist hier in der Tat ein Vorbild für den Bund. Integration ist mit vielen Rechtsfragen verbunden. Die FDP will ja auch die doppelte Staatsangehörigkeit in größerem Umfang zulassen, als das derzeit der Fall ist. Wir wollen eine beschleunigte Einbürgerung, wir wissen, dass wir einen Riesenfachkräftemangel haben. Ja, wir brauchen ein Bundesministerium für Justiz und Integration.

Frage: Warum nicht gleich auch für Extremismus?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Das muss nicht sein. Aber ich will natürlich neue gesetzliche Regelungen für V-Leute schaffen: Da ist die zentrale Liste von Bund und Ländern nur ein Anfang.

Frage: Zudem haben Sie einen Beauftragten für Rechtsextremismus gefordert. Sie halten also insoweit das Innenministerium für überfordert?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Da geht es um den ganzen Bereich der Prävention, die Förderung von Projekten. Wir sind gut beraten die vielen verschiedenen Projekte im Kanzleramt zu bündeln, wo wir ja auch die Integrationsbeauftragte haben.

Frage: Udo Di Fabio hat darauf hingewiesen, Deutschland müsse notfalls aus der Währungsunion austreten. Wann wäre denn für Sie die rote Linie erreicht?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Jetzt sehen wir erst mal einem wirklich interessanten Hauptsacheverfahren beim Bundesverfassungsgericht zum ESM-Vertrag und zur EZB entgegen. Aber wenn mehr grundlegende Kompetenzen nach Europa übertragen werden, dann haben wir ein Problem. Brüssel muss nicht die Ölkännchen in Restaurants oder die Frauenquote in Konzernvorständen regeln.

Frage: Aber muss Deutschland austreten, wenn in der Währungsunion permanent gegen geltendes Recht verstoßen wird?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Natürlich ist die EU eine Rechtsgemeinschaft. Wir müssen darauf achten, dass die Regeln eingehalten werden.

Frage: Brauchen wir ein Kompetenzgericht?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Der Europäische Gerichtshof ist verstärkt darum bemüht, auch die Rechte der Mitgliedstaaten zu achten. Und wir haben ja noch das Bundesverfassungsgericht.

Frage: Eine Zeitlang galt die Piratenpartei als besondere Konkurrenz für die FDP, nun ist es möglicherweise die "Alternative für Deutschland" (AfD). Ist das eine Bedrohung für die Freien Demokraten?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Ich nehme alle politischen Parteien ernst - auch die, die neu entstehen. Von der AfD muss sich die FDP inhaltlich klar abgrenzen. Denn was hier als Alternative bezeichnet wird, ist eine Sackgasse: Den Euro zu verlassen oder andere Länder dazu aufzufordern, bedeutet für Deutschland als Exportland einen Verlust an Wohlstand und Arbeitsplätzen.

Frage: Sie haben sich kürzlich in den Streit zwischen BGH-Präsident Tolksdorf und Bundesrichter Fischer eingeschaltet. Sind Sie unter dem Eindruck medialen Drucks umgekippt?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Nein. Aber die Lage war verfahren. Es sind viele Gespräche geführt worden. Jetzt sind wir zu einem guten Ergebnis gekommen.

Frage: Woher kam Ihr Sinneswandel?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Es gab keinen, wir haben einen Ausweg aus der verworrenen Lage finden müssen.

Frage: Der Europäische Gerichtshof hat soeben Schweden zu einer Millionenstrafe verurteilt, weil das Land die Vorratsdatenspeicherung zu spät eingeführt hat. Gibt Ihnen das zu denken angesichts Ihrer beharrlichen Weigerung, die entsprechende EU-Richtlinie in Deutschland umzusetzen?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Deutschland hat nach geltendem Recht bereits Teile umgesetzt. Für meinen weiter gehenden Vorschlag gab es mit der Union keinen Konsens. Außerdem steht mittlerweile am EuGH ein ganz grundlegendes Verfahren an, in dem die Richtlinie erstmals inhaltlich am Maßstab der Europäischen Grundrechtecharta und des Grundrechts auf Datenschutz geprüft wird. Die Europäische Kommission muss außerdem endlich einmal die Erfahrungen mit der Vorratsdatenspeicherung auswerten. Ein erster Bericht aus Dänemark wirft einen sehr kritischen Blick darauf, was damit überhaupt für die Terrorismusbekämpfung erreicht werden konnte.

Frage: Seit geraumer Zeit suchen Sie händeringend einen neuen Vorsitzenden für die Regierungskommission, die den Deutschen Corporate Governance Kodex erarbeitet. Warum ist das so schwer - muss man da Konsequenzen für das Konzept ziehen?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Die Arbeit der Kommission ist eine einzige Erfolgsgeschichte. Gerade dem Selbstverständnis der Liberalen entspricht es, möglichst durch Selbstregulierung Verhalten in der Wirtschaft zu steuern und nicht zuallererst immer nach dem Gesetzgeber zu rufen. Um die Stellung der Eigentümer im Aktienrecht zu stärken, haben wir jetzt lediglich eine Gesetzesinitiative ergriffen, um der Hauptversammlung das letzte Wort über das jeweilige Vergütungssystem der Manager zu geben. Der jetzige Vorsitzende der Kommission, Klaus-Peter Müller, macht seine ehrenamtliche Arbeit ganz herausragend. Die Gespräche über seine Nachfolge werden derzeit geführt. Es ist eine Organisation von der Wirtschaft für die Wirtschaft, deshalb sollte der Staat nicht die Finanzierung übernehmen.

Frage: Der Bundestag hat eine Erhöhung der Anwaltshonorare beschlossen, die Bundesländer haben aber Bedenken. Rechnen Sie damit, dass der Bundesrat den Vermittlungsausschuss anrufen wird?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Danach sieht es aus. Uns alle eint, dass wir auf jeden Fall die große Reform der gesamten Justizkostenmodernisierung in dieser Legislaturperiode abschließen wollen. Wir haben auch eine Anhebung der Gerichtsgebühren beschlossen. Der Zugang zum Recht muss für jeden Bürger erhalten bleiben. Wir werden für den Fall eines Vermittlungsverfahrens über verschiedene Punkte miteinander verhandeln.

Frage: Die Anwaltsorganisationen fordern eine Möglichkeit für Rechtsanwälte, ihre Haftung stärker zu begrenzen. Die Koalitionsspitzen haben sich längst darauf geeinigt - klappt das denn nun auch?

LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER: Da bin ich sehr zuversichtlich, dass wir dies noch im Juni verabschieden können. Geplant ist die Einführung einer "Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung": Das ist nur eine weitere Option zu den verschiedenen Gesellschaftsformen, zwischen denen die Freiberufler jetzt schon wählen können. Verbunden ist die neue Variante mit einer Versicherungspflicht von zwei Millionen Euro: Dadurch haben Mandanten eine bessere Absicherung bei etwaigen Forderungen gegen ihren Anwalt.

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