07.05.2014FDPEuropa

LAMBSDORFF/REHN-Doppelinterview für die „Rheinische Post“

Berlin. Der Spitzenkandidat zur Europawahl und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF und der ALDE-Spitzenkandidat zur Europawahl und Kommissar für Wirtschaft und Währung OLLI REHN gaben der „Rheinischen Post“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Doppelinterview. Die Fragen stellte ANJA INGENRIETH:

Frage: Herr Rehn, Sie haben als Währungskommissar eine Schlüsselfunktion im Kampf gegen die Schuldenkrise. Ist sie überstanden?

REHN: Das Schlimmste ist vorbei. Die Währungsunion ist nicht mehr in der Gefahr auseinanderzubrechen. Aber wir sind noch nicht über den Berg und müssen national wie europäisch auf Reform und Konsolidierungskurs bleiben. Der Schwerpunkt muss sich nun vom akuten Krisenmanagement und institutionellen Veränderungen hin zu konkreten Maßnahmen für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Jobs verschieben – wie eine Vollendung des Binnenmarkts für Energie und Telekommunikation.

Frage: Frankreich kommt beim Abbau der Neuverschuldung kaum voran. Sollte Paris von der EU mehr Zeit für den Defizitabbau bekommen? Ihr sozialdemokratischer Konkurrent Martin Schulz ist dafür ...

REHN: Ich halte es für das völlig falsche Signal an die Märkte und an die Menschen, Frankreich mehr Zeit zum Defizitabbau zu geben. Paris hat bereits zweimal eine Verlängerung bekommen. Das reicht. Frankreich muss im eigenen Interesse reformieren und sparen, denn es hinkt bei Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit hinterher.

LAMBSDORFF: Wir sind auch in die Krise geraten, weil Deutschland und Frankreich 2003 den Euro-Stabilitätspakt aufgeweicht haben, um Defizitverfahren gegen ihr Land abzuwenden. Wir wären verrückt, den gleichen Fehler nun wieder zu begehen. Wir haben neue, scharfe Stabilitätsregeln – und die müssen für alle gleichermaßen gelten.

Frage: Also kein sozialerer Sparkurs, wie ihn Martin Schulz will?

REHN: In Deutschland tut Martin Schulz so, als sei er für Stabilitätskultur, in Südeuropa fordert er schuldenfinanzierte Konjunkturpakete. Das passt nicht zusammen. Wenn eine höhere Neuverschuldung wirklich Wachstum stimulieren würde, müssten Frankreich und Italien die Wachstumschampions der EU sein. Das sind sie bekanntlich nicht.

Frage: Selbst der konservative Spitzenkandidat für die Europawahl, Jean-Claude Juncker, hält manche Reform-Auflagen, die er als Eurogruppenchef mit beschloss, nun für zu hart ...

REHN: Erstens: Die Auflagen für die Krisenstaaten haben den Wohlfahrtsstaat nicht ausgehebelt. Zweitens: Die beste soziale Sicherung ist ein Job. In den Ländern, die rigoros reformiert haben – wie Irland und Lettland, aber zunehmend auch Spanien und Portugal – wächst die Wirtschaft wieder und die Arbeitslosigkeit sinkt. In Irland liegt die Joblosenquote nun sogar unter dem Durchschnitt der Eurozone. Reformen zahlen sich aus. Sie unter sozialen Vorbehalt zu stellen, ist nicht der richtige Weg.

Frage: Griechenland hat zwar einen Primärüberschuss erreicht. Doch der Schuldenberg ist immer noch der höchste aller EU-Länder. Kommt das Land ohne weitere Hilfe auf die Beine?

REHN: Griechenland hat bisher keine weitere Hilfe angefragt. Also ist das Thema auch nicht auf der Agenda. Die Wirtschaft wächst wieder und Athen konnte sogar am Markt erfolgreich Staatsanleihen platzieren. Es geht aufwärts.

Frage: Schließen Sie einen zweiten Schuldenschnitt aus?

REHN: Ich habe mir abgewöhnt, irgendetwas Definitives über Griechenland zu sagen. Die Schuldentragfähigkeit ist zweifellos ein Problem. Aber klar ist auch: Aussagen darüber sind genauso viel Kunst wie Wissenschaft. Denn sie hängen extrem davon ab, welche Wachstumsraten man zugrunde legt.

LAMBSDORFF: Der Reformdruck auf Griechenland muss aufrecht erhalten werden. Die jüngste Kritik im Europaparlament an der Troika halte ich daher für verfehlt. Ebenso wie die Diskussion über neue Hilfen zum jetzigen Zeitpunkt.

Frage: Verbraucherschützer und linke Parteien machen im Wahlkampf gegen ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA mobil, weil sie sinkende Schutzstandards etwa bei Lebensmitteln fürchten. Zu Recht?

LAMBSDORFF: Wenn die linken Parteien wirklich etwas gegen die viel zu hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa tun wollen, sollten sie für das Freihandelsabkommen kämpfen und nicht dagegen. Der Vertrag eröffnet einen riesigen Absatzmarkt für europäische Lebensmittel – von griechischem Feta bis zu italienischem Wein. Die kann sich ein normaler Amerikaner zurzeit kaum leisten. Viele dieser Produkte kommen aus den Krisenländern und könnten dort Jobs bringen.

Frage: In der Ukraine-Krise erhöhen die USA und die EU den Druck auf Russland – mit mäßigem Erfolg. Ist es nicht Zeit für Wirtschaftssanktionen, um Putin zu stoppen?

REHN: Die Lage ist sehr ernst und die EU muss unbedingt zusammenhalten. Es gibt Vorbehalte gegen Wirtschaftssanktionen, weil nicht alle Länder gleich stark von den Folgen betroffen wären. Das können wir nicht ignorieren. Die bisherigen Strafmaßnahmen zeigen Wirkung. Russlands Wirtschaft ist in der Rezession und die Märkte sanktionieren Moskau längst. Die Bonität liegt knapp über Ramschniveau. Wir müssen den Druck aufrecht erhalten und gleichzeitig an einer diplomatischen Lösung des Konflikts weiterarbeiten. Aber wir sollten uns keine Illusionen machen, was Putins Verhältnis zum Westen angeht. Er will der Master einer Eurasischen Union werden. Europa muss sich auf eine lange Phase der Spannungen zu Russland einstellen.

LAMBSDORFF: Wenn Putin seine Eskalationspolitik weiter treibt – und etwa die Wahlen am 25. Mai gestört werden – muss es Wirtschaftssanktionen geben. Das würde auch die deutsche Wirtschaft mittragen. Denn wir können einen so massiven Angriff auf unsere freiheitliche westliche Ordnung nicht zulassen. Ich bezweifele aber, dass die Bundesregierung ausreichend auf die Folgen vorbereitet ist – etwas was die Versorgungssicherheit angeht. Warum etwa hat Deutschland immer noch kein Flüssiggas-Terminal?

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