14.09.2016FDPEuropa

LAMBSDORFF-Interview: Wir brauchen keine Symbolpolitik, sondern Substanzpolitik

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „SWR2“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte MARIE GEDIEHN:

Frage: Die Lage der EU – haben Sie sie in Ihrer politischen Karriere schon mal dramatischer erlebt?

LAMBSDORFF: Nein. In meiner Laufbahn nicht in den letzten 12 Jahren im Europäischen Parlament. Es hat in der Vergangenheit schon schwerere Krisen gegeben. Frankreich hat mal irgendwann beschlossen, gar nicht mehr mitzumachen 1966. Aber so wie es jetzt aussieht, das ist schon eine ganz eigenartige Situation.

Frage: Schauen wir auf dieses Jetzt: Kommissionspräsident Juncker hat in seiner erste Rede zur Lage der Union schon vergangenes Jahr konstatiert, die EU befinde sich in keinem guten Zustand. Es mangele an Europa und an Union. Jetzt kann man ja eigentlich nicht tiefer sinken als EU. Sehen Sie denn heute bei der Rede oder auch am Freitag beim Gipfel eine echte Chance das Ruder rumzureißen?

LAMBSDORFF: Es sind ja einige Entscheidungen gefallen im vergangenen Jahr seit der letzten Rede. Man mag den Brexit bedauern, und ich tu das persönlich und ich tu das politisch als Liberaler, das liegt ja auf der Hand. Aber: Man muss im Brexit auch die eine oder andere Chance sehen. Denn die Briten haben bisher Dinge blockiert, wo es sinnvoll wäre, wir würden Dinge auch gemeinsam machen. Ich nenne mal nur ein Beispiel und das ist die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Da können wir ohne die Briten sicher mehr erreichen zusammen, denn bisher hat da die Kooperation einfach auch dran gehakt, dass England nicht mitmachen wollte. Also wir müssen schauen, wo sind Anknüpfungspunkte, wo man etwas erreichen kann, etwas gemeinsam tun kann und dann muss da tatsächlich auch etwas passieren.

Frage: Jetzt haben Sie auch die Sicherheit schon genannt als Stichwort, schauen wir drauf: Terrorismus und Einwanderung, so kann man es auch umschreiben, das sind auch einer Umfrage zufolge die dringendsten Probleme aus Sicht der EU-Bürger. Also offenbar eine Möglichkeit als EU sich zu beweisen. Warum sollte das denn jetzt funktionieren?

LAMBSDORFF: Ich glaube das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Sicherheit ist genau das, wofür die Europäische Union jetzt in der Lage ist, auch zu liefern. Also nehmen wir mal das Beispiel Zuwanderung und die Sicherung unserer Außengrenzen. Die Mitgliedstaaten haben Frontex mit einigen Stellen mehr ausgestattet. Frontex, das ist die Behörde, die sich um unsere Außengrenze kümmert. Aber wir sagen vom Europäischen Parlament aus, und wir sagen das auch von der FDP ganz klar aus, wir brauchen mit Frontex einen echten europäischen Grenzschutz. Es reicht nicht das, was die Regierungen bisher beschlossen haben. Hier werden wir den Finger in die Wunde legen und sagen „nein“, es muss eine echte europäische Behörde werden. Und das Gleiche gilt beim Terrorismus für Europol, die dürfen bisher auch nur koordinieren, was die Mitgliedstaaten tun, aber dürfen selber nicht ermitteln. Wir brauchen aber eine eigene europäische Ermittlungsbehörde, damit die Sicherheit für die Menschen wächst beim Kampf gegen den Terrorismus.

Frage: Jetzt haben Sie gerade aber schon beides genannt. Nämlich, dass was Sie als EU-Parlament fordert, fordern wollen, fordern werden und auch schon gefordert haben. Nur das was die Mitgliedstaaten machen, steht eben auf einem völlig anderen Blatt. Warum sollte sich dran auch in dieser Woche durch einen Ruck, egal ob auf einer Rede oder einem Gipfel etwas ändern?

LAMBSDORFF: In Europa ändern sich die Dinge nie über Nacht oder durch einen Ruck oder ganz schnell. Europa ist ein großer Tanker. Es wird dauern, aber was mich ärgert, das sage ich ganz offen ist, wenn sich beispielsweise Vertreter der deutschen Bundesregierung hinstellen und nach der Entscheidung zum Beispiel jetzt bei Frontex erklären, jetzt habe man aber wirklich einen europäischen Grenzschutz geschaffen. Die Zeitungen schreiben das, die Menschen glauben das und sind dann enttäuscht, wenn sie feststellen, ach, das war ja gar nicht so. Das ist Symbolpolitik. Wir brauchen aber keine Symbolpolitik, wir müssen hin zur Substanzpolitik. Es müssen substanzielle Fortschritte erzielt werden und darauf zu drängen, das ist unsere Aufgabe als Europäisches Parlament und das wird auch die Aufgabe von Jean-Claude Juncker sein, hier die Mitgliedstaaten zu ermahnen, endlich richtige Fortschritte zu machen.

Frage: Was wäre dann am Freitag analog dazu die Aufgabe von Ratspräsident Tusk und auch den Mitgliedsstaaten: darauf Taten folgen zu lassen? Wie kann das aussehen? Oder sind wir dann genau in der Falle der drohenden Enttäuschung?

LAMBSDORFF: Wir sind potentiell in dieser Falle. Das ist in ein schöner Ausdruck, den Sie da gewählt haben, in der Falle der Enttäuschung. Aber, ich glaube, dass die Umfrage, die Sie eben zitiert haben ja zeigt, dass die Menschen in Europa, auch bei uns in Deutschland erwarten, dass es echte Fortschritte gibt. Nehmen wir mal das Beispiel des Terrorismus. Ein Terrorist landet in Bratislava, kauft sich Waffen aus dem Darknet vielleicht in Stuttgart, bezieht eine Wohnung in Brüssel und schlägt in Paris zu. Das ist eine europäische Situation. Aber unsere Sicherheitsbehörden sind immer noch national aufgestellt. Wenn Europol gemeinsam mit unseren nationalen Polizeien ermitteln könnte, dann würden endlich die verschiedenen Punkte zu einem Gesamtbild zusammengefasst. Man könnte den Terrorismus viel besser bekämpfen und das müssen die nationalen Regierungen verstehen, über ihren Schatten springen und echte Fortschritte ermöglichen.

Frage: Der luxemburgische Außenminister Asselborn hat für Wirbel gesorgt gestern. Offenbar auch sehr bewusst in genau dieser Woche mit seiner Ungarn-Provokation. Bei aller Zurechtrückung oder auch Rechtfertigung, eine Frage bleibt am Ende mit der Bitte um eine kurze Einschätzung: Ist die EU tatsächlich noch eine Werte- oder wie Sie es auch gerade angesprochen haben, Richtung Sicherheit, eine Zweckgemeinschaft?

LAMBSDORFF: Nein, sie ist immer noch eine Wertegemeinschaft. Es gibt über die Auslegung und die Priorisierung einzelner Werte Streit. Ich kritisiere als Liberaler Viktor Orban auch für manches, was er zu Hause in Ungarn tut, aber soweit zu gehen, dass man sagt, Ungarn soll die Union verlassen und das von einem Mann, der gleichzeitig mit der Türkei über den Beitritt verhandeln will, also Herr Asselborn, das halte ich für falsch. Wir müssen geduldig miteinander arbeiten. Dieser Kontinent braucht die Europäische Union als Werte- und eben auch als Zweckgemeinschaft, die Dinge gemeinsam erreicht.

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