23.05.2016FDPAußenpolitik

LAMBSDORFF-Interview: Wenn es Rabatte gibt, dann keine volle Visumsfreiheit

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „ZDF-Morgenmagazin“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte MITRI SIRIN:

Frage: Gestern hat Frau Merkel sich in der Türkei mit Journalisten getroffen, auch mit Menschenrechtlern. Eindeutiger geht es ja eigentlich nicht vor dem heutigen Gespräch mit Erdogan, oder?

LAMBSDORFF: Na ja, das ist ja auch richtig, dass sie das tut. Also diese Bilder, die wir gerade gesehen haben von ihrem Besuch bei Erdogan zwei Wochen vor der Wahl mit diesen goldenen Thronen, das war Wahlkampfhilfe für Erdogan. Und das haben natürlich die ganzen Bürgerrechtler, die Journalisten überhaupt nicht gut gefunden. Und das kann man auch verstehen. Deswegen gut, dass sie sich gestern endlich mit denen getroffen hat.

Frage: Nun gibt es trotzdem viel Kritik an ihrer Politik, an dem Flüchtlingsdeal mit der Türkei, an dem Gebaren von Erdogan und dass man das deutlicher ansprechen muss. Gibt es eine Alternative zur Flüchtlingspolitik von Angela Merkel beziehungsweise der von der EU?

LAMBSDORFF: Also wir sagen als FDP ganz klar: Es ist völlig in Ordnung, dass man mit der Türkei so einen Deal macht. Es ist so, dass zwischen Syrien und der Europäischen Union exakt ein Land liegt. Und das ist die Türkei. Das heißt, man muss mit der Türkei zusammenarbeiten. Aber das heißt ja nicht, dass man nicht in der Sache auch klare Kritik üben kann, zum Beispiel wenn die Immunität von Abgeordneten aufgehoben wird, massenweise gleich, wenn Journalisten ins Gefängnis geworfen werden, wenn im Südosten der Türkei gegen die Kurden wirklich in völlig unangemessener Weise vorgegangen wird. Das sind alles Dinge, die müssen angesprochen werden. Aber trotzdem, eine pragmatische Zusammenarbeit mit der Türkei, da führt kein Weg dran vorbei.

Frage: Dann greife ich das noch einmal auf, was sie gerade gesagt haben. Sie warnen vor einem Rechtsstaatrabatt für Ankara. Es geht da um die türkischen Anti-Terror-Gesetze, die jederzeit Journalisten oder Kritiker in den Knast bringen können. Ist das für Sie der Hauptknackpunkt für ein Entgegenkommen?

LAMBSDORFF: Bei den Visumsfreiheitskriterien, da ist das ja dabei, diese Änderung des Anti-Terror-Gesetzes. Und das muss man sich mal klarmachen, auch vielleicht für die Zuschauer ganz wichtig. Wenn Sie einen Tweet absetzen oder einen Artikel schreiben, also ganz friedlich, ohne irgendwie zur Gewalt aufzurufen, und schreiben, „den Kurden geht es schlecht“ oder „Wir müssen irgendetwas tun, damit wir in Syrien eine andere Lage hinkriegen“, das kann schon ausreichen, dass Sie als Unterstützer einer terroristischen Vereinigung vor Gericht gezerrt werden. Also mit anderen Worten: Das hat mit Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. Das steht alles in diesen Terror-Gesetzen drin. Deswegen müssen die geändert werden.

Frage: Entweder Ihr reformiert Eure Anti-Terror-Gesetze oder es gibt keine Visafreiheit, sollte Angela Merkel das in dieser Deutlichkeit formulieren?

LAMBSDORFF: Also wir sagen, es muss einen Kompromiss geben. Es muss hier eine klare Debatte geben. Erstmal kann das Ganze nicht so schnell übers Knie gebrochen werden, wie die Bundeskanzlerin das vorhatte. Die wollte ja, dass wir im Juni schon komplette Visumsfreiheit machen. Wir sagen, lasst uns doch erst mal anfangen mit Geschäftsleuten, mit Akademikern, mit Künstlern, mit Studenten. Man kann hier eine ganze Menge tun, ohne gleich die Schleusen komplett aufzumachen. Und ich glaube, das ist der richtige Weg, dass wir auch den Menschen in der Türkei helfen. Denn eins ist klar: Es ist nicht einzusehen, warum so viele Türkinnen und Türken immer vor den Konsulaten Schlange stehen müssen für ein Visum, die fahren ja weit überwiegend immer wieder zurück. Da sind Erleichterungen schon okay, aber nicht gleich für alle. Das wäre jetzt das falsche Signal.

Frage: Aber auf diesen Kurs scheint die Bundesregierung ja eingeschwenkt. Wir lesen heute Morgen in der Zeitung, man rechnet, dass das mit der Visafreiheit der Türken in diesem Jahr sowieso nichts wird, sondern erst 2017.

LAMBSDORFF: Das zeigt ja vielleicht, dass die Kritik aus der Opposition, sogar aus der außerparlamentarischen Opposition in unserem Fall, auch gehört wird. Ich glaube, wenn wir jetzt zu einer vernünftigen Verhandlungsposition kommen, wo ein Kompromiss bei rauskommt, von dem beide Seiten was haben und vor allem die Menschen was haben, dann wäre das ja noch ein ganz gutes Ergebnis einer sehr vertrackten Situation.

Frage: Aber ganz ehrlich, wo verläuft denn die Linie oder die Grenze zwischen dem Wahren von politischen Interessen, eben dem Flüchtlingsdeal, der auf jeden Fall durchgeführt werden soll und bis jetzt klappt das ja relativ gut, und auf der anderen Seite dem Hochhalten von europäischen Werten und Rechtsstaatlichkeit?

LAMBSDORFF: Das ist immer eine Abwägung. Aber eines ist klar: Eine volle Visumsfreiheit für die gesamte Türkei, die kann es nicht geben, wenn es gleichzeitig Rabatte gibt. Das hat die Kanzlerin ganz klar gesagt. Da sagen wir als Europaparlament auch glasklar: Wenn es Rabatte gibt, dann gibt es auch keine volle Visumsfreiheit. Wir müssen ja zustimmen. Ohne unsere Zustimmung findet das nicht statt. Aber unterhalb dessen, dass man Kompromisse macht, die wirklich eine konkrete Verbesserung bringen, da kann man miteinander reden. Denn ich sage es noch mal: Es spricht nichts gegen einen respektvollen Umgang, eine pragmatische Zusammenarbeit zwischen Europa und der Türkei. Unsere Schicksale sind nun mal miteinander verwoben.

Frage: Herr Lambsdorff, ich kann Sie als Europapolitiker natürlich nicht gehen lassen, ohne Sie zu Österreich zu befragen. Dort bei der Bundespräsidentenwahl gibt es eine Patt-Situation. Erst im Laufe des Nachmittags oder Abends wissen wir dann mehr. Was bedeutet diese Wahl für Europa?

LAMBSDORFF: Also interessant ist, dass der Alexander Van der Bellen, der Kandidat der Grünen, eine unglaubliche Aufholjagd hingelegt hat mit einer sehr klaren, pro-europäischen Position. Das sieht man in Brüssel, das sieht man aber auch zum Beispiel in Rom oder Berlin glaube ich ganz gerne, aber natürlich ist es schon beunruhigend, dass fünfzig Prozent der Österreicherinnen und Österreicher für Herrn Hofer gestimmt haben, aus der FPÖ, das sind ganz klare Rechtspopulisten.

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