LAMBSDORFF-Interview: Schön, dass endlich gewählt wird
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „ZDF-Morgenmagazin“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte MITRI SIRIN:
Frage: Herr Lambsdorff, wir haben diesen US-Wahlkampf gesehen. Der war unglaublich. Skandale und nicht Inhalte standen da im Vordergrund. Wie hat sich denn Ihr Bild von Amerika verändert?
LAMBSDORFF: Ach, es ist eigentlich schön, dass endlich gewählt wird. Wir erinnern uns an den Amtsantritt von Barack Obama: Der hat gesagt, er will dieses gespaltene Land einen. Das ist ganz offensichtlich nicht gelungen. Das Land ist nach wie vor tief gespalten in rote und blaue Anhänger der Republikaner und Demokraten. Und diese Spaltung zu überwinden, das ist im Grunde der große Wunsch aller, die sich mit Amerika befassen, und vieler Amerikaner auch.
Frage: Donald Trump hat nun wirklich gerade im liberalen Lager die Menschen verschreckt. Sexistische Äußerungen, dann seine Ankündigung, eine Mauer zu bauen zur Grenze zu Mexiko, und viele andere Dinge. Wie haben Sie diesen Kandidaten erlebt?
LAMBSDORFF: Ich habe ihn erlebt als jemanden, der unglaublichen Erfolg hatte. Das muss man zunächst einmal sagen. Denn vor einem Jahr hätte ja niemand, vermutlich Sie nicht und auch ich nicht, geglaubt, dass die Republikaner einen solchen Mann zum Kandidaten machen. Das ist das Erste. Das Zweite ist: Er hat dann alle Regeln gebrochen, alle Regeln der politischen Kommunikation. Er war aggressiv gegenüber Minderheiten, gegenüber Frauen, gegenüber Ausländern. Also mit anderen Worten: Er hat einen Wahlkampf geführt, der mit Political Correctness überhaupt gar nichts zu tun hat. Und interessanterweise hat ihm das so große Zustimmung gebracht, dass wir jetzt ganz enge Umfragewerte haben – etwas übrigens, das wir in Europa ja auch sehen. Denken wir mal an Marine Le Pen oder die FPÖ in Österreich. Wir haben diese populistischen Kräfte in allen westlichen Demokratien und Trump ist im Moment der Stärkste von allen.
Frage: Die US-Banken beziehungsweise die Börsen, die bereiten sich vorsorglich auf einen möglichen Präsidenten Trump vor. Man hat gelernt aus der Brexit-Abstimmung. Wie sieht eigentlich der Plan der EU aus, falls es so weit kommt?
LAMBSDORFF: Ich glaube, dass die Europäische Zentralbank für den Tag nach der Wahl, für den Fall, dass Trump gewinnen sollte, was ich persönlich ehrlich gesagt nicht glaube, aber für den Tag danach Äußerungen machen wird, um die Märkte zu beruhigen. Ich glaube, man wird dann auch hingehen und schauen, welche Unternehmen sind besonders stark im Geschäft mit den USA. Das sind ja ganz viele. Ich denke da nur an unsere Fluglinien beispielsweise, jeden Tag gehen ja Dutzende von Flügen in die USA. Also, da wird man hinschauen und sehen: Gibt es da unter Umständen Änderungen? Ich glaube, es wird wenn überhaupt keinen Schock geben – außer an den Börsen, die immer hypernervös sind –, sondern wenn, dann vielleicht eine graduelle Verschlechterung, wenn die beiden, insbesondere Trump, wahr machen, was sie angekündigt haben, nämlich Handelsabkommen zu kündigen, und bei Trump sogar, die Welthandelsorganisation zu verlassen, was ein absoluter Knaller wäre.
Frage: Sagen Sie, gleichzeitig versuchen Sie so ein bisschen mit dem Prinzip Hoffnung umzugehen. Dass Sie glauben: Ok, die Hillary wird es am Ende machen. Aber auch die Demoskopen sind sich sehr unsicher und man weiß nie, was kommt. Das hat ja auch schon die Brexit-Abstimmung gelehrt. Also was konkret würde schwieriger werden? Sie haben ja gerade schon einiges angedeutet. Also, ich glaube, TTIP könnte man quasi vergessen, weil da hat er gleich gesagt, da macht er nicht mit. Oder glauben Sie tatsächlich, dass wenn er dieses Amt erreicht oder wenn die Leute ihn in dieses Amt wählen, dass er sich dann mäßigt? Dass er zu einer neuen Figur wird?
LAMBSDORFF: Also, in der Tat, die Handelsbeziehungen würden schwieriger. TTIP ist ohnehin sehr kompliziert. Aber das will er gar nicht weiter verhandeln. Hillary Clinton will da mit Europa weiter im Gespräch bleiben, da muss man schauen, was dabei herauskommt. Das wäre schon der erste fundamentale Unterschied. Der zweite wäre in der Tat: Wenn der rausgeht aus der Welthandelsorganisation, würden ja alle Produkte, alle Dienstleistungen im Handel mit den USA teurer, weil es Zölle gäbe plötzlich, die es bisher überhaupt nicht gegeben hat. Man müsste alles neu aushandeln. Also mit anderen Worten: Ich glaube, das wäre wirklich ein echtes Drama. Wenn Hillary Clinton Präsidentin wird, wird es für Europa auch nicht leicht. Es gibt ein anderes Feld, da müssen wir auch drauf achten. Das ist das Feld der Sicherheitspolitik. Da haben beide ganz klar gesagt, sie erwarten mehr von Europa, mehr Einsatz für unsere eigene Sicherheit, auf dem Balkan, in Nordafrika, wenn es da zu einer instabilen Situation kommt, sagen beide Kandidaten, auch Hillary Clinton, Europa muss seine Sicherheitspolitik, seine Verteidigungspolitik auf den Stand des 21. Jahrhunderts bringen. Denn da sind wir definitiv nicht.
Frage: Herr Lambsdorff, zum Schluss noch eine Frage zur Türkei beziehungsweise zum schwiegen Verhältnis der EU zur Türkei. Klar, nach dem Putschversuch hat es, das wissen wir, Zehntausende Entlassungen und Verhaftungen gegeben, jetzt diskutiert man in der Türkei über die Einführung der Todesstrafe. Und da hat sich jetzt auch der Außenminister Luxemburgs geäußert und hat da so einen Nazi-Methoden-Vergleich angestellt. Die Türkei hat sich auch sofort geäußert. Ist das jetzt die neue EU-Diplomatie?
LAMBSDORFF: Nein, der Außenminister von Luxemburg, Herr Asselborn, ich sag das immer, der haut gerne mal einen raus. Und man sollte das nicht so hochhängen. Ich meine, er sagt einerseits, in der Türkei sind es Nazi-Methoden. Andererseits will er die Beitrittsverhandlungen der Türkei zur Europäischen Union fortsetzen. Das passt ja hinten und vorne nicht zusammen. Ich glaube, der richtige Weg ist, dass wir diesen Beitrittsprozess abbrechen – das ist auch die Haltung meiner Partei, der FDP, und stattdessen einen Grundlagenvertrag mit der Türkei auszuarbeiten, der eine realistische Basis für eine vernünftige Zusammenarbeit schafft, aber dieses Illusionsprojekt Beitritt mal beendet, das ja von beiden Seiten seit vielen Jahren nur noch sehr unehrlich betrieben wird.