02.08.2017FDPAsylpolitik

LAMBSDORFF-Interview: Rückführung nach Libyen im Prinzip richtig

Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Deutschlandfunk“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Sarah Zerback:

Frage: Den Schleppern das Handwerk legen – das steht ganz oben auf der Liste der meistzitierten Sätze in der Flüchtlingsdebatte, und es mangelt auch nicht an Initiativen sowohl der Sicherheitskräfte vor Ort als auch der EU, doch das Geschäft der Menschenschmuggler, die Migranten meist in Libyen in klapprige Boote Richtung Europa schicken, hat weitere Hochkonjunktur. Jetzt will Italien näher an die libysche Küste heran, um ihnen das Handwerk zu legen, wo bislang eben keine ausländischen Boote kreuzen dürfen. Der italienische Senat will heute über diesen Militäreinsatz abstimmen. Prescht Italien da jetzt vor, und die EU zieht nach?

Lambsdorff: Ich würde von einem Vorpreschen nicht reden. Die Lage ist ja schon sehr lange sehr schwierig, und es ist der italienischen Regierung offensichtlich gelungen, und das ist völkerrechtlich ganz wichtig, eine Einladung der libyschen Regierung bekommen zu haben für Operationen in den Territorialgewässern. Insofern wäre das ein Schritt näher an die Küste heran und insofern ein positiver Schritt bei der Bekämpfung dieser Migrationskrise.

Frage: Sie sprechen da jetzt ganz klar von einer Einladung, gleichzeitig hören wir da unterschiedliche Stimmen. Aus Rom heißt es, die Mission habe die libysche Regierung angefragt. Danach kam aber aus Tripolis das Dementi. Haben Sie da mehr Informationen als wir?

Lambsdorff: Nein, also die Berichterstattung lautet aus Rom, dass es gelungen sei, eine Einladung des Government of National Accord zu bekommen, also dieser Einheitsregierung, die unter dem Dach der Vereinten Nationen operiert und die international anerkannt ist. Es gibt andere Kräfte in Libyen, die das anders sehen, aber entscheidend ist das, was die völkerrechtlich anerkannte Regierung tut, und nach meinem Stand gibt es eine solche Einladung. Das wäre damit sozusagen völkerrechtlich jedenfalls die Grundlage, auf der Italien operieren könnte.

Frage: Aber da sprechen Sie doch das Regierungschaos, das dort herrscht, an, die drei Regierungen, die da um die Macht kämpfen. Kann man unter diesen Umständen eine solche Mission gemeinsam starten?

Lambsdorff: Frau Zerback, wir können uns ja nicht aussuchen, wie es innenpolitisch aussieht, und ich war ja selber in Libyen 2012 als Leiter einer Wahlbeobachtungsmission unterwegs. Ich weiß, wie schwierig das ist. Aber wenn die Regierung, die international anerkannt ist, bereits ist, hier die Zusammenarbeit zu verstärken mit Europa, dann sollten wir das schon ins Auge fassen, denn ich glaube, wir müssen Schritt für Schritt vorgehen. Es gibt nicht einen einzelnen Schritt, der eine Lösung dieser schwierigen Situation im zentralen Mittelmeer herbeiführen könnte, sondern es braucht eine ganze Reihe von Maßnahmen, und dazu gehört beispielsweise das Abfangen von Schiffen viel näher an der libyschen Küste, anstatt das erst auf hoher See zu tun.

Frage: Sie sagen, wir können uns das nicht aussuchen, wir können aber dennoch wählen, ob wir das unter diesen Umständen machen wollen, ob wir da mitmachen wollen, ob wir vor allen Dingen auch unter diesen humanitären Bedingungen, die dort herrschen, da zusagen. Lassen Sie uns das doch einmal durchdeklinieren. Was sollen denn die Schiffe dort genau machen? Flüchtlingsboote an der Abfahrt hindern, zur Not dann auch mit Gewalt?

Lambsdorff: Also die eine Möglichkeit ist, Flüchtlingsboote an der Abfahrt zu hindern und sie dann sofort wieder an die Küste zu schicken, also ihnen den Weg zu versperren, ganz praktisch, um diese lebensgefährliche Überfahrt zu verhindern, um zu verhindern, dass die Menschen dann anschließend, wenn sie gerettet werden, automatisch nach Europa gebracht werden. Denn genau das ist ja das Dilemma, in dem wir stecken. Es gibt eine rechtliche und auch eine moralische Verpflichtung, Menschen in Seenot auf hoher See zu retten, und da muss man sie nach Europa bringen, man muss sie irgendwo an Land bringen, und die Italiener sagen mit nunmehr fast 100.000 Flüchtlingen bereits in diesem Jahr, sie können nicht mehr, und sie wollen auch nicht mehr. Also insofern ist eine Rückführung nach Libyen im Prinzip richtig. Allerdings wäre es mir sehr viel lieber, man könnte diese Rückführung dann in Aufnahmeeinrichtungen machen unter dem Dach der Vereinten Nationen, der Mission, die es dort in Libyen gibt, mit dem deutschen Diplomaten Martin Kobler an der Spitze, anstatt sie erneut sozusagen den Schlepperbanden auszuliefern. Das ist der nächste Schritt, der ist noch nicht gegangen. Also mit anderen Worten, das ist ein Schritt auf einem langen Weg, den wir hier gehen müssen, aber ich finde es im Prinzip einen richtigen Schritt.

Frage: Aber dann halten wir fest: einmal die Boote an der Abfahrt hindern, aber auch, wenn Migranten es dann schon aufs Meer geschafft haben, die dann einfach wieder zurück nach Libyen bringen.

Lambsdorff: Na ja, eben nicht einfach zurück nach Libyen, sondern man muss schauen, ob es innerhalb oder außerhalb der Zwölfmeilenzone ist. Da, wo das außerhalb der Zwölfmeilenzone ist, bedeutet es vermutlich weiter nach Europa. Dann ist es aber innerhalb der Zwölfmeilenzone schon so, dass man nach Libyen zurückbringen kann, aber das geht nur, wenn die humanitäre Situation sich etwas verbessert. Deswegen: Für sich genommen ist die Operation in den libyschen Territorialgewässern noch keine Lösung, sondern sie muss sich einfügen in ein größeres Projekt, bei dem auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen eingebunden wird und zusammen mit der UNO-Mission in Libyen Aufnahmeeinrichtungen dort aufbaut. Das ist schon schwierig genug.

Frage: Da wollte ich noch mal kurz nachfragen. Sie sagen jetzt, dass sich die Situation humanitär ein bisschen verbessert. Das klingt mir noch nicht griffig genug. Was heißt das?

Lambsdorff: Nun, das heißt einfach, dass die Flüchtlinge, die zurzeit dort sind, in einer humanitär absolut katastrophalen Lage sind. Es gibt Gewalt, es gibt Folter, es gibt Vergewaltigungen, und von daher verstehe ich manchmal nicht, dass der eine oder andere in der Diskussion in Europa sich so schwer tut damit, zu sagen, dass Aufnahmeeinrichtungen unter dem Dach der Vereinten Nationen in Libyen eine bessere, ja eine humanitär akzeptablere Lösung herbeiführen oder Situation herbeiführen können. Ich glaube, das ist das, worum es gehen muss mit UNSMIL, also mit Koblers Mission.

Frage: Aber wie wollen Sie das sicherstellen? Das verstehe ich nicht. Wie wollen Sie sicherstellen, dass diese Vergewaltigungen, dass diese Kasernierungen, die dort stattfinden, die Gewalt, dass das besser wird?

Lambsdorff: Bei Teilen des libyschen Territoriums, Tripolis, der westliche Teil des Landes, da gibt es Orte an der Küste, an denen man das machen kann, an denen die Vereinten Nationen operieren können, wenn sie sich zusammentun mit den libyschen Sicherheitskräften beziehungsweise mit Milizen, die die Sicherheit garantieren. Ich glaube, das ist der notwendige nächste Schritt, diese Aufnahmeeinrichtungen ins Auge zu fassen. Ich sage es ganz deutlich, Frau Zerback: Noch gibt es sie nicht, noch kann man also nicht die Flüchtlinge einfach, wie Sie es gerade formuliert haben, zurückbringen, aber es ist eine Vorbereitung dafür, es zu tun. Diese Aufnahmeeinrichtungen sind der notwendige zweite Schritt, der zur Operation der italienischen Marine in den libyschen Territorialgewässern hinzukommen muss.

Frage: Gut, dann warten wir also auf diesen Schritt, überprüfen das international, ob der eingehalten wird, bevor wir dann den nächsten Schritt gehen. Auffanglager in Libyen, das ist ja die zweite Kritik: die halten Menschen doch aber nicht von der Flucht ab. Wenn es da dort zugeht, wie es da jetzt zugeht, dann werden sie doch geradezu aufs Mittelmeer getrieben.

Lambsdorff: Genau, aber, Frau Zerback, so, wie es im Moment dort zugeht, ist es brutal, gewalttätig, und das treibt natürlich die Menschen noch viel stärker aufs Mittelmeer. Wenn es ein Aufnahmelager gibt, das nicht von libyschen Milizen oder von Schlepperbanden betrieben wird, sondern unter dem Dach des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, dann ist das faktisch und definitiv eine humanitäre Verbesserung und ist deswegen begrüßenswert.

Frage: Und auf EU-Ebene, da wird jetzt diskutiert, sich auf Schritte, wie sie Italien jetzt in Erwägung zieht, auch vorzubereiten?

Lambsdorff: Ja, natürlich kann man die Italiener nicht völlig alleine lassen. Wenn Italien da um Unterstützung bittet, dann sollten wir im Rahmen eines politischen Gesamtkonzepts solche Unterstützungen auch geben. Ich sage es noch mal: Das ist nicht die Lösung aller Probleme, dass Italien jetzt dort operieren kann. Es ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Weitere Schritte – wir haben gerade darüber gesprochen – sind die Aufnahmeeinrichtungen. Ein weiterer, ein dritter Schritt, ist natürlich auch, viel stärkere Aktivitäten im Süden des libyschen Territoriums vorzunehmen. Das heißt, die Sahelzone stärker zu überwachen als es bisher der Fall ist.

Frage: Aber es wäre de facto auch eine Ausweitung der Marinemission Sophia.

Lambsdorff: Es könnte auf eine Ausweitung von Sophia hinauslaufen. Allerdings gibt es dafür noch keine Einladung der libyschen Regierung. Die bräuchte es, sonst hat man völkerrechtlich keine Absicherung.

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