21.05.2016FDPAußenpolitik

LAMBSDORFF-Interview: Kanzleramt neigt zum Kniefall

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab der „Welt“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte THORSTEN JUNGHOLT:

Frage: Sind Angela Merkels Reisen noch Diplomatie oder schon Unterwerfung, Herr Lambsdorff?

LAMBSDORFF: Sie sind jedenfalls keine berechenbare Außenpolitik. Der Kurs der Kanzlerin schwankt seit Jahren zwischen Ablehnung und Anbiederung. Als CDU-Vorsitzende lehnt Angela Merkel einen EU-Beitritt der Türkei konsequent ab. Jetzt plötzlich aber treibt sie in der Flüchtlingskrise die Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei zur EU voran. Gleichzeitig kommen wiederum aus CDU und CSU sehr respektlose Einlassungen gegenüber Ankara, die eine konstruktive Arbeitsbeziehung torpedieren. Das passt alles nicht zusammen.

Frage: Sie spielen auf Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) an, der Erdogan einen Autokraten nannte. Ist das denn falsch?

LAMBSDORFF: Ich halte es für wenig zielführend, wenn Vertreter von Verfassungsorganen der Bundesrepublik Deutschland ausländische Staatschefs mit Etiketten versehen. Die Türkei ist bei allen Problemen ein großes und wichtiges Land, eine stolze Nation, ein Nato-Verbündeter, sie liegt geografisch an entscheidender Stelle zwischen der EU und der Krisenregion Syrien/Irak/Libanon. Das heißt: Man muss pragmatisch und respektvoll miteinander umgehen, daran führt realpolitisch gar kein Weg vorbei. Das schließt Kritik nicht aus. Aber persönliche Beschimpfungen? Was sollen die bringen?

Frage: Der Termin der Merkel-Reise ist durchaus heikel. Auf einem Sonderparteitag der AKP wird der bisherige Parteichef und Ministerpräsident Davutoglu abgelöst – jener Mann also, der mit Merkel der Architekt des EU-Türkei-Deals ist und auf Druck von Präsident Erdogan gehen muss. Wird das Abkommen dennoch umgesetzt werden?

LAMBSDORFF: Ich würde das nicht an Davutoglu oder Yildirim festmachen, sondern an den objektiven Interessen beider Seiten. Die EU hat ein praktisches Interesse daran, dass die Flüchtlingszahlen dauerhaft zurückgehen. Erdogan hat ein praktisches Interesse daran, dass sein vollmundiges Versprechen einer Visafreiheit für seine Staatsbürger in der EU auch eingelöst wird. Insofern spricht mehr dafür, dass der Deal bestehen bleibt, als dass er zusammenbricht.

Frage: Wie weit ist die Türkei mit den 72 Bedingungen, die die EU für eine Visafreiheit gestellt hat?

LAMBSDORFF: Eindeutig nicht an dem Punkt, an dem man sagen könnte: Es wird vollständige Visumsfreiheit gewährt. Die Einlassungen von Präsident Erdogan machen ja sehr deutlich, dass er die weitreichenden türkischen Anti-Terror-Gesetze nicht an EU-Standards anpassen will. Die Türkei erwartet also offenbar einen Rabatt. Es kann aber nicht sein, dass wir einen Rabatt einräumen und uns damit die nächste Flüchtlingswelle ins Land holen – nämlich die von den Anti-Terror-Gesetzen besonders betroffenen Kurden.

Frage: Steht das EU-Parlament für Rabatte für Ankara grundsätzlich zur Verfügung?

LAMBSDORFF: Präsident Martin Schulz hat ja erklärt, dass es ohne die Erfüllung der Kriterien keine Rechtsgrundlage gibt, überhaupt in Beratungen einzutreten. Damit hat er recht. Angela Merkels Hochdruckzeitplan mit abschließender Beschlussfassung schon im Juni war von Anfang an unrealistisch. Eine so wichtige Frage darf man nicht übers Knie brechen, es braucht eine parlamentarische Debatte und auch eine öffentliche Diskussion. Davon wird abhängen, wie wir am Ende abstimmen werden. Jedenfalls ist die Neigung, gegenüber Präsident Erdogan in die Knie zu gehen, im Europaparlament weitaus weniger ausgeprägt als im Berliner Kanzleramt.

Frage: Könnte es denn einen Kompromiss geben?

LAMBSDORFF: Ja. Aus Sicht der FDP ist eine vollständige Visaliberalisierung nicht denkbar, wenn die Kriterien nicht erfüllt sind. Viel sinnvoller wären Erleichterungen für einzelne Gruppen wie Künstler, Forscher, Studierende, Geschäftsleute oder für Menschen mit Familienangehörigen in der EU, an deren Rückkehrwille kein Zweifel besteht. Daran sollten wir arbeiten, denn davon hätten beide Seiten und die Menschen in der Türkei etwas.

Frage: Was halten Sie von dem Vorhaben des Bundestags, am 2. Juni eine Resolution zu beschließen, die den Völkermord an den christlichen Armeniern im Osmanischen Reich 1915 zum ersten Mal als einen solchen benennt?

LAMBSDORFF: Es gibt aus unserer Sicht überhaupt keinen Zweifel, dass es sich um Völkermord gehandelt hat. Alle seriösen Historiker stimmen darin überein. Der Bundestag arbeitet seit Längerem an dieser Resolution, insofern kann er sie jetzt auch beschließen, das wird die Welt nicht aus den Angeln heben. Politisch hilfreich ist es in der aktuellen Lage sicher nicht. Aber es ist schon richtig, dass das Parlament sich an dieser Stelle den Armeniern gegenüber ehrlich macht und Farbe bekennt – zumal das Deutsche Reich als damaliger Hauptverbündeter des Osmanischen Reichs eine Mitverantwortung trug.

Frage: Nicht hilfreich für das politische Klima dürfte auch der Beschluss einer Mehrheit im türkischen Parlament sein, Abgeordneten die strafrechtliche Immunität zu entziehen. Das zielt vor allem auf die Vertreter der kurdischen HDP.

LAMBSDORFF: Das ist eindeutig zu verurteilen, denn die HDP ist legal angetreten, und ihre Abgeordneten sind legal gewählt worden. Aber es fügt sich ein in eine lange Reihe von Maßnahmen Erdogans gegen die Kurden: die Aufkündigung des Dialogs mit Abdullah Öcalan, die Inhaftierung von Tausenden kurdischen Kommunalpolitikern, die schrecklichen Angriffe auf Diyarbakir und Cizre. Jetzt soll die HDP, die politische Vertretung der Kurden, enthauptet werden. Damit wären die letzten politischen Brücken zu den Kurden eingerissen – aber Erdogan seinem strategischen Hauptziel, nämlich der Schaffung einer Präsidialverfassung, ein weiteres Stück näher.

Frage: Sie kümmern sich als EU-Parlamentarier seit Langem um die Türkei, um Außen- und Europapolitik. Nun wollen Sie Brüssel nach 13 Jahren verlassen und 2017 für den Bundestag kandidieren. Warum?

LAMBSDORFF: Das ist kein Abschied von der Außenpolitik, sondern ein Wechsel der Ebene. Ich bin ja auch Präsidiumsmitglied der Freien Demokraten und habe in der außerparlamentarischen Opposition seit 2013 mit daran gearbeitet, die FDP neu aufzustellen, inhaltlich und stilistisch. Mit dem Ergebnis treten wir 2017 vor die Bürger, da sollten sich diejenigen, die diese Neuaufstellung gestaltet haben, auch dem Urteil des Wählers stellen.

Frage: Sie treten im Wahlkreis Bonn an, den vor Ihnen viele Jahre lang der vor Kurzem verstorbene Guido Westerwelle vertreten hat – mit teils exzellenten Wahlergebnissen. Eine besondere Herausforderung?

LAMBSDORFF: Mir ist bewusst, dass das große Fußstapfen sind. Guido Westerwelle hat sich als Abgeordneter sehr erfolgreich für Bonn eingesetzt. Und er hat als Außenminister viel für Europa getan. An beides möchte ich anknüpfen. Aber vor allem möchte ich, dass der Liberalismus im Bundestag wieder eine Stimme hat, weil ich glaube, dass die FDP als Stimme der Marktwirtschaft dort spürbar fehlt.

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