27.02.2014FDPEuropapolitik

LAMBSDORFF-Interview für „SWR2 Tagesgespräch“

Berlin. Der Spitzenkandidat zur Europawahl und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „SWR2 Tagesgespräch“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Uwe Lueb:

Frage: In der Ukraine wird heute eine Übergangsregierung gewählt. Das Europaparlament will sich zur Zukunft der Ukraine positionieren und eine Resolution verabschieden. Wie lautet der Tenor, dass sich die Ukraine nun endlich an den Westen binden soll?

LAMBSDORFF: Nein, das ist nicht der Tenor. Wir wollen die Ukraine nicht zu etwas zwingen, sondern wir wollen der Ukraine lediglich deutlich machen, hier gibt es eine offene Tür. Wenn die Bevölkerung in der Ukraine wirklich sich Richtung Europa orientieren möchte, dann ist uns das herzlich willkommen. Aber das ist eine Entscheidung, die muss in Kiew getroffen werden. Die haben nicht wir in Brüssel zu treffen, die wird auch nicht in Berlin oder Warschau getroffen, und auch nicht in Moskau. Sondern das ist eine Entscheidung, die die Menschen in der Ukraine selber treffen müssen. Dass wir die Ukraine unterstützen wollen, das steht in der Resolution auch drin. Wir wollen weiter dabei helfen, dass das Land wieder auf die Füße kommt. Wir wollen auch, dass die wirtschaftliche Situation sich bessert, aber, auch das muss gesagt werden, wir wollen auch, dass das Land eine bessere Leistung bringt einfach, sein Potential realisiert. Besser als das in den letzten 20 Jahren der Fall war. Das Land wird deutlich unter seinen Möglichkeiten regiert und bewirtschaftet. Und das ist nicht erst seit wenigen Jahren so.

Frage: EU-Erweiterungskommissar Füle hat gestern Russland davor gewarnt, sich in der Ukraine einzumischen. Ist der Kampf zwischen der EU und Russland um West- oder Ost-Bindung der Ukraine endgültig entbrannt?

LAMBSDORFF: Nun, ich glaube, dass man in Moskau in der Tat mit großer Sorge auf die Ukraine blickt. Man hat ja deswegen auch verhindert, dass Herr Janukowitsch das Assoziierungsabkommen, also so eine Art Vertrag für eine engere Anbindung mit Europa, dass die Ukraine das unterschreibt. Aber man hat ja an der Reaktion der Menschen in der Ukraine gesehen, man will die Westorientierung, man will mit Europa zusammenarbeiten.

Frage: In Teilen des Landes. In anderen Teilen ja nicht.

LAMBSDORFF: Ja. Auf der anderen Seite, wir reden immer von der West- und Ostukraine. Es gibt eine große Mittelukraine. Die Westukraine, das ist in der Tat der alte, ja KuK-Teil, der ist ganz klar westlich orientiert. Und der Osten, das Don-Becken, hat in der Tat eine eher russische Orientierung. Aber in der Mitte, wo Kiew liegt, also wo sozusagen das Herz des Landes schlägt, dort entscheiden die Menschen, je nach dem so wie sie es für richtig halten. Und da kam ja auch sehr große Unterstützung für einen pro-europäischen Kurs her. Also, wenn Ihre Frage lautet: ist der Streit zwischen Moskau und Brüssel jetzt entbrannt. Man muss fairerweise sagen, ja das ist so. Aber das ist ein Streit, den wir beilegen sollten und gemeinsam mit den Russen und den Ukrainern entscheiden sollten: Wie sieht es denn aus in der Zeit, in der die Ukraine mit Sicherheit ja noch nicht Mitglied der Europäischen Union werden kann? Denn das ist eine Frage, die sich zurzeit gar nicht stellt. Das ist eine Frage von zehn oder 20 Jahren. Und in der Zwischenzeit brauchen wir auch eine vernünftige Gliederung, Strukturierung in Osteuropa und das wird nicht gegen Russland gehen.

Frage: Für den Moment besteht aber die Gefahr auch der Spaltung der Ukraine. Müssen wir dann einen neuen Ost-West-Konflikt fürchten mit der Ukraine im Fokus, oder wie wollen sie Russland einbinden?

LAMBSDORFF: Also, die Gefahr einer Spaltung der Ukraine besteht nur dann, wenn Moskau tatsächlich zu radikalen Maßnahmen greift. Ich war sehr besorgt zu lesen, dass man im Westen des russischen Staatsgebietes die Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt hat. Was Putin da treibt ist im Moment jedenfalls noch sein Geheimnis. Positiv dagegen war, dass er im Gespräch mit der Bundeskanzlerin ja gesagt hat, nein, man wolle die territoriale Einheit der Ukraine bewahren. Das ist auch die europäische Auffassung, das ist auch die deutsche Auffassung, auch die der FDP. Wir wollen nicht, dass die Ukraine aufgespalten wird. Denn Grenzverschiebungen in Europa, das ist immer eine hochschwierige Sache.

Frage: Aber es droht die Gefahr. Sie haben ja auch schon Russland angesprochen, das möglicherweise auf eine militärische Eskalation hinsteuert.

LAMBSDORFF: Wenn Russland das tatsächlich täte, kann man eine solche Gefahr nicht ausschließen. Wir sollten aber alles dafür tun, dass es nicht dazu kommt.

Frage: Müssen die östlichen EU-Staaten und Deutschland möglicherweise mit einer Flüchtlingswelle rechnen, weil viele Menschen die Ukraine verlassen wollen?

LAMBSDORFF: Da sind wir jetzt aber sehr im spekulativen Bereich. Ich glaube, dass die Menschen in der Ukraine ihre Zukunft suchen sollten. Und ich glaube, dass diese Revolte, diese Revolution gegen Janukowitsch und sein kleptokratisches Regime, das sich nur selbst bereicherte, aber sich um das Land nicht gekümmert hat, vielleicht jetzt auch wieder Chancen eröffnet, dass die Menschen dort eine Zukunft für selber sehen. Ich war im Herbst in der Ukraine, bin über Land gereist, die Wut und der Frust dort ist wirklich mit Händen zu greifen gewesen. Die Perspektivlosigkeit, die schlecht bezahlten Jobs, das sind alles Dinge, die für die Menschen ein ganz reales Problem sind. Und das muss sich ändern, damit es eine Zukunft in der Ukraine gibt.

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