17.03.2014FDPAußenpolitik

LAMBSDORFF-Interview für „Deutschlandfunk“

Berlin. Der Spitzenkandidat zur Europawahl und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „Deutschlandfunk“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Friedbert Meurer:

Frage: Das alles hätte die OSZE ein bisschen näher unter die Lupe nehmen können, aber sie war nicht vor Ort. Wäre es besser gewesen, sie wäre da gewesen?

LAMBSDORFF: Herr Meurer, das war unmöglich für die OSZE, dort hinzufahren auf die Krim, denn so eine Einladung zu einer Wahlbeobachtung muss von der anerkannten Regierung kommen. Die sitzt aus Sicht der OSZE wie auch der Europäischen Union in Kiew, aber nicht in Simferopol. Und insofern, weil die Einladung von der Krim kam, aber Kiew sagte, das ist gar keine legale Abstimmung, konnte die OSZE nicht hin. Das war auch richtig. Es hätte eine implizite Anerkennung dieser Marionettenregierung auf der Krim bedeutet.

Frage: Was sagen Sie zu den Zahlen, 95,5 Prozent ja, 80 Prozent Wahlbeteiligung?

LAMBSDORFF: Ich habe heute Morgen irgendwo gelesen, da wäre sogar Nordkorea drauf stolz gewesen, auf ein solches Ergebnis. Ich halte eine Unterstützung der Bevölkerung für den Anschluss an Russland für plausibel. Ob das jetzt mit 95,5 Prozent ist oder geringer, sei mal dahingestellt. Der Hintergrund ist aber ganz einfach: Es hat ja gar keine Gelegenheit gegeben für die Gegner eines Anschlusses an Russland, entsprechend Werbung zu machen, während die Befürworter, sprich diese von Moskau gesteuerte Marionettenregierung, die ganze Krim ja mit Plakaten überzogen hat, die gesagt haben, es ist eine Wahl zwischen Faschismus, der angeblichen Übernahme Kiews durch irgendwelche Faschisten und Banditen, oder der Rückkehr nach Russland. Insofern war die Stimmung so, dass man dort nicht erwarten konnte, dass die Gegner erfolgreich sein würden. Ob 80 Prozent tatsächlich teilgenommen haben, das vermag ich nicht zu beurteilen, da will ich auch nicht spekulieren.

Frage: Im Westen sagen ja nicht so ganz wenige, auch in Deutschland, wenn man so manche Reaktion hört, warum mäkelt der Westen eigentlich an Russland und an diesem Referendum auf der Krim herum, auch das Kosovo ist nicht im internationalen Konsens unabhängig geworden und Kroatien und andere Staaten auch nicht.

LAMBSDORFF: Na ja, da muss man wirklich ins Völkerrecht hineinschauen. Kroatien, Slowenien, Mazedonien, also die ganzen Nachfolgerepubliken Jugoslawiens, haben ja nicht eine Sezession begangen, sondern das war eine sogenannte Dismembration. Jugoslawien hat sich einfach aufgelöst, genauso wie die …

Frage: Eine Dismembration? Was ist das?

LAMBSDORFF: Das erkläre ich gerade. Wie die Sowjetunion ja auch aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzt war, aber die Sowjetunion ist zerfallen in ihre ganzen Nachfolgerepubliken, von Tadschikistan bis nach Estland, Lettland und Litauen im Baltikum, hat sich dort eine Union aufgelöst in ihre Bestandteile. Eine Sezession, das ist die Abspaltung eines Landesteiles von einem anderen, und ich glaube, dass der Vergleich mit dem Kosovo einfach deswegen hinkt: Im Kosovo hatte es einen Völkermord gegeben und den Versuch eines Völkermordes. Davon kann auf der Krim überhaupt keine Rede sein.

Frage: Auf der anderen Seite: Sie sagen selbst, Graf Lambsdorff, wenn diese Wahl ordentlich abgelaufen wäre, dann kann man schätzen 70 Prozent, je nach dem Mehrheitsanteil der ukrainischen Russen, hätten Ja gesagt. Ist das nicht doch eine demokratische Legitimation für die Sezession?

LAMBSDORFF: Nein. Es gibt kein Recht von einzelnen Bevölkerungsbestandteilen souveräner Nationen, Abstimmungen durchzuführen über den Anschluss an ein Nachbarland. Wenn wir diesen Weg beschreiten würden, dann hätten wir in Europa ein Riesenproblem, weil wir doch viele Länder haben, in denen verschiedene Volksgruppen zusammen leben, mal besser und mal weniger gut. Aber wenn wir uns nur mal Estland und Lettland vor Augen halten, wo es ja auch russische Minderheiten gibt, wenn wir an andere Länder mit Minderheiten denken. Ich meine, in Deutschland haben wir eine dänische Minderheit in Schleswig-Holstein. Wenn die plötzlich auf die Idee käme, eine Abstimmung in Flensburg durchzuführen, dass Flensburg zu Dänemark gehören solle, dann würden wir auch das nicht tatenlos hinnehmen. Mit anderen Worten: Das ist ein ganz gefährlicher Weg, den die Russen hier der Krim aufgedrückt haben, den die Krim dann dankbar mitgemacht hat, aber das ändert nichts daran, dass das sowohl völkerrechtswidrig als auch verfassungswidrig im ukrainischen Kontext ist.

Frage: Im Vorfeld des Referendums haben Sie bei möglichen EU-Sanktionen, Graf Lambsdorff, auf die Bremse getreten. Was sagen Sie jetzt?

LAMBSDORFF: Das ist richtig. Wir haben als Liberale immer gesagt, wir wollen Gesprächskanäle offen halten, wir setzen auf eine diplomatische Lösung, wir wollen politische Gespräche, um vorwärtszukommen. Man muss aber realistisch sein. Russland hat die ausgestreckte Hand nicht entgegengenommen, sondern hat mit einer geballten Faust geantwortet. Heute ist der Zeitpunkt gekommen, die ersten Sanktionen ganz konkret zu verhängen: Einreisesperren, Kontensperrungen. Und wenn tatsächlich Moskau eine formelle Annexion, also eine Einverleibung der Krim in sein Staatsgebiet vornimmt, dann müssen auch Wirtschaftssanktionen her. Eines gehört aber auch dazu: Wenn man Sanktionen verhängt, die sind nie ein Selbstzweck. Da müssen auch die Bedingungen definiert werden, unter denen diese Sanktionen wieder aufgegeben werden können, und wie diese Bedingungen lauten können, das wird jetzt ganz stark davon abhängen, wie Moskau sich konkret verhält, welche nächsten Schritte Moskau macht und was wir als Westen von Moskau verlangen müssen, damit die Völkerrechtsordnung in Europa wiederhergestellt wird.

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