15.09.2016FDPEuropa

LAMBSDORFF-Interview: Die EU braucht ein Modernisierungssignal

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab der „Passauer Neuen Presse“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte TOBIAS SCHMIDT:

Frage: Hat EU-Kommissionschef Juncker Sie mit seiner Rede zur Lage der Union überzeugt?

LAMBSDORFF: Juncker hat die Lage der Union nicht schöngeredet. Er hat drei wichtige Ankündigungen gemacht: Bei der Sicherheit muss mehr passieren. Er hat eine Digitaloffensive angekündigt, damit Europa endlich ins 21. Jahrhundert kommt, und zwar in den Städten und auf dem Land. Und er will das gut funktionierende Programm für private Investitionen der Europäischen Investitionsbank verlängern. Das halte ich für vernünftig.

Frage: In der Debatte wirkte das EU-Parlament wie ein zorniger Haufen. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn will sogar Ungarn aus der EU rauswerfen, weil es die Werte Europas mit Füßen trete. Wie schlimm steht es um die EU?

LAMBSDORFF: Na ja, der Herr Asselborn haut gerne mal einen raus. Der Rauswurf Ungarns wäre rechtlich nicht möglich und politisch ganz falsch. Sein Ruf spiegelt auch nicht die allgemeine Lage der EU wider. Allen ist klar, dass es ernst ist, aber mit solchen Bemerkungen macht man die Sache nicht besser.

Frage: Dennoch bestimmten die Populisten über weite Strecken die Debatte...

LAMBSDORFF: Was Marine Le Pen, Nigel Farage und andere behaupten, ist schlicht gelogen. Sie sagen, in Brüssel und Straßburg wolle man auf allen Gebieten mehr Europa. Das stimmt überhaupt nicht. Unter denen, die sich um das Gelingen des Projekts Europa bemühen, ist niemand, der glaubt, das wäre erfolgreich. Guy Verhofstadt, Vorsitzender der Liberalen, und Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der Christdemokraten, haben ganz deutlich gesagt: Bei der Sicherheitspolitik, der Terrorismusbekämpfung und beim Grenzschutz kommen wir nur gemeinsam voran. Zugleich haben sie mehr Anstrengungen von den Hauptstädten angemahnt, und das völlig zu Recht.

Frage: Morgen kommt in Bratislava der erste EU-Gipfel ohne die Briten zusammen. Welches Signal muss gesendet werden?

LAMBSDORFF: Die EU respektiert das britische Votum. Wir müssen aber den wirtschaftlichen Schaden minimieren. Großbritannien wird keinen vollen Zugang zum europäischen Binnenmarkt behalten können. Darüber hinaus muss ein Modernisierungssignal für die ganze EU von Bratislava ausgehen. Die Regierungschefs müssen sich auf gemeinsame Projekte verständigen. Eine viel engere Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik wäre ein Schritt in die richtige Richtung.

Frage: Vor einer Woche traf sich ein Südgipfel mit Franzosen und Italienern in Athen, der Vorrang für Wachstum fordert. Kommissionschef Juncker will seinen Investitionsfonds ausweiten. Steht die EU an der Wende: weg von der Sparpolitik hin zu Mehrausgaben auf Pump?

LAMBSDORFF: Nein. Paris, Rom und Athen wollen im Grunde genommen Geld nehmen und verschenken. Der Juncker-Fonds setzt dagegen auf Kredite und konkrete Investitionen aus der Privatwirtschaft. Das sind zwei fundamental unterschiedliche Dinge. Die FDP kämpft darum, dass es um Investitionen und nachhaltiges Wachstum geht, aber nicht um Schulden und sozialistische Strohfeuer.

Frage: Martin Schulz (SPD) möchte als EU-Parlamentspräsident weitermachen. Die Konservativen wollen den Posten übernehmen. Werden die Liberalen bei der Wahl womöglich Schulz unterstützen?

LAMBSDORFF: Die Europäische Volkspartei will den Präsidentenstuhl besetzen, hat aber bisher keine überzeugenden Kandidaten. Wir warten erstmal ab. Die Entscheidung wird nicht vor Dezember fallen. Als Liberale sind wir in der günstigen Lage, dass man auf uns zukommen und mit uns reden wird. Bis dahin gibt es keinen Grund, dass wir uns öffentlich festlegen.

Frage: In Syrien herrscht endlich eine Waffenruhe, nicht zuletzt, weil die USA nicht mehr lauthals nach dem Abtritt von Machthaber Baschar al-Assad rufen. Hat auch die EU akzeptiert, dass Assad an der Macht bleiben wird?

LAMBSDORFF: Die Forderung nach einem Abtritt Assads als Voraussetzung für eine Friedenslösung war von Beginn an falsch. Da hat sich Paris genauso wie Washington vollkommen vergaloppiert. Es ist richtig, dass man jetzt von dieser Palme wieder herunterklettert. Eine Friedenslösung muss mit Assad – und sei es nur übergangsweise – zurechtkommen. Es muss natürlich international überwacht werden, dass er sich nicht erneut so schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig macht wie in der Vergangenheit. Aber die Vorstellung, man könne einen von Moskau unterstützten Herrscher mit Erklärungen zum Abtritt zwingen, ohne militärisch einzugreifen, war immer falsch. Es ist gut, dass jetzt Bewegung in die Sache gekommen ist.

 

Social Media Button