LAMBSDORFF-Interview: Die ersten Maßnahmen von Tsipras sind falsch
Berlin. Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab der „Neuen Westfälischen“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ALEXANDRA JACOBSON:
Frage: Herr Lambsdorff, die neue griechische Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras macht Tempo. Sie will Tausende neue Beamte einstellen und stoppt die Privatisierungsbemühungen. Was halten Sie davon?
LAMBSDORFF: Wenn Herr Tsipras sein Wahlprogramm 1:1 umsetzt, geht das Land unausweichlich in die Zahlungsunfähigkeit. Natürlich sind neue Beamtenstellen und das Zurückdrehen marktwirtschaftlicher Reformen genau das Falsche. Wenn Tsipras das Land finanzpolitisch bewusst vor die Wand fahren will, wird Griechenland die Eurozone verlassen müssen.
Frage: Haben Sie trotzdem Hoffnung, dass es nicht zum Schlimmsten kommt?
LAMBSDORFF: Man muss sehen, dass Alexis Tsipras kaum 48 Stunden im Amt ist. Dass ein neuer Regierungschef erst einmal ein Feuerwerk abbrennt, um die eigene Wählerschaft zu beeindrucken, ist auch bei uns nicht völlig unüblich. Auch die Große Koalition hat erst einmal eine happy hour veranstaltet mit Mütterrente, Rente mit 63 und Mindestlohn. Die ersten Maßnahmen von Tsipras sind falsch. Aber noch wissen wir nicht, was er in Brüssel konkret erklärt, und darauf werden wir dann reagieren.
Frage: In der neuen griechischen Regierung gibt es eine große Wut auf Deutschland, der Verteidigungsminister Panos Kammenos spricht davon, dass Europa von „deutschen Neonazis“ regiert werde.
LAMBSDORFF: Die Partei von Kammenos, die „Unabhängigen Griechen“, ist widerwärtig. Sie hat einen Wahlkampf gezielt gegen Minderheiten geführt und sich als wahre Brüder im Geiste der AfD gezeigt. Es ist nicht wahr, dass Deutschland alle anderen unterbuttern würde. Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank zum Anleihekauf kam etwa gegen Deutschland zustande. Aber es stimmt, dass zum Beispiel die Mittelschicht in Griechenland starke Einbußen hinnehmen musste, und da greift man gerne auf einen
Sündenbock zurück.
Frage: Panos Kammenos, der Koalitionspartner von Tsipras, hat im Wahlkampf Stimmung gegen Juden, Homosexuelle und Einwanderer gemacht. Steht uns das überall in Europa bevor, dass sich Links- und Rechtspopulisten zusammenschließen?
LAMBSDORFF: Solange die europäische Einigung in Frage gestellt und ein Kurs der Renationalisierung angestrebt wird, sind Links- und Rechtspopulisten bereit, zusammen ins Bett zu gehen. Auch AfD-Chef Bernd Lucke hat den Zusammenschluss von Tsipras und Kammenos bejubelt. Dabei hätte es mit der Partei „Der Fluss“ eine vernünftige, sozialliberale Alternative zu Kammenos’ „Unabhängigen Griechen“ gegeben.
Frage: Was kann Brüssel tun, um die wirtschaftliche Lage Griechenlands zu erleichtern?
LAMBSDORFF: Ein Schuldenschnitt kommt nicht in Frage. Selbstverständlich ist Brüssel bereit, konstruktiv mit der neuen griechischen Regierung zusammenzuarbeiten, solange diese sich bereit erklärt, ihre Verpflichtungen gegenüber den Partnern in der Eurozone einzuhalten.
Frage: Die neue griechische Regierung scheint sich von den weiteren Sanktionen gegen Russland distanzieren zu wollen. Wie beurteilen Sie das?
LAMBSDORFF: Das erfüllt mich mit großer Sorge. Ich halte die Einigkeit der europäischen Staaten gegen den schweren Völkerrechtsbruch, den Russland in der Ukraine begangen hat, für eine der wenigen positiven Entwicklungen der jüngsten Zeit. Diese Politik erfordert aber die Einstimmigkeit innerhalb der EU. Sollte Griechenland da ausscheren, wäre das ein schwerer Rückschlag für eine Politik im Interesse des Völkerrechts und des Friedens, die sich bemüht, Russland zu ernsthaften Verhandlungen zu bewegen.