21.10.2016FDPEuropa

LAMBSDORFF-Interview: Bin maßlos enttäuscht von diesem Gipfel

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF gab dem „Nordwestradio“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte ANJA GOERZ:

Frage: Schon vor dem Gipfel hieß es ja, es gebe zusätzliche Sanktionen gegen alle Assad-Unterstützer, also gegen Russland kann man sagen und es ist eine Erklärung verabschiedet worden jetzt, in der es heißt, man würde alle verfügbaren Optionen ausschöpfen. Was genau heißt denn das?

LAMBSDORFF: Das heißt genau, dass man sich eben überhaupt nicht einig darüber ist, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Ich muss Ihnen sagen, dass ich von diesem Gipfel maßlos enttäuscht bin. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, um die geht es hier eben, nicht um die Europäische Kommission oder das Europäische Parlament. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben hier zu Beginn des Gipfels Sanktionen ins Schaufenster gestellt, auf die sie sich nicht einigen konnten, und für Wladimir Putin ist so etwas natürlich herrlich. Er sieht, dass der Westen gespalten ist. Italien und Ungarn wollten auf keinen Fall Sanktionen. Aber wenn man mal ehrlich ist, auch die Große Koalition in Berlin ist doch gespalten. Während Frau Merkel von Sanktionen redet, sagt doch die SPD ganz klar, es wird keine weiteren Sanktionen gegen Russland geben. Dann hat es eine windelweiche Formulierung jetzt gegeben nach diesem Rat. Wladimir Putin kann sich nur freuen über diese Ergebnisse.

Frage: Das ist ja auch nicht der einzige Punkt, muss man leider feststellen, in dem sich alle uneinig sind. Wir nehmen das nächste Thema, das ist das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, CETA. Da sind die Wallonen mit dem Kompromiss, den es gab, nicht einverstanden, es ist abgelehnt. EU-Ratspräsident Tusk ist trotzdem optimistisch, dass man da noch auf einen Nenner kommt. Wie sehen Sie das?

LAMBSDORFF: Na ich hoffe, dass das gelingt. Man muss sich das so vorstellen: Die Wallonie ist der wirtschaftlich schwächste Teil Belgiens. Die stehen für ungefähr ein Fünftel der Exporte des Landes. Die Flamen gucken völlig entgeistert in den Süden ihres Landes und sagen: Das kann ja wohl alles nicht wahr sein. Wir haben jetzt eine Situation, in Deutschland könnte man das vergleichen, wenn NRW, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern für ein Abkommen sind, aber Mecklenburg-Vorpommern den ganzen Zug aufhält. So muss man sich das ungefähr vorstellen. Also ich glaube, dass der Druck auf die Wallonie hier bleiben muss. Ich hoffe, dass es gelingt, eine Einigkeit zu erreichen. Es zeigt aber eines auch ganz, ganz deutlich: Sigmar Gabriel und sein französischer Kollege Matthias Fekl, die haben die Kommission so lange unter Druck gesetzt, dass das alles in nationalen Parlamenten abgestimmt werden muss, bis CETA jetzt wirklich in ganz, ganz schweres Fahrwasser geraten ist. Normalerweise werden Handelsabkommen für ganz Europa verhandelt und für Europa dann im Europäischen Parlament und im Rat verabschiedet, aber nicht in allen nationalen Parlamenten. Diese Renationalisierungstendenz, die hier von Deutschland und von Frankreich ausgegangen ist, die hat dazu geführt, dass wir jetzt alle über diese Wallonie diskutieren, von der ich vermute, ganz viele vorher gar nicht wussten, wo sie eigentlich liegt.

Frage: Von Deutschland gibt es einen anderen Vorstoß, und zwar den Antrag auf Verlängerung der Binnengrenzkontrollen. Österreich, Dänemark, Norwegen und Schweden haben sich da angehängt. Aus welchem Grund?

LAMBSDORFF: Naja, es gibt natürlich innenpolitisch immer noch eine große Nervosität in Deutschland, in Österreich, sie haben die Länder ja genannt, auch Dänemark, dass es unter Umständen wieder zu einem Aufleben des Migrationsdrucks kommen kann, das heißt also, dass die Zahl der Flüchtlinge wieder steigt. Zurzeit ist es nicht wirklich zu erwarten, aber man kann es eben auch nicht ausschließen. An der Stelle muss ich sagen, kann ich absolut verstehen, was die Bundesregierung getan hat. Es gibt im Moment noch keinen Grund diese Kontrollen einzustellen. Wenn wir offene Grenzen in Europa halten wollen, und das wollen wir ja, dann ist ein bisschen Kontrolle sicher nicht verkehrt. Also an der Stelle finde ich es richtig, was entschieden worden ist.

Frage: Sie haben eingangs schon gesagt, sie sind jetzt schon enttäuscht von diesem Gipfel. Um glaubwürdig zu bleiben, müsste die Europäische Union ja mal ein bisschen Einigkeit signalisieren oder zumindest den Willen zur Einigkeit. Sehen sie das in absehbarer Zukunft?

LAMBSDORFF: Ja Frau Goerz, das ist genau das, was ich am Anfang gesagt habe. Sie sagen „die Europäische Union“. Nehmen wir mal CETA. Im Europäischen Parlament gibt es eine große Mehrheit dafür. Sozialdemokraten, Christdemokraten, Liberale, Konservative sind alle für CETA, nur die Grünen und die Linken sind im Grunde noch dagegen. Das könnte man sofort abstimmen. Aber die Mitgliedsstaaten zerzanken sich, zerstreiten sich, und wenn wir in Europa alle Politikfelder renationalisieren und immer wieder versuchen, nationale Einzelentscheidungen herbeizuführen, um zum europäischen Konsens zu kommen, dann wird das nicht funktionieren, dann geht uns Europa kaputt. Deswegen ärgere ich mich so darüber, dass Gabriel dafür gesorgt hat, dass eben über CETA noch mal national abgestimmt werden soll. Das ist der falsche Weg. Wir müssen als Europa geschlossen auftreten auf der Weltbühne, sonst nimmt uns niemand ernst

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