LAMBSDORFF-Interview: Am Abend wird der Faule fleißig
Das FDP-Präsidiumsmitglied und Vizepräsident des Europäischen Parlaments Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Deutschlandfunk“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte Sarah Zerback:
Frage: Sollte die Bundesregierung, sollte die EU mit Diktatoren verhandeln, damit sie uns die Flüchtlinge vom Hals halten?
Lambsdorff: Frau Zerback, die Europäische Union ist ja umgeben von einem Ring von Ländern, der so kompliziert ist, dass es gar nicht anders geht, als dass man mit diesen Ländern auch dann spricht, wenn sie Regierungsformen haben, die nicht europäischen Werten entsprechen. Fangen wir bei Russland an im Osten, gehen wir über die Türkei im Südosten weiter, schauen wir auf Ägypten und Algerien. Dann sehen wir, dass wir überhaupt gar keine Alternative haben, als auch mit solchen Ländern zu sprechen, in denen es Diktatoren gibt. Gesprächslosigkeit, Sprachlosigkeit wäre sicher der falsche Weg.
Frage: Jetzt heißt es vom Außenexperten Jan van Aken von der Linkspartei, dass Dialog natürlich absolut ein adäquates Mittel sei, aber nicht gleich auf Kanzlerebene. Wäre das eine Möglichkeit gewesen, nicht gleich die Kanzlerin dort hinzuschicken?
Lambsdorff: Das ist ein Punkt, über den man durchaus reden kann. Ein bisschen macht die Große Koalition den Eindruck des deutschen Sprichwortes, am Abend wird der Faule fleißig. Wenige Monate vor der Bundestagswahl reist die Kanzlerin in diese Region. Dabei wissen wir ja schon seit langem, und zwar auch schon seit vor der Flüchtlingskrise, dass es diese Probleme bei dem Thema Abschiebung beispielsweise gibt. Herr Ramme hat das ja eben richtig gesagt. Das macht die Kanzlerin jetzt aus Wahlkampfgründen. Dass aber die Papiere beispielsweise aus diesen Ländern immer sehr langsam nur kommen, dass es mühsam ist mit Rücknahmevereinbarungen, dass es immer mal wieder Ansagen gegeben hat, man müsse mit der Entwicklungszusammenarbeit mehr Druck machen auf diese Länder in der Vergangenheit, das Ganze hat sich immer nur auf der Fachebene abgespielt. Da gab es nie politische Unterstützung. Und jetzt ein paar Monate vor der Bundestagswahl reist die Bundeskanzlerin dort hin. Es ist relativ durchsichtig. Es ist in der Sache gar nicht verkehrt, aber es ist im Grunde ein nachgeholtes Versäumnis, was hier geschieht. Eine Politik, die auf eine Rücknahme von eigenen Staatsangehörigen abzielt, hätte man viel früher auf die hohe politische Ebene heben müssen.
Frage: Aber Druck zu machen, der Vorwurf kann ja nicht nur an die deutsche Bundesregierung gehen, an die Kanzlerin; den müssen Sie sich im Europaparlament ja auch anhören.
Lambsdorff: Nein! Das sind ja aufenthaltsrechtliche Bestimmungen. Die betreffen in allererster Linie die Mitgliedsstaaten. Und natürlich reden andere Mitgliedsstaaten über diese Themen auch schon länger mit den betreffenden Regierungen. Das ist kein Gegenstand der europäischen Gesetzgebung, sondern ob jemand einen Aufenthaltstitel bekommt in einem bestimmten Mitgliedsstaat der Europäischen Union, ist ausschließlich eine nationale Zuständigkeit.
Frage: Was aber sehr wohl europäische Zuständigkeit ist, das ist die Verteilung auf EU-Staaten. Da hakt es ja auch seit Monaten und Jahren, möchte man fast schon sagen. Da mehr politischen Druck auszuüben, notfalls vielleicht auch mit finanziellen Konsequenzen, das wäre doch jetzt geboten.
Lambsdorff: Ja, Frau Zerback, ein gutes Beispiel. Auch hier – es geht um Aufenthaltsrecht – ist es eine Frage, die im Rat diskutiert wird. Im Europäischen Parlament sind wir selbstverständlich für einen Verteilungsschlüssel, auch schon seit vielen Jahren für einen Verteilungsschlüssel im Rat bei den Mitgliedsstaaten, die die Kontrolle über den Zugang auf ihr Territorium haben. Da gab es Ablehnung und ich will das hier den Hörerinnen und Hörern mal in Erinnerung rufen. Thomas de Maizière hat bis zum Frühjahr 2015 vehement gegen das Europäische Parlament, gegen übrigens auch die Auffassung der Freien Demokraten gekämpft, dass es einen Verteilungsschlüssel für Asylbewerber in Europa braucht. Die Mitgliedsstaaten haben genau diesen Verteilungsschlüssel verhindert, Deutschland vorne weg. Dann kam die große Flüchtlingskrise und im Herbst 2015 wurde Thomas de Maizière plötzlich vom Saulus zum Paulus. Da hat er dann im Rat mit den anderen Mitgliedsstaaten besprochen, man brauche nunmehr unbedingt einen Verteilungsschlüssel. Das Ganze ist erneut eine krisengetriebene reaktive Politik. Es ist nicht vorausschauend, es ist nicht konzeptionell durchdacht, sondern es ist wirklich eine Panikreaktion damals gewesen. Die anderen europäischen Staaten machen da nicht richtig mit und deswegen ist die Politik, weil sie unter Druck gemacht worden ist, nicht erfolgreich.
Frage: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann fehlt es an einem gemeinsamen europäischen Flüchtlingskonzept immer noch. Stattdessen wird ja aktuell der Vorschlag des Parlamentspräsidenten Tajani diskutiert, Auffangzentren in Libyen einzurichten, und dafür haben auch Sie sich schon ausgesprochen und deshalb geht die Kritik von Pro Asyl auch in Ihre Richtung. Ist das der Tiefpunkt der europäischen Flüchtlingspolitik?
Lambsdorff: Nein. Diese Auffanglager in Libyen sind etwas, wo ich aus humanitären Gründen sofort sagen würde, dass man das machen sollte, weil die Lage der Menschen, die dort in Libyen sind, wirklich dramatisch schlecht ist. Ich war selber in Libyen, ich habe mir die Situation vor Ort angeschaut. Die Menschen, die dort aus Afrika südlich der Sahara kommen, leben unter wirklich menschenunwürdigen Umständen. Da gibt es Gewalt, da gibt es Vergewaltigungen an Frauen, da wird ihnen alles weggenommen, was sie überhaupt noch bei sich haben. Dort eine, ich sage mal, mit europäischer Unterstützung durchgeführte Regelung zu finden, dass diese Menschen besser behandelt werden, das halte ich für einen Schritt in die richtige Richtung. Und Libyen ist das einzige Land, von dem ich mir vorstellen kann, in dem das funktionieren kann.
Frage: Aber dann ist dies das etwas kleinere Übel. Aber kann das der Anspruch Europas sein?
Lambsdorff: Sie haben Recht, Frau Zerback. Es ist das kleinere Übel. Natürlich wäre es viel besser, es müssten sich gar nicht erst so viele Menschen auf die Flucht machen. Natürlich wäre es besser, die Menschen hätten eine Perspektive für wirtschaftlichen Wohlstand bei sich zuhause, auf würdiges Leben, auf Arbeit und auf Sicherheit. Das ist aber nicht der Fall und solange wir mit einer konkreten Situation gefordert sind, finde ich, muss die Politik dann eine Abwägung machen, was sind die Lösungen, die es gibt. Und die Lösung, die zumindest mal eine menschliche Verbesserung darstellt, finde ich, die sollten wir nicht deswegen kritisieren oder ablehnen, weil sie ein kleineres Übel ist gegenüber der Situation, die wir jetzt haben. Das verbessert die Lage von Menschen ganz konkret, wenn man das hinkriegte, in Libyen solche Lager mit europäischer Beteiligung zu machen.
Lage der Menschen in Libyen verbessern
Frage: Wie genau denn? Das, finde ich, das bleibt immer noch so sehr im Vagen. Wie genau stellen Sie sich ein solches humanes Auffanglager vor?
Lambsdorff: Es müsste dann im westlichen Teil Libyens sein. Der östliche Teil, Bengasi, also Kyrenaika, ist kaum handhabbar. Es müsste in der Nähe von Tripolis sein. Es müssten Beamte von Frontex dort mithelfen, dass dieses Lager errichtet wird. Es müssten dann europäische Hilfsorganisationen eingeladen werden, dort die Flüchtlinge zu betreuen. Es müsste die internationale Organisation für Migration eine Rolle spielen, eine Unterorganisation der Vereinten Nationen, und natürlich der Hochkommissar für Flüchtlinge, der nichts anderes tut, als sich um Flüchtende zu kümmern, der die ganze Expertise hat.
Frage: Entschuldigung, Herr Lambsdorff, wenn ich Sie unterbreche. Aber das ist doch nicht realistisch in einem Land wie Libyen.
Lambsdorff: Ich sage ja, Sie müssen sich genau anschauen, wo Sie das in Libyen machen wollen. Sie können es nicht in bestimmten Landesteilen machen. In Tripolis und um Tripolis herum werden Sie eine Verbesserung der Situation erreichen, die ja der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen dort zu erreichen versucht. Dann ist das möglich. Es gibt natürlich keine Möglichkeit, so etwas in einer, ich sage mal, Region zu machen, in der es Gewaltausübung gibt, aber es gibt Teile in Libyen, wo das nicht der Fall ist. Und noch einmal: Es ist keine optimale Lösung, aber es ist eine Lösung, bei der es um eine Verbesserung der Lage der Menschen geht. Und natürlich: Die Vereinten Nationen sind in Libyen. IOM ist in Libyen, die Internationale Organisation für Migration. Es gibt dort durchaus Ansatzpunkte. Und: Tajani ist Italiener. Die italienische Regierung wäre sicher auch bereit, dort nationale Ressourcen einzusetzen.