14.01.2015FDPFreiheit

LAMBSDORFF-Gastbeitrag: Paris, Pegida und das Spiel mit der Angst

Berlin. Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:

„Je suis juive“, ich bin jüdisch, bekannte eine junge Französin muslimischen Glaubens am Sonntag auf ihrem Plakat in Paris. Ihre Geste des Mitgefühls für die Opfer des koscheren Supermarktes gehörte zu den bewegendsten Bildern vom Marche Républicaine. Landesweit waren über 3,7 Millionen Menschen auf den Straßen, rund 50 Staats- und Regierungschefs brachten persönlich ihre Solidarität zum Ausdruck.

Dieser Tag ist nicht nur in seiner Vielfalt, sondern auch in seinen Ausmaßen als historisch zu bezeichnen. Paris war an diesem Tag die Hauptstadt der freien Welt. Dass die USA fehlten, war bedauerlich und unterstrich, dass Washingtons ehemaliger Ehrentitel heute der französischen Hauptstadt zusteht.

Grund für die breite Anteilnahme war auch, dass die Anschlagserie in Paris die westliche Werteordnung ins Mark getroffen hat. Ziel waren die mutigen Karikaturisten von „Charlie Hebdo“, und damit die Meinungs- und Pressefreiheit generell. Aber auch Polizisten und die Besucher des jüdischen Geschäfts gerieten ins Fadenkreuz der Extremisten, und damit ebenso rechtsstaatliche Ordnung und Religionsfreiheit. So waren Menschen allen Alters und jeder Hautfarbe, aller Religionen und Gesellschaftsschichten betroffen und trugen Ihre Betroffenheit gemeinsam auf die Straße. Insbesondere die unzähligen Muslime haben dabei klargemacht: nicht mit uns, nicht in unserem Namen!

Von Paris geht daher ein Impuls, eine Botschaft aus an den Rest der Welt: wir nehmen es nicht hin, wenn unsere Freiheit, unsere Werte und unsere Rechtsordnung mit Füßen getreten wird. Im Kampf gegen Terrorismus und menschenverachtende Regime wie das des IS stehen wir zusammen. Und: Terrorismus begründet sich nicht durch einen Glauben.

Die Gefahr von Extremismus und Faschismus kommt allenfalls im Gewand von Religion und Ideologie daher, aber sie lässt sich in keine Schublade stecken. Die Instrumentalisierung von Ängsten gegenüber dem Islam, so wie AfD, Pegida und Le Pens Front National betreiben, ist daher ebenso niederträchtig, wie das Gedenken an die verstorbenen Karikaturisten für politische Zwecke zu missbrauchen.

Statt dumpfer Parolen brauchen wir einen breiten gesellschaftlichen Dialog zu Einwanderung und Integration. Gemeinden und Kommunen fehlt es an Mitteln, um Flüchtlingen eine menschenwürdige Unterbringung zu ermöglichen und dringend benötigte Bildungs- und Integrationsangebote zu schaffen. Leistungsbereiten Flüchtlingen wird der Zugang zu unserer Gesellschaft verwehrt, weil ihnen noch immer die Aufnahme einer Beschäftigung untersagt wird.

Die Große Koalition stampft lieber 1.600 Stellen zur Überwachung des Mindestlohnes aus dem Boden, anstatt sie für beschleunigte Asylverfahren und verbesserte Integration einzusetzen. Nur wenn wir solche Missstände offensiv angehen, können wir nationalistischen und fremdenfeindlichen Bewegungen auf Dauer den ideologischen Nährboden entziehen.

Trotzdem bin ich der Ansicht: Eine gut funktionierende Demokratie muss eine Bewegung wie Pegida ertragen können, ebenso wie sie Parodien, Karikaturen und Blasphemie aushalten kann. Voraussetzung ist, dass dies auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geschieht. Die 35.000 Gegendemonstranten, die am Wochenende für ein Dresden der Weltoffenheit und Mitmenschlichkeit auf die Straße gegangen sind, und die unzähligen Teilnehmer der vielen Anti-Pegida Kundgebungen in ganz Deutschland geben ohnehin die beste Antwort, die eine wehrhafte Bürgergesellschaft zu bieten hat.

Eines aber ist auch klarer denn je: Nein, werte Pegida-Demonstranten, „das Volk“ seid ihr nicht. Ihr seid ein kleiner Teil einer liberalen Gesellschaft, in der alle das Recht auf friedliche Versammlung und freie Meinungsäußerung selbstverständlich wahrnehmen dürfen.

Was es hingegen heißt, wenn „das Volk“ spricht, das haben wir am Wochenende in Frankreich gesehen – in all seiner bunten Vielfalt und tragischen Imposanz.

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