29.09.2014FDPSicherheitspolitik

LAMBSDORFF-Gastbeitrag: Ein peinliches Schauspiel

Berlin. Der Vizepräsident des Europäischen Parlaments und Vorsitzende der FDP im Europäischen Parlament FDP-Präsidiumsmitglied ALEXANDER GRAF LAMBSDORFF schrieb für die „Welt“ (Montag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Es musste ja so kommen! Nach dem Offenbarungseid der Bundeswehr wird jetzt die Verteidigungsministerin dazu gedrängt, eine Debatte über die Erhöhung des Verteidigungshaushalts zu beginnen. Ja, es stimmt: Die mangelnde Einsatzfähigkeit des militärischen Geräts, ob fahrend, fliegend oder schwimmend, ist eine Schande. Ja, es stimmt auch, dass das ein kollektives Versagen der deutschen Politik darstellt – nicht nur dieser, sondern auch früherer Bundesregierungen. Es stimmt auch, dass unsere Partner im Bündnis das schon lange wissen und deshalb gar nicht mehr auf Deutschland setzen, wenn es darum geht, internationale Krisen anzugehen. Während Frankreich und die USA mit der Unterstützung zahlreicher europäischer und arabischer Staaten aktiv gegen den IS (Islamischer Staat) vorgehen, wirft Deutschland einige Kleinwaffen in Kurdistan ab und versucht, mit kaputten Flugzeugen ein halbes Dutzend Ausbilder hinterherzuschicken.

Ein peinliches Schauspiel, an dessen Beschränktheit auch der PR-Besuch der Ministerin nicht das Geringste ändert. International nimmt diese deutschen Alibimaßnahmen niemand ernst, aber es wundert sich auch niemand mehr darüber. Deutschland ist ein wirtschaftlicher Riese und ein politischer Zwerg, wenn es darauf ankommt, westliche Werte und Interessen ernsthaft zu schützen.

Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht so, dass es unseren europäischen Partnern besser erginge. Der Versuch Englands, gleichzeitig seinen Haushalt zu konsolidieren und einen neuen Flugzeugträger zu bauen, ist kläglich gescheitert. Der Versuch Frankreichs, dasselbe zu tun, ebenfalls. Nur so, mit der finanziellen Notlage unserer beiden europäischen Verbündeten, ist der Lancaster-House-Vertrag zu erklären, der nächstes Jahr in Kraft treten wird: Ihr baut das Schiff, wir schicken die Flugzeuge. Auch wenn das Abkommen mit einiger Berechtigung als „Entente frugale“ verspottet wird, zeigt es in zweifacher Hinsicht den Weg in die Zukunft. Dieser Vertrag ist das einzige bedeutende Abkommen, mit dem zwei der wichtigeren europäischen Staaten sich zu umfassender Rüstungskooperation verabreden, also Abstand nehmen von der rein nationalen Betrachtung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Es wäre jedoch verkehrt, aus diesem Abkommen nun den Schluss zu ziehen, dass es deshalb mit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union voranginge. Das Gegenteil ist der Fall, denn der zweite wichtige Aspekt des Abkommens ist, dass es außerhalb aller Bündnisse geschlossen wurde. Da Großbritannien sich nicht an die Europäische Union und Frankreich sich nicht an die Nato binden wollte, haben beide Länder auf jeden vertraglichen Überbau verzichtet und ein rein bilaterales Abkommen abgeschlossen. Es gibt also keine politische „Theologie“, es gibt ein pragmatisches Vorgehen im Hier und Jetzt. Es wird höchste Zeit, dass sich auch Deutschland auf diesen Weg begibt. Man mag das als EU-Europäer oder Nato-Fan bedauern, doch es braucht jetzt einen grundlegend neuen Ansatz, denn in unserer Nachbarschaft nimmt die Zahl der Krisenherde seit Jahren zu. Die Zeit der institutionellen Glasperlenspiele ist vorbei, jetzt muss die ganz reale Ertüchtigung unserer europäischen Streitkräfte an erster Stelle stehen.

Was bedeutet das konkret? Erstens muss die Fiktion von der „Anlehnungsarmee“ aufgegeben werden. In der Bundeswehr glaubt man heute noch, andere Streitkräfte könnten und wollten sich an uns Deutsche für bestimmte Führungs- und Koordinierungsaufgaben „anlehnen“. Das mag für die Kleinstarmeen einiger kleinerer Verbündeter gelten, für relevante Staaten, das haben die Berichte dieser Tage deutlich gemacht, bedeutete die Anlehnung an Deutschland binnenkürzester Zeit einen unsanften Aufprall auf dem Boden der Tatsachen. Die Bundeswehr muss somit auf einige ihrer bisherigen Fähigkeiten verzichten, damit sie die anderen erstklassig entwickeln und verwirklichen kann. Zweitens, ja, es muss eine Debatte über den Verteidigungshaushalt geführt werden.

Ob das Ergebnis dieser Debatte aber ein höherer Haushalt ist oder einer, der besser ausgegeben wird, ist offen – sonst wäre es keine Debatte. Konkret: Ob Deutschland Waffensysteme selber entwickelt oder aber bereits bestehende in Schweden oder England kauft, macht einen riesigen Unterschied im Haushalt, aber einen ganz geringen in den erworbenen militärischen Fähigkeiten – und um die geht es letztendlich. Drittens muss der Übergang hin zu einer europäischen rüstungstechnologischen Basis in Angriff genommen werden. Deutschland und Europa brauchen leistungsfähige Hightechunternehmen, die diejenigen Fähigkeiten entwickeln, mit denen unsere Streitkräfte im Extremfall unsere Sicherheit gewährleisten.

Absurd ist aber, dass es in Europa 16 Hersteller von gepanzerten Fahrzeugen, sechs Hersteller von Kampfflugzeugen und sogar noch mehr Hersteller von maritimen Großsystemen, vulgo Schlachtschiffen, gibt. Weder die USA noch Russland oder China leisten sich eine derartige Zersplitterung. Fortschritte wird man gerade hier aber nur unter Verzicht auf „Theologie“ erzielen, weder in der Nato noch in der EU laufen diese längst begonnenen Prozesse mit der notwendigen Geschwindigkeit oder Ernsthaftigkeit.

Niemand weiß heute, ob am Ende eines solchen Prozesses etwas entsteht, das als „Europäische Armee“ bezeichnet werden kann. Niemand weiß auch, ob sich eine solche Armee dann in bestehende Institutionen einpassen lässt oder ob man neu denken muss. Aber das schockierende Eingeständnis der Bundeswehr ist ein Hilferuf an die Politik, jetzt endlich Ernst zu machen mit einem funktionierenden, und das heißt einem europäischen Ansatz in unserer sicherheitspolitischen Planung.

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