KUBICKI-Interview: Wir sind kein Vasallenstaat der Amerikaner
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI gab der „Welt“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte KARSTEN KAMMHOLZ:
Frage: Herr Kubicki, vor vier Jahren hat die FDP in Bremen 2,4 Prozent geholt. Wie geht die Wahl am Sonntag für die Liberalen aus?
KUBICKI: Ich mache gerade Wahlkampf in Bremen, und nach meiner Einschätzung werden wir zwischen 7 und 8 Prozent erreichen. Wir haben gute Umfragewerte. Und egal wo wir auftreten, werden wir sehr freundlich und warmherzig aufgenommen. Das war vor ein, zwei Jahren nicht der Fall.
Frage: Ist die FDP heute besser als vor vier Jahren?
KUBICKI: Das wage ich nicht zu behaupten. Die FDP wird von den Menschen aber anders wahrgenommen. Viele Mittelständler, Familienunternehmer und viele klassische Arbeitnehmer sagen uns: Es fehlt etwas in Deutschland. Die Menschen haben ein untrügliches Gespür dafür, dass nur das verteilt werden darf, was auch erwirtschaftet wird. Da hapert es momentan gewaltig in der Politik.
Frage: Sollte die FDP den Anspruch haben, in Bremen mitzuregieren?
KUBICKI: Den Regierungsanspruch sollten wir immer haben. Ich habe Lencke Steiner gesagt: Wenn es eine rot-gelbe Option gibt und Bürgermeister Böhrnsen bereit ist für einen neuen Partner, dann sollten wir uns einer sozialliberalen Koalition nicht verschließen. Aber das erste und wichtigste Ziel ist eine starke FDP in der Bürgerschaft. Das wäre ein Signal an den Bund, dass mit der FDP wieder zu rechnen ist und dass unsere Stimme gehört werden sollte.
Frage: Ansonsten verspricht die Wahl, wenig prickelnd zu werden ...
KUBICKI: Der Wahlkampf ist insgesamt langweilig. Die Einzigen, die auffallen, sind die Freien Demokraten. Ich fürchte aber, dieser nahezu schlafende Wahlkampf wird dazu führen, dass die Wahlbeteiligung extrem niedrig ausfällt. 2011 lag sie schon bei nur 55,5 Prozent. Ich wünsche es mir zwar nicht, sie wird diesmal wohl aber noch schlechter sein.
Frage: Bekanntlich säßen Sie selbst jetzt lieber im Bundestag als im schleswigholsteinischen Landtag. Welche Bilanz ziehen Sie nach anderthalb Jahren großer Koalition im Bund?
KUBICKI: Ich bin ernüchtert. Die SPD hat bis auf Steuererhöhungen alles, was sie in ihrem Wahlkampf versprochen hat, schon umgesetzt. Für ihre Themen hat die SPD 25 Prozent erhalten, und mehr hat sie auch heute nicht zu bieten. Und die Union irrlichtert durch die Gegend.
Frage: Woran machen Sie das fest?
KUBICKI: Jeder weiß, dass die Dokumentationspflicht beim Mindestlohn völliger Irrsinn ist. Die Union wollte das im Koalitionsausschuss noch ändern, aber die SPD hat die Union einfach abtropfen lassen. Das wird in vielen anderen Fragen auch passieren, aber das wird dem Renommee Angela Merkels nicht schaden. Die Kanzlerin vermittelt den Deutschen, dass sie jeden Abend beruhigt ins Bett gehen können, weil Angela Merkel über ihnen wacht. Ich bin gespannt, ob das in der BND-Affäre auch funktioniert.
Frage: Union und SPD schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Wer trägt die Verantwortung, wenn der BND der NSA möglicherweise bei Wirtschaftsspionage geholfen hat?
KUBICKI: Zunächst einmal tragen der BND selbst und das Kanzleramt als Fach- und Rechtsaufsicht die Verantwortung. Welche Personen zu welchen Zeitpunkten fahrlässig vorgegangen sind, ist noch nicht geklärt. Es ist einfältig von Innenminister de Maizière zu erklären, er habe zwar 2008 Kenntnisse erhalten, aber keine weiteren Maßnahmen ergriffen – nach dem Motto „Ich schau mal kurz weg, damit ich nicht mehr erfahre“. Was mich besonders bewegt, ist die Tatsache, dass die Bundesregierung glaubt, dem Parlament Informationen vorenthalten zu dürfen. Zur Not muss das Parlament seine Rechte vor dem Bundesverfassungsgericht einklagen.
Frage: Herr de Maizière hat die Affäre jedenfalls für beendet erklärt.
KUBICKI: Bei fast allen Affären versuchen die Betroffenen, sie für beendet zu erklären. Die meisten bleiben zum Schluss auf der Strecke. Das war bei Herrn zu Guttenberg so, bei Frau Schavan auch. Es wird im BND-Skandal weitere Aufklärung geben, und die Ergebnisse werden am Ende bei Herrn de Maizière hängen bleiben.
Frage: Muss er um sein Amt fürchten?
KUBICKI: Welches Vertrauen strahlt ein Innenminister aus, der die Vorratsdatenspeicherung will und gleichzeitig nicht ausschließen kann, dass Sicherheitsdienste gegen die Interessen der eigenen Bürger tätig geworden sind? Das Vertrauen in ihn ist erschüttert.
Frage: SPD-Chef Gabriel besteht auf der Herausgabe der BND-Liste mit den Spionagezielen in Europa. Ist es überhaupt realistisch, dass die Bundesregierung diese jemals freigibt?
KUBICKI: Die Regierung ist dem Parlament gegenüber verpflichtet, die Daten freizugeben. Das Kontrollrecht des Bundestages muss in dieser Frage voll ausgeschöpft werden. Andernfalls leben wir nicht mehr in einem Rechtsstaat, sondern in einem Willkürstaat. Es kann auch nicht sein, dass die Bundesregierung erst mal abwartet, was die USA zu sagen haben. Wir sind ein souveräner Staat und kein Vasallenstaat der Amerikaner.