16.07.2017FDPInnen

KUBICKI-Interview: Hieße es Braune Flora, würden alle sagen: Schluss damit

Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki gab der „Welt am Sonntag“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Thorsten Jungholt und Jacques Schuster:

Frage: Herr Kubicki, in Ihrer Freizeit schauen Sie gern Kriegsfilme. Hat Sie das, was Sie in Hamburg sahen, auch entspannt?

Kubicki: Nein, weil das, was wir dort sahen, die Wirklichkeit war: marodierende, schwarz gekleidete Horden ziehen durch die Stadt und leben ihre Zerstörungswut aus.

Frage: Es wird oft behauptet, die Sicherheitsbehörden seien auf dem rechten Auge blind. Gilt das auch fürs linke?

Kubicki: Nicht die Sicherheitsbehörden sind auf dem linken Auge blind, aber es gibt einige politische Kräfte, die es sind. Wenn ich den Genossen Stegner höre, der sagt, Linke können keine Gewalttäter sein, dann wundere ich mich über diese himmelschreiende Einseitigkeit. Wenn Rechtsextremisten ein Flüchtlingsheim angreifen, wird sofort erklärt, die geistigen Brandstifter säßen in der CDU und CSU, wenn aber Linksextremisten ganze Stadtviertel ruinieren, dann haben Sozialdemokraten, die Linkspartei und die Grünen nichts damit zu tun. Was hat man in den letzten Tagen nicht für tollkühne Interpretationen serviert bekommen? Angeblich habe die Polizei provoziert, sodass die andere Seite fast in Notwehr Gewalt ausüben musste. Ich finde es respektlos gegenüber unserem Rechtsstaat, so zu argumentieren.

Frage: Warum tut sich die Linke so schwer mit der Verurteilung linker Gewalt?

Kubicki: Bei einigen aus den drei Parteien gehört der Kampf gegen die Polizei zur genetischen Grundlage. Bei den Grünen war es der Kampf gegen die Atomkraft, etwa in Brokdorf, wo es hieß, man müsse sich gegen die Unterdrückung der Staatsmacht wehren. Jetzt heißt es, man übe nur Gegengewalt gegen die Mächte aus, die den Planeten zerstören. Als ob es dann legitim wäre. Absurd! Und wenn die SPD erklärt, die Linke habe nie etwas mit Gewalt zu tun gehabt, dann möchte ich die Damen und Herren an ihr Engagement für die diversen revolutionären Bewegungen in Lateinamerika erinnern. Gewalt hat keine Legitimation – weder von links noch von rechts.

Frage: Haben wir genug getan, um die Justiz so aufzustellen, dass sie in Sonderlagen wie beim G 20 wirkungsvoll arbeiten kann?

Kubicki: Nein. Wir sehen nicht nur in Hamburg, sondern überall: Wir haben bei den Staatsanwaltschaften und den Gerichten zu viel gespart. Die Tatsache, dass in Hamburg nicht schnell genug gehandelt werden konnte, ist ein Beleg dafür. Wir müssen nicht nur daran denken, die Polizei besser auszustatten, sondern auch die Justiz. Gerade Hamburg hat eine Menge Nachholbedarf. Ich weiß aus eigener Erfahrung als Anwalt: Die Hamburger Justiz ist überlastet.

Frage: Es war vor ewigen Zeiten der liberale Berliner Justizsenator Hans-Günter Hoppe, der während der Studentenunruhen Schnell- und Standgerichte einführen wollte. Für Sie ein Modell?

Kubicki: Standgerichte hört sich immer wie kurz vor dem Erschießen an. Das ist für mich kein Modell. Aber Schnellverfahren gibt die Strafprozessordnung bereits her. Das kennen wir von Fußballspielen. Da sind dann Staatsanwälte und Richter vor Ort. In Hamburg gab es die Möglichkeit auch. Aber auch da kennt der Rechtsstaat Grenzen. Jeder Angeklagte hat das Recht, sich ordentlich verteidigen zu lassen. Ich sage als Anwalt: Ich würde einem Schnellverfahren nur bei eindeutiger Beweislage zustimmen. Diese Rufe nach Schnellverfahren sind in der Lage nach Hamburg verständlich, aber sie helfen nicht weiter. Was wir brauchen, ist mehr Personal – für die Justiz und für die Polizei. Vielleicht müssen wir in Zukunft Spezialeinheiten an die betreffenden Orte schneller heranführen, damit die Krawalle dann auch schnell beendet werden können.

Frage: Die FDP strebt eine Verfassungsklage gegen das Gesetz der Onlinedurchsuchung und Telekommunikationsüberwachung an und will die Vorratsdatenspeicherung wieder abschaffen. Wäre es mit Blick auf die Ereignisse in Hamburg nicht sinnvoll, die Handys gewaltbereiter Linksradikaler präventiv zu überwachen?

Kubicki: Das ändert doch nichts daran, dass die Täter aus dem schwarzen Block ihre Gewalttaten begehen. Zudem wissen wir, dass sich die Täter unmittelbar vor den Krawallen neue Handys beschafft haben. Die Durchsuchung von Telekommunikationsdaten im Nachhinein hilft nicht weiter. Und präventiv nützt sie auch nichts. Und was die Vorratsdatenspeicherung angeht, so ist sie tot. Darüber müssen wir uns nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keine Illusionen machen. Die Durchsuchung von WhatsApp oder anderer Messengerdienste birgt wiederum die Gefahr in sich, dass damit nicht nur die gezielten Informationen abgefragt, sondern auch die Daten auf den Smartphones verändert werden können. Ich bin als Verteidiger begeistert, mir vorzustellen, wie Richter urteilen, wenn ich ihnen sagte, die Daten meines Mandanten stammen gar nicht von ihm, sondern von einem Staatstrojaner. Das zu widerlegen wird schwierig werden. Also: Schluss mit den Schnellschüssen.

Frage: Gegenwärtig erleben wir eine Debatte über die Einführung einer europäischen Linksextremisten-Datei. Ließe sich diese Datei mit Ihrem Verständnis von Datenschutz vereinbaren?

Kubicki: Selbstverständlich. Dort, wo wir Gefährderanalysen haben, brauchen wir Gefährderdateien. Das haben wir für die Rechtsextremen. Das sollten wir für die Linksextremen auch einführen. Nur auf diese Weise lässt sich die Szene im Auge behalten.

Frage: Wird es nicht endlich Zeit, die Rote Flora aufzulösen?

Kubicki: Der Hamburger Senat hat es versäumt, diesen Hort des Linksextremismus zu beseitigen. Wir brauchen uns nur vorstellen, wie der Senat reagieren würde, wenn die „Rote Flora“ „Braune Flora“ hieße und von Rechtsextremisten betrieben würde. Da würden wir alle auf der Matte stehen und sagen: Schluss damit! Bei Linksradikalen haben bestimmte Kreise allerdings Verständnis, dass sie einen Freiraum brauchen. Ganz grundsätzlich gilt: Es darf in Deutschland keine rechtsfreien Räume geben. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem wegweisenden Urteil im Jahre 2014 zutreffend festgestellt, dass es ein überragendes Interesse der Allgemeinheit daran gibt, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften entgegenzuwirken. Wir können solche Räume nicht zulassen, in die die Polizei zum Teil gar nicht mehr hineingeht – oder nicht hineingehen kann. Das wäre falsch verstandene Toleranz – denn sie führt zur gesellschaftlichen Desintegration. In diesem Sinne wären die Verantwortlichen gut beraten, die rechtsfreien Räume der Roten Flora, aber auch die der Berliner Rigaer Straße möglichst auf friedlichem Wege zu beseitigen.

Frage: Früher hat die FDP bei einer Regierungsbeteiligung regelmäßig den Justizminister gestellt. In Düsseldorf und Kiel haben Sie nun darauf verzichtet. Heißt das, dass Bürgerrechte auf Ihrer Prioritätenliste nur noch unter ferner liefen stehen?

Kubicki: Auf keinen Fall. Allerdings muss man sehen, dass die Justizminister im Bund und den Ländern über Jahre Kompetenzen verloren haben. Wann immer man sich mit der Rechtsstaatlichkeit befasst, sind die Innenministerien gefragt. Leider können wir Freien Demokraten nicht beliebig viele Ministerien besetzen. So ist die Frage: Wo ist unser Schwerpunkt in der Regierungsverantwortung? In Kiel haben wir den Schwerpunkt auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und die wesentlichen Zukunftsfragen gelegt, die sich etwa aus der Digitalisierung ergeben.

Frage: Sie sind gerade auf Kreuzfahrt. Wann beginnt für Sie die heiße Phase des Wahlkampfes?

Kubicki: Unmittelbar nach meiner Rückkehr am 18. Juli. Darauf freue ich mich schon.

Frage: Welche Schwerpunkte werden Sie persönlich im Wahlkampf setzen?

Kubicki: Ich werde den Schwerpunkt auf die Innen- und Rechtspolitik legen. Was passiert mit unserem Rechtsstaat? Wie können wir ihn effektiver gestalten? Darüber hinaus werde ich mich um die Beantwortung der Frage kümmern: Wie können wir unseren hohen Wohlstand in der Zukunft halten und ausbauen? Wie gehen wir mit den Folgen der Digitalisierung um, die Hunderttausende von Menschen schlagartig betreffen wird? Wir schaffen wir es, dass die Menschen keine Angst vor der Digitalisierung haben? Das sind die Themen, die meinen eigenen Wahlkampf bestimmen werden.

Frage: Die FDP-Wahlkampagne ist auf Christian Lindner fokussiert. Ist das mit Ihrer Eitelkeit vereinbar?

Kubicki: Selbstverständlich. Die Union plakatiert Angela Merkel, die SPD wahrscheinlich Martin Schulz, wenn er bis dahin noch Spitzenkandidat ist. Und wir unseren Parteivorsitzenden.

Frage: In Kiel haben Sie ein Jamaika-Bündnis mitbegründet. Wenn Sie die Häme der Grünen nach der Vorstellung der FDP-Wahlkampagne sehen: Ist Jamaika im Bund mit Figuren wie Trittin oder Hofreiter vorstellbar?

Kubicki: Lassen Sie uns sehen, wie wir am 24. September dastehen. Wir können uns das Wahlergebnis nicht schnitzen. Wenn es nach mir ginge, würde die FDP allein regieren. Ich bin mir sicher, dass die Grünen flexibel sind, wenn es darum geht, an der Regierung beteiligt zu sein.

Frage: In welcher Rolle sehen Sie sich nach der Bundestagswahl?

Kubicki: In der Rolle eines fröhlichen, lebenslustigen Menschen. Wie jetzt auch. Sollten wir über Koalitionen verhandeln, werde ich jedenfalls zur Verhandlungsdelegation gehören.

Social Media Button