15.11.2013FDP

KUBICKI-Interview für „n-tv.de“

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied WOLFGANG KUBICKI gab „n-tv.de“ (heute) das folgende Interview. Die Fragen stellte Issio Ehrich:

Frage: Die FDP musste 2009 mit der Union um einen Koalitionsvertrag kämpfen. Was raten Sie der SPD, um möglichst viel für sich herauszuholen?

KUBICKI: Das macht die SPD schon selbst. Sie hat ihre strategischen Optionen sehr gut genutzt. Sie hat Mindestanforderungen definiert und mit einem Mitgliederentscheid verknüpft. Das setzt die Union massiv unter Druck. Denn es kommt nicht nur darauf an, was sie mit der Verhandlungsdelegation der SPD erreicht, sondern auch darauf, dass die SPD-Mitglieder dem am Ende auch zustimmen können.

Frage: Auf ihrem Parteitag in Leipzig hat sich die SPD einer Koalition mit der Linken geöffnet. Ist auch das strategisch klug?

KUBICKI: Damit setzt sie die Union weiter unter Druck. Die SPD kann jetzt auch in einer laufenden Legislaturperiode eine andere Mehrheit herstellen, die Union nicht.

Frage: SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte in Leipzig, die SPD solle zum wahren Hort des Liberalismus werden. Ein weiteres geschicktes Manöver, oder?

KUBICKI: Das ist vermessen. Liberalismus kümmert sich um die Privatsphäre von Menschen, ohne sie auszuforschen, wie es bei der Vorratsdatenspeicherung der Fall sein wird, die SPD und Union beschließen werden. Wahrer Liberalismus kümmert sich darum, Menschen zu helfen, sich selbst zu helfen. Er hält sie nicht in Abhängigkeit. Wahrer Liberalismus kümmert sich darum, dass man erst mal einnimmt, was man verteilen will. Wahrer Liberalismus kümmert sich darum, dass man keine Schulden zu Lasten der kommenden Generationen macht. Die SPD ist das Gegenteil von dem, was wahrer Liberalismus ist.

Frage: Was halten Sie von der Verhandlungsstrategie der Union?

KUBICKI: Wenn man überhaupt von einer Strategie sprechen kann, dann ist es eine Defensivstrategie - wie beim Riegel-Rudi vom MSV Duisburg. Kein Stürmen ins andere Feld, sondern verteidigen auf Teufel komm raus. So kann man vielleicht unentschieden spielen. Gewinnen kann man nicht.

Frage: Darf sich die Union mit einem Unentschieden zufriedengeben?

KUBICKI: Die Union steckt in einem Dilemma. Sie hat im Wahlkampf versprochen, bei Steuern und Abgaben zurückhaltend zu sein und an der Haushaltskonsolidierung festzuhalten. Aber alles, was bisher in den Arbeitsgruppen verhandelt wurde, kostet eine Unsumme an Geld, fast 70 Milliarden Euro. Die Union kann nicht erklären, wie das ohne Steuererhöhungen finanziert werden kann.

Frage: Die SPD taktiert also geschickt, die Union steckt in der Klemme - was haben Sie für ein Gefühl, wenn Sie an die nächsten vier Jahre Große Koalition denken?

KUBICKI: Ein sehr schlechtes. Die letzte Große Koalition hat zum Stillstand aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen geführt. Und man sieht jetzt schon, noch während der Verhandlungen, dass die künftigen Koalitionspartner die Schützengräben ausheben, aus denen sie sich anschließend befeuern wollen. Die SPD macht auf ihrem Parteitag ja deutlich, dass ihr eigentlich daran gelegen ist, spätestens 2017 eine völlig andere Koalition einzugehen. Das ist keine gute Voraussetzung für eine gemeinsame Regierung.

Frage: Kommt es im Laufe der Legislaturperiode zum Bruch?

KUBICKI: Ja, da bin ich mir sicher. Und darauf legt es die SPD auch an. Die Sozialdemokraten haben aus Nordrhein-Westfalen gelernt. Die erste Legislaturperiode von Hannelore Kraft ist die Blaupause. Man guckt sich das ein Jahr lang an. Dann stellt man fest: Es funktioniert nicht. Ende des nächsten Jahres wird es dann ausreichend Erklärungen dafür geben, warum es keine Neuwahlen geben darf: Europa ist in Gefahr, die Welt ist in Gefahr, Deutschland ist in Gefahr. Und dann wird eine rot-rot-grüne Regierung installiert, oder eine rot-grüne unter kurzfristiger Duldung der Linken. Die Öffnung dafür hat die SPD ja schon in Leipzig vollzogen. Dann nimmt sich die SPD ein Jahr lang Zeit, um Neuwahlen vorzubereiten. Danach wird es heißen: Wir brauchen jetzt verlässliche Verhältnisse.

Frage: Und die Union muss das hilflos mit ansehen?

KUBICKI: Die Union ahnt schon, was ihr bevorsteht und wird im nächsten Jahr keine Angriffsfläche bieten, keinen Grund für die Sozialdemokraten, die Koalition zu beenden. Dadurch wird das Bild der Union aber noch nebulöser. CDU und CSU werden so ihre eigenen Wähler vertreiben.

Frage: Und das kommt natürlich der FDP zugute...

KUBICKI: Egal, was passiert. Ob Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün: Es wird der FDP zugute kommen. Die Menschen merken übrigens jetzt schon bei den Koalitionsverhandlungen, dass ein liberales Gegengewicht fehlt. Dass eine Partei fehlt, die die soziale Marktwirtschaft verteidigt und gleichzeitig wie keine andere in dem Zusammenspiel mit der wirtschaftlichen Freiheit auch die private Freiheit sichern will.

Frage: Das klingt wahnsinnig zuversichtlich. Die FDP kommt also zurück, komme was wolle.

KUBICKI: Wir waren auf der Intensivstation und werden gerade auf die Normalstation verlegt. Jetzt dauert es noch ein bisschen, dann geht's in die Reha. Und nach der Reha dauert es nochmal ein bisschen, dann geht es daran, die politische Szene in Deutschland wieder zu erobern. Ich mache mir um meine Partei keine Sorgen.

Frage: Wie erobert die FDP die politische Szene zurück?

KUBICKI: Zunächst einmal müssen wir uns personell komplett neu aufstellen. Diejenigen, die bisher das Bild der FDP bestimmt haben, sind weggewählt. Ich hab mich deshalb entschieden, am Wiederaufbau der FDP aus den Trümmern mitzuwirken. Ich bin jetzt Trümmerfrau, wie man in Berlin sagen würde. Ich gehe davon aus, dass ich auf dem Bundesparteitag zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt werde und dann mit Christian Lindner und anderen das Bild der FDP wieder zurechtrücken kann.

Frage: Wie?

KUBICKI: Es kommt auf ein anderes Auftreten der FDP an - weniger schrill, weniger großmäulig, vielleicht nachdenklich. Meine Partei muss zunächst ihre eigene Stärke wiederfinden, dann Themenfelder definieren, und dann wird man sehen, welche Mehrheiten sich dafür finden lassen. Alle Parteien suchen ja nach neuen Koalitionsoptionen. Ich war in den letzten 43 Jahren meines politischen Lebens nie jemand, der sagt, wir können nur mit der Union koalieren. Es gibt vernünftige Sozialdemokraten. In Hamburg zum Beispiel. Oder auch Peer Steinbrück. Der ist ja ein vernünftiger Volkswirt.

Frage: Die FDP ist nicht mehr im Deutschen Bundestag, und wir sprechen über künftige Regierungsoptionen. In den vergangenen Wochen fiel auf, dass Sie ungewohnt wenig Fernsehauftritte hatten. Gerät die FDP nicht tatsächlich in Vergessenheit?

KUBICKI: Im Gegenteil, ich hab mir einfach nur eine Auszeit genommen. Ich habe ja 60 Jahre lang in der Gewissheit gelebt, dass es die FDP im Deutschen Bundestag gibt. Ich habe, wie viele andere auch, mit so einem Wahlergebnis nicht gerechnet. Ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen. Das muss man mental auch erst mal verkraften. Aber die Auszeit ist jetzt vorbei, ich werde in den nächsten Wochen wieder verstärkt nicht nur auf den Bildschirmen, sondern auch in Printmedien zu sehen sein.

Frage: Es gibt viele FDP-Mitglieder, die nicht derart optimistisch sind. Die Jungen Liberalen aus Sachsen-Anhalt debattieren gerade darüber, das Schlachtverbot von Hunden abzuschaffen, um ihren "liberalen Ansatz" herauszustellen. Das klingt nach schlimmster Verzweiflung.

KUBICKI: Das ist kein Akt der Verzweiflung, sondern womöglich ein Akt der Orientierungslosigkeit. In der Parteigeschichte gab es schon immer Vorschläge von Jugendorganisationen aber auch anderen, die nicht sonderlich durchdacht waren. Dass einige deprimiert sind, weil sie sich einen Bundestag ohne FDP nie haben vorstellen können, das leuchtet mir ein. Möglicherweise brauchen die noch eine etwas längere Erholungsphase als ich.

 

 

Social Media Button