08.05.2014FDPFDP

KUBICKI-Interview für „Die Welt“

Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI gab der „Welt“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte THORSTEN JUNGHOLT:

Frage: Mit 4,8 Prozent ist die FDP bei der Bundestagswahl untergegangen. Wie viel Prozent braucht es bei der Europawahl, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen, Herr Kubicki?

KUBICKI: Viele in der Partei sagen: Das ist relativ egal, weil wir vor einem langen Weg stehen. Christian Lindner hat von einem Marathonlauf gesprochen, den man nicht mit großer Geschwindigkeit beginnt, sondern verhalten. Das stimmt schon. Aber auch beim Marathonlauf braucht man Zwischenstationen, an denen man Wasser tankt. Wahlen sind solche Stationen, wo wir uns Energie in Form von guten Ergebnissen holen müssen. Deshalb liegt die Benchmark für mich bei fünf Prozent.

Frage: Präsidiumskollegen von Ihnen rechnen vor: In der Vergangenheit habe man bei Europawahlen rund zwei Drittel des Ergebnisses einer Bundestagswahl geholt. Das wären dann drei Prozent – realistisch oder kleinmütig?

KUBICKI: Das ist sehr kleinmütig. Wenn das richtig wäre, hätten wir nie so große Erfolge errungen wie bei der Europawahl 2009. Ich komme aus einem Landesverband, der bei keiner Wahl seit 2000 weniger als fünf Prozent hatte. In Schleswig-Holstein wird es so bleiben. Ich hoffe, dass es auch bundesweit so kommt.

Frage: Fehlt Ihren Kollegen der nötige Kampfgeist?

KUBICKI: Das glaube ich nicht. Ich sehe jedenfalls, dass Christian Lindner und ich bei unseren Auftritten viel positive Resonanz bekommen. Dort ist die Motivation hoch.

Frage: Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig hat jüngst sinngemäß gesagt: Die Mimosen der SPD haben keine Chance gegen die Machtpolitikerin Angela Merkel. Trifft das auch auf die FDP zu?

KUBICKI: In der Zeit zwischen 2009 und 2013 traf das zweifellos zu. Unsere Führungskräfte haben damals immer geklagt, dass Frau Merkel den Liberalen nichts gönne. Das war eine Demonstration der Schwäche, für die man in der Regel nicht gewählt wird.

Frage: Sie analysierten damals, die FDP habe als Marke generell „verschissen“. Wie bewerten Sie die liberale Marke heute?

KUBICKI: Im Aufbruch. Man kann die FDP mit Opel vergleichen. Opel macht gerade eine wunderbare Werbekampagne, die heißt: Umparken im Kopf. So etwas versuchen wir auch, nur eben auf dem Markt der Meinungen. Die FDP parkt um – im Kopf und in der praktischen Politik.

Frage: Dennoch dümpeln Sie in Umfragen bei drei bis fünf Prozent. Eine andere außerparlamentarische Partei liegt konstant bei rund sechs Prozent: die AfD. Warum findet Bernd Lucke mehr Zustimmung als Lindner?

KUBICKI: Herr Lucke und die AfD bedienen sehr subtil populistische, teils deutschtümelnde Strömungen. Beim Thema Zuwanderung schürt die Partei besonders im Osten die Furcht vor der Wegnahme von Arbeitsplätzen durch Ausländer. Die AfD benutzt europaablehnende und teils nationalistische Formulierungen. Ich sage voraus: Diese Partei wird sich selbst erledigen, so wie sich die Piraten erledigt haben. Mit dem Bedienen von Ressentiments und Ängsten ist auf Dauer keine vernünftige Politik zu machen.

Frage: Noch sieht es nicht danach aus. Wie lange wird sich das Phänomen AfD halten?

KUBICKI: Unmittelbar nach der Europawahl geht die AfD unter. Dann ist das zentrale Thema der Euro-Feindlichkeit weg. Herr Lucke und Herr Henkel, die ja unbedingt in parlamentarische Gremien wollen, werden sich dann mit den Realitäten in Europa auseinandersetzen müssen. Das wird die Herren viel Kraft und Zeit kosten.

Frage: An plakativen Forderungen mangelt es auch in Ihrer Partei nicht: Ihr Europa-Spitzenkandidat Alexander Graf Lambsdorff fordert eine Debatte über längere AKW-Laufzeiten, der EU-Parlamentarier Theurer will die 16 Bundesländer abschaffen. Nur finden diese Vorschläge kaum öffentliche Resonanz. Woran liegt das?

KUBICKI: Diese Themen treffen offenbar nicht den Nerv der Bevölkerung. Ich erkläre meinen Parteifreunden immer wieder, dass wir Antworten auf die Fragen der Zeit geben müssen und nicht neue Fragen stellen sollten, für deren Antworten sich kaum jemand interessiert.

Frage: Soll heißen?

KUBICKI: Wir erklären zwar, dass wir ein Problem mit der Rente mit 63 und der Mütterrente haben. Aber wir entwickeln kein eigenes Konzept, das die Menschen erreicht. Das wollen wir jetzt auf dem Parteitag ändern. Wir schlagen zum Beispiel vor, dass die Arbeitnehmer selbst mit den Arbeitgebern verhandeln, ob sie mit 60 oder vielleicht mit 70 in Rente gehen. Außerdem haben wir keine vernünftige Positionierung in der Ukraine-Krise.

Frage: Wie sollte die grundsätzliche Position der FDP in der Ukraine-Krise denn aussehen?

KUBICKI: Wir sollten auf Säbelrasseln verzichten. Wer dauernd härtere Sanktionen oder mehr Nato-Präsenz in Osteuropa fordert, der muss irgendwann die Frage beantworten, bei welcher Eskalationsstufe er aussteigt. Fakt ist doch: Eine Lösung wird es nur mit Russlands Präsident Putin geben, nicht ohne ihn. Deshalb muss man versuchen, die Bedrohungslage zu verstehen, die Putin empfindet – und diese Ängste entkräften.

Frage: Die FDP also als ein weiterer verständnisvoller Putin-Versteher?

KUBICKI: Was ist denn die Alternative? Wie vor dem Ersten Weltkrieg einen Automatismus in Richtung militärischer Auseinandersetzung in Gang zu setzen? Nein, man muss miteinander reden, auf allen Ebenen. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum der Nato-Russland-Rat nicht längst einberufen wurde. Der ist für Lagen wie diese doch gemacht worden.

Frage: Im Kern beschreiben Sie die Politik der Bundesregierung.

KUBICKI: Ich lobe Merkel und Steinmeier auch ausdrücklich für ihre sehr abgewogene Haltung in der Ukraine-Krise.

Frage: Also besteht die außenpolitische Position der FDP im Lob der Kanzlerin?

KUBICKI: Das wäre ein bisschen einfach. Ich plädiere im Kern dafür, die Politik von Hans-Dietrich Genscher und Helmut Kohl fortzusetzen, die sich im Kalten Krieg um die Annäherung im Verhältnis zwischen Ost und West, zwischen Deutschland und Russland bemüht haben. Wenn die Bundesregierung das macht, darf man sie auch mal loben. Es ist ja auch die einzige Stelle, an der ich sie lobe.

Frage: Wie wichtig ist eine Aussöhnung mit der Union für die FDP?

KUBICKI: Das Verhältnis zur Union spielt momentan nur eine untergeordnete Rolle. Zum einen, weil wir in der APO sind. Zum anderen, weil wir uns anders als früher Optionen in alle Richtungen offen halten wollen. Ich merke, dass auch bei den Sozialdemokraten mittlerweile die Erkenntnis gereift ist, dass sie sich jenseits von Rot-Rot-Grün oder einer großen Koalition mehr Optionsräume verschaffen müssen. Es gibt jedenfalls erste Annäherungen von Seiten der SPD.

Frage: Von Ralf Stegner, der dafür in der SPD-Führung ja zuständig ist?

KUBICKI: Sicher nicht. In Schleswig-Holstein spricht mit Herrn Stegner niemand, weil er die SPD als linken Kampfverband versteht und damit viel verbrannte Erde hinterlassen hat. Aber er ist ja auch nur die Nummer sechs bei der SPD.

Frage: Wer ist denn dann ihr Ansprechpartner?

KUBICKI: Ich persönlich rede in Kiel mit dem Ministerpräsidenten Albig. Und auf Bundesebene mit anderen Führungskräften, deren Name nicht in die Zeitung gehört.

Frage: Haben Sie mit Herrn Albig schon über dessen Vorschlag einer Sonderabgabe geredet, um die Schlaglöcher auf den Straßen des Landes zu schließen?

KUBICKI: Zunächst einmal ist das Thema extrem wichtig. Schleswig-Holstein ist ja das erste Land, das Schlaglöcher nicht mehr beseitigt, sondern per Kataster verwaltet. Die Infrastruktur befindet sich bundesweit in teils schlimmem Zustand, das ist eine echte Investitionsbremse, die schleunigst gelöst werden muss. Allerdings weder mit einer Sonderabgabe noch mit einer Maut. Autofahrer und Spediteure zahlen schon jetzt jährlich 50 Milliarden Euro – die fließen nur nicht in die Instandhaltung der Straßen. Man könnte auf die Idee kommen, die von der Bundesregierung für die Rentenreform eingeplanten Mittel lieber in die Infrastruktur zu stecken. Denn bevor Sozialleistungen verteilt werden, müssen erst einmal die Bedingungen gesichert werden, dass sie überhaupt erwirtschaftet werden können.

 

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