13.07.2013FDPDatenschutz

KUBICKI-Interview für die "Stuttgarter Zeitung"

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied WOLFGANG KUBICKI gab der "Stuttgarter Zeitung" (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte RAINER PÖRTNER:

Frage: Herr Kubicki, als Sie zu Beginn dieses Jahres gefragt wurden, warum Sie für den Bundestag kandidieren, war die Antwort: "Ich will nicht zusehen, wie meine Partei vor die Hunde geht." Ist diese Gefahr inzwischen gebannt?

KUBICKI: Die Befürchtung, dass die FDP vor die Hunde geht, habe ich nicht mehr. Vor einem Jahr ging es uns miserabel. Nach den Wahlerfolgen von Christian Lindner in Nordrhein-Westfalen und von mir in Schleswig-Holstein haben viele gesagt, dass wir auch stärker auf den Kurs der Bundespartei einwirken sollen. Christian Lindner hatte seinen Wählern versprochen, dass er in Nordrhein-Westfalen bleibt. Da ich nicht noch einmal als Spitzenkandidat zu einer Landtagswahl antrete, habe ich mich für die Kandidatur zur Bundestagswahl entschieden.

Frage: Wir haben Sie richtig verstanden: die FDP kann nur durch Lindner und Kubicki gerettet werden?

KUBICKI: Nicht nur. Es ging insgesamt um ein besseres Erscheinungsbild der FDP auf Bundesebene…

Frage: Wo allerdings Philipp Rösler und Rainer Brüderle weiter an der Spitze stehen?

KUBICKI: Ja, aber die Diadochenkämpfe sind entschieden. Die Formation steht. An der wird sich in den nächsten zwei Jahren auch nichts ändern.

Frage: Sie haben sich selbst immer wieder als "Sozialliberaler" charakterisiert. Mit Peer Steinbrück könnten Sie sofort koalieren. Warum tun sie es dann nicht?

KUBICKI: Peer Steinbrück ist ein vernünftiger Ökonom. Achtzig Prozent von dem, was er denkt, kann ich unterschreiben. Wir haben ja zusammen in Kiel studiert. Als er Minister in Schleswig-Holstein war, war er häufiger bei mir als bei seinen Genossen. Wir kennen uns seit langem und könnten uns sicher schnell einigen. Aber mit der SPD und ihrem heutigen Programm ist eine Koalition ausgeschlossen.

Frage: Was ist der entscheidende Knackpunkt?

KUBICKI: Lesen Sie Peer Steinbrücks Buch "Unterm Strich". Darin vertritt er genau das Gegenteil von dem, was er heute als Kanzlerkandidat sagt. Die ganze Ideologie, den Leuten erst Geld wegzunehmen, um es dann über den Staat neu zu verteilen - das widerspricht diametral dem, wofür Peer Steinbrück vorher stand. Und auch diametral den Positionen der FDP.

Frage: Machen Ihnen die letzten vier Jahre schwarz-gelber Koalition wirklich Lust auf mehr? Es waren Jahre mit viel Stillstand und ständigem Streit.

KUBICKI: Es gibt keine Nation in Europa, die so gut durch die Eurokrise gekommen ist wie Deutschland. Offensichtlich haben wir vieles richtig gemacht. Wir haben die Bürger und die Wirtschaft um insgesamt 23 Milliarden Euro entlastet, gleichzeitig 12 Milliarden Euro mehr für Bildung ausgegeben als die Vorgängerregierung. Und wir haben die Neuverschuldung deutlich nach unten verschoben. Keine so schlechte Bilanz.

Frage: Und was spricht dafür, dass sich das Klima unter den Koalitionären verbessert?

KUBICKI: Die CDU hat den großen Erfolg der FDP in der Wahl 2009 lange nicht verkraften können. Das wird nach der nächsten Wahl einfacher sein. Die FDP wird etwas schrumpfen, aber es wird wieder für Schwarz-Gelb reichen. Und die beteiligten Personen haben sich inzwischen auf einer vernünftigen Arbeitsebene gefunden.

Frage: Liefert sich die FDP Angela Merkel aus?

KUBICKI: Ich habe selbst in Schleswig-Holstein schon in einer schwarz-gelben Koalition regiert. Da ist nie der Eindruck entstanden, die FDP sei nur ein Additiv zur CDU.

Frage: Für Sie gehört ein ordentlicher Zoff auch zu einer ordentlichen Koalition?

KUBICKI: Kein Zoff um des Zoffes willen. Aber Streit in der Sache gehört dazu. Außerdem kann ich mir wahrlich nicht vorstellen, dass ich mir in Berlin die Zunge versiegeln lasse.

Frage: Die Union geht mit teuren Wahlversprechen ins Rennen: mehr Geld für Bildung, für Verkehr, für ältere Mütter. Haben diese Mehrausgaben mit der FDP eine Chance?

KUBICKI: Natürlich tragen jetzt alle Parteien erst mal vor, was sie wollen. Auch ich bin der Meinung, dass etwa die Mütterrente anders organisiert werden sollte. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit gegenüber der Generation, die zum Aufbau dieses Land beigetragen hat. Aber es wird nur gemacht, was finanzierbar ist. Wir sollten eine Prioritätenliste aufstellen: was kommt als erstes, was als zweites - jeweils dann, wenn das Geld dafür da ist. Priorität hat für mich die Bildung. Ich frage mich beispielsweise, warum wir in deutschen Schulen nicht jedem Schüler einen Laptop zur Verfügung stellen - so wie in manchen asiatischen Ländern. Damit nicht die Kinder aus ärmeren Familien auch noch an dieser Stelle abgehängt werden.

Frage: Könnten Koalitionsgespräche am Thema Datenschutz scheitern, bei dem Union und FDP bisher offenkundig keinen Konsens finden?

KUBICKI: Im Moment erlebe ich eine CDU, die sich als lernfähig erweist. Auch sie will nun die anlasslose, zweijährige Speicherung von Telekommunikationsdaten nicht mehr.

Frage: Wären die Grünen und die SPD beim Datenschutz bessere Partner?

KUBICKI: Verbal ja, faktisch nein. Nehmen Sie diese wunderbare grün-rote Regierung in Baden-Württemberg. Sie hat noch kurz vor der Abhöraffäre, die von Edward Snowden ausgelöst wurde, über den Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, endlich die Vorratsdatenspeicherung umzusetzen. Wie komisch ist das denn? Und jetzt laufen sie rum und tönen, Angela Merkel solle den Amerikanern mal so richtig Bescheid sagen.

Frage: Wie würden Sie denn mit den USA umgehen?

KUBICKI: Da wir schlecht die Bundeswehr nach Washington schicken können, gibt es nur eine Chance: Die Europäische Kommission muss mit den Amerikanern verhandeln und eine Abmachung schließen, welche Daten sie in Europa erheben dürfen. Dieses Abkommen muss kontrolliert werden - genauso wie bei Rüstungsabkommen - durch wechselseitige Inspektionen.

Frage: Warum sollten sich die Amerikaner auf einen solchen Vertrag einlassen?

KUBICKI: Europa ist ein zu großer Markt, als dass die Amerikaner darauf keine Rücksicht nehmen müssten. Solche Dinge kann man nur auf Augenhöhe und international klären. Es ist eine Illusion zu glauben, man könne im World Wide Web noch etwas mit nationalen Regeln ausrichten. Wir haben doch ein riesiges Problem vor uns: Big Data. Gigantische Datenmengen werden in Hochleistungscomputern verknüpft, um Verhaltensweisen, Konsumgewohnheiten und Bewegungsmuster des Bürgers zu analysieren. Das machen nicht nur Geheimdienste, sondern auch Unternehmen.

Frage: Geht die größte Gefahr von global agierenden Konzernen wie Google und Amazon aus?

KUBICKI: Auch das ist eine Gefahr, sicherlich. Aber die Firmen wollen nur ans Portemonnaie der Menschen, der Staat will an ihre Existenz. Das ist ein wichtiger Unterschied. Wenn über Sie ein Schattenprofil erstellt wird und Sie eine Stelle nicht bekommen, weil im Hintergrund der Staat sagt, aufgrund des Profils besteht die Gefahr, dass Sie mal Gotteskrieger werden, dann geht es wirklich um existenzielle Eingriffe in die Freiheit. Dann ist die Frage, ob wir noch in einem freiheitlichen oder in einem Willkür-Staat leben. Wir müssen deshalb die Schutzrechte der Bürger deutlich ausweiten.

Frage: Nun kann es gut sein, dass am Abend der Bundestagswahl Union und FDP keine Mehrheit haben…

KUBICKI: Dann betrinke ich mich.

Frage: Und wenn Sie wieder aufwachen, beginnen die Verhandlungen über eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen?

KUBICKI: Das ist mit keinem aus meiner Partei zu machen, auch nicht mit mir.

Frage: Trauen Sie SPD und Grünen für diesen Fall ein Bündnis mit der Linkspartei zu?

KUBICKI: Wenn sie nach Peer Steinbrück als Person fragen, ist meine Antwort: Nein! Für SPD und Grüne als Parteien sage ich: Ja! Wenn es weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün reicht, wird Sigmar Gabriel die rot-rot-grüne Karte ziehen. Die Sozialdemokraten werden um keinen Preis wieder in eine große Koalition gehen - dazu war der letzte Versuch im Bund ein zu traumatisches Erlebnis für sie. Gabriel wird vermutlich kein formales Bündnis mit der Linkspartei eingehen. Aber er wird sich von denen zum Bundeskanzler wählen und dann tolerieren lassen. SPD und Grüne haben dieses Modell ja in Nordrhein-Westfalen schon ausprobiert.

Frage: In einem Zeit-Interview haben Sie 2010 gesagt, ein Amt würde sie reizen: das des Finanzministers. Gilt das noch?

KUBICKI: Das bezog sich auf Schleswig-Holstein. Für Berlin müssen Sie sich keine Gedanken machen: Ich strebe nicht ins Kabinett. Das würde mir einen großen Teil meiner Unabhängigkeit nehmen, auf die ich großen Wert lege.

Frage: Aber das Amt des Fraktionsvorsitzenden könnte Sie schon reizen?

KUBICKI: Auch das strebe ich nicht an. Man muss nicht Funktionen besetzen, um etwas zu bewirken.

Frage: Uns fällt die Vorstellung schwer, dass Sie nach langer Pause wieder in den Bundestag gehen und dann nur auf einer hinteren Bank Platz nehmen wollen.

KUBICKI: Es mag Ihnen schwer fallen, aber so fangen wir jetzt erst mal an.

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