KUBICKI-Interview: Aufrüsten, so schnell es geht, und mit allem, was wir haben.
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und Vizepräsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Kubicki MdB gab dem „Münchner Merkur“ (Dienstag-Ausgabe) und „Merkur Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Marcus Mäckler:
Frage: Herr Kubicki, Offiziere um den Luftwaffen-General Ingo Gerhartz besprechen heikelste Inhalte ungeschützt via Webex. Leichter kann man es den Russen nicht machen, oder?
Kubicki: Ich bin auch sehr verblüfft, dass höchste Bundeswehr-Generäle offenbar nicht damit rechnen, dass unsere potenziellen Gegner uns abhören. Das ist schon ein starkes Stück. Der Luftwaffeninspekteur muss sich erklären.
Frage: Wir reden zwar pausenlos über die Zeitenwende, aber selbst auf höchster Ebene wird sie offenbar nicht beherzigt...
Kubicki: Es ist ja keine neue Erfahrung, dass abgehört wird. Ich erinnere daran, dass auch unsere amerikanischen Freunde uns flächendeckend ausspioniert haben. Für mich ist es schwer nachvollziehbar, dass Menschen mit so hoher Sicherheitsstufe so unbedarft handeln. Das ist keine Frage des Krieges, sondern der persönlichen Einstellung. Wer so sorglos mit sicherheitsrelevanten Informationen umgeht, sollte sich fragen, ob er in dem Job noch etwas verloren hat.
Frage: Muss der Luftwaffeninspekteur zurücktreten?
Kubicki: Das muss ich gar nicht fordern, das werden sicherlich andere tun.
Frage: Die Offiziere sagen, dass es für die Steuerung von Taurus-Raketen keine Bundeswehr-Soldaten in der Ukraine braucht. Der Kanzler behauptet das Gegenteil. Ist er schlecht informiert oder lügt er?
Kubicki: Schwer zu sagen. Wir wissen ja, dass er gelegentlich Erinnerungslücken hat.
Frage: Im Ernst: Warum stemmt er sich so sehr gegen die Taurus-Lieferung?
Kubicki: Ich habe eine Vermutung. Gerhard Schröder hat gegen alle Widerstände eine Wahl gewonnen, als die USA in den Irak einmarschierten und die Deutschen sich nicht beteiligten. Scholz will dokumentieren, dass er alles tun will, um zu vermeiden, dass der Krieg sich bis auf unser Territorium frisst. Der nächste Wahlslogan der SPD könnte lauten: Besonnenheit rettet Leben.
Frage: Ihre Parteifreundin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagt indes: Stärke macht uns sicher. Wer hat Recht?
Kubicki: Man muss stark auftreten und trotzdem besonnen bleiben. Die Kollegin Strack-Zimmermann ist auch besonnen. Aber es gibt manche Menschen, die glauben, weil das Gute auf ihrer Seite ist, gewinnen sie jede Schlacht. Das halte ich für vermessen.
Frage: Also braucht es mehr Realismus im Ukraine-Krieg?
Kubicki: Ich musste mein Weltbild komplett ändern. Noch am Tag vor dem russischen Überfall hätte ich meine Jahresdiät gewettet, dass die Russen nicht angreifen, weil es einfach keinen Sinn macht. Spätestens der Krieg im Donbass hätte alle Alarmglocken klingeln lassen müssen. Aber wir wollten es nicht, wir wollten nur von Freunden umzingelt sein. Ich habe einige Zeit gebraucht, um mich davon zu erholen.
Frage: Ihre Lehre daraus?
Kubicki: Aufrüsten, so schnell es geht, und mit allem, was wir haben. Uns nützt ja die innere Befindlichkeit nichts, wenn das Risiko bleibt, dass die Russen auch uns angreifen.
Frage: Müssen wir Taurus jetzt erst recht liefern? Das Argument des Kanzlers ist ja jetzt dahin...
Kubicki: Ich bin dafür. Die spannende Frage ist jetzt, wie der Kanzler und seine Leute erklären, warum wir es nicht machen. Ich bin sicher, die Union wird nächste Woche wieder einen Antrag stellen und ich bin mir auch sicher, dass diesmal mehr Abgeordnete dafür stimmen werden, Taurus in die Ukraine zu liefern.
Frage: Auch aus Ihrer Partei?
Kubicki: Schon beim letzten Mal hätten mindestens ein Dutzend weitere Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne, liebend gern dem Unions-Antrag zugestimmt, haben sich aber der Koalitionsdisziplin gefügt. Ich war auch kurz davor. Diesmal wäre für mich der Punkt erreicht, es zu tun. Die Union sollte nur nicht den Fehler machen, in ihrem Antrag auf den Kanzler oder die Ampel einzuprügeln. Zwei einfache Sätze zu Taurus und ich vermute, es gibt mindestens ein Dutzend Stimmen aus der FDP, die mitmachen.
Frage: Ihr Parteifreund Alexander Lambsdorff ist seit Kurzem Botschafter in Russland. Was hören Sie von ihm?
Kubicki: Vorneweg: Der Posten ist jedenfalls kein freundliches Geschenk von Annalena Baerbock gewesen. Jetzt sitzt er auf dem problematischsten diplomatischen Posten, den wir haben. Warum? Weil es kaum Kommunikation zwischen Moskau und Berlin gibt. Vor 14 Tagen habe ich ihn angerufen. Es ist für ihn eine schwierige Situation, aber er ist Optimist. Jetzt muss er drei Jahre durchhalten. Wenn Frau Baerbock dann noch Außenministerin sein sollte, ist der nächste Posten wahrscheinlich im Vatikan.