07.01.2015FDPIntegration und Zuwanderung

KUBICKI-Gastbeitrag: Wie die Politik im Umgang mit Pegida versagt

Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende WOLFGANG KUBICKI schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Die Innenministerkonferenz (IMK) hat in ihrer Sitzung am 11. und 12. Dezember vergangenen Jahres zur neuen politisch-gesellschaftlichen Erscheinung namens „Pegida“ unmissverständlich Stellung bezogen. In dem gemeinsamen Beschluss, der vor dem Hintergrund der aktuellen, aufgeheizten Diskussion erfrischend differenziert formuliert wurde, heißt es unter anderem wie folgt: „Sie [die IMK] betrachtet die Instrumentalisierung von Ängsten aus der Mitte der Gesellschaft durch Mitglieder des rechtspopulistischen und rechtsextremen Spektrums mit Sorge.“

Und wenige Sätze weiter: „Die IMK nimmt (…) die in Teilen der Bevölkerung vorhandenen und auch in den Demonstrationen zum Ausdruck gebrachten Sorgen und Ängste vor einer angeblichen Überfremdung und vor einer vermeintlichen Entstehung von sog. Parallelgesellschaften ernst.“

„Ängste aus der Mitte der Gesellschaft“ heißt in diesem Kontext übersetzt: Diese tiefgreifende Furcht sollte nach Ansicht der Innenminister der Länder – immerhin neun davon Sozialdemokraten, sieben von der Union – tunlichst nicht selbst zur politischen Instrumentalisierung genutzt werden.

Denn diese vielfältigen Besorgnisse können logischerweise schon deshalb kein Randphänomen sein, weil sie in der gesellschaftlichen Mitte vorkommen. Die Länderinnenminister zogen die einzig richtige Konsequenz, dass solchen Ängsten – sollten sie noch so diffus und hanebüchen sein – nicht mit Druck, sondern mit Dialog und Aufklärung begegnet werden müsse.

Dass sich differenziertere Positionen bedauerlicherweise politisch schlecht verkaufen lassen, ist jedoch eine Binsenweisheit. Um also die bewährte – und im Grunde doch intellektuell stets einfältig wirkende – Schwarz-Weiß-Kolorierung aufs Tapet zu bringen, übernahm der selten abwägend auftretende stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Ralf Stegner, als einer der ersten das populistische Ruder und knöpfte sich die Pegida-Demonstranten persönlich vor.

Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur erklärte er wenige Tage nach dem IMK-Beschluss apodiktisch: „(…) arglose Bürger, die nicht wissen, was dort geschieht, sind das nicht. Das müssten solche sein, die Augen, Ohren und Nase zuhalten. Das stinkt nämlich, das ist inhaltlich rechts, und das kann man hören und sehen.“

Und als selbst die Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache im Zusammenhang mit Pegida sanft auf den Gut-Böse-Ton einstimmte, war das Feld bereitet für eine glasklare weltanschauliche Teilung in dieser Frage, für die manch ein Journalist so dankbar ist.

Zur Lösung des Problems hilft diese von einer selbstdefinierten Moral beeinflusste Weltsicht definitiv nicht weiter. Vielmehr findet nun eine gesellschaftliche Ausgrenzung von Menschen mit bestimmten Ängsten statt, die dafür sorgt, dass das eigentliche Problem verkapselt wird. Der kurze politische Erfolg, den sich manch führender Politiker mit einer wüsten Pöbelei versprochen hat, führt eher dazu, dass sich noch mehr Menschen von einer Politik abwenden, die das schnelle politische Symbol offenbar für wichtiger hält als die tatsächliche Problemlösung.

So hören wir oftmals kein Wort darüber, dass wir zum Beispiel mehr Stellen bei der Polizei, bei den Gerichten oder beim Verfassungsschutz brauchen – nicht nur, um unsere freiheitliche Grundordnung vor extremistischen religiösen Gefahren zu bewahren, sondern auch um Flüchtlingsheime vor Übergriffen besser schützen zu können. Für den öffentlichen Diskurs ist wohl zweitrangig, dass wir deutlich mehr Geld für die menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen brauchen.

Dass wir diese Problemlösungsorientierung marginalisieren, ist ohne Frage für unsere demokratische Gesellschaft eine gefährliche Entwicklung. Denn wenn politische Konflikte nicht mehr inhaltlich und sachorientiert ausgetragen werden, wenn die populistische Äußerung die öffentliche Debatte dominiert und damit faktisch Ausgrenzung von Menschen und ihren Besorgnissen geschieht, kann sich der politische Protest nicht mehr in geregelten Bahnen entladen. Vielmehr ist zu erwarten, dass die Frustration vieler Menschen längere Zeit unter der Decke schwelt und früher oder später eine größere Eruption verursacht, als uns und unserem demokratischen Gefüge lieb sein kann.

Ohne Frage sind die Pegida-Demos Schmelztiegel ganz unterschiedlicher Positionen, Forderungen und Befürchtungen. Klar ist ohne Wenn und Aber, dass auch rechtsextreme Kräfte versuchen, diese Bewegung für ihre eigenen politischen Zwecke zu instrumentalisieren.

Klar ist aber auch, dass den eigentlichen Forderungen von Pegida von führenden politischen Repräsentanten überhaupt nicht mehr mit Gegenargumenten begegnet wird. Die Wenigsten, die sich öffentlich gegen Pegida positionieren, wissen, dass es ein 19-Punkte-Papier der Bewegung gibt, das inhaltlich zwar sehr kantig ist, sich aber im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen bewegt.

Ganz unabhängig, ob man die darin enthaltenen Forderungen inhaltlich teilt oder ablehnt: Auseinandersetzen sollte sich mit ihnen jeder, der über sie urteilt. Das sind wir unserer Demokratie schuldig.

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