12.10.2005FDP

KOCH-MEHRIN-Interview für den "Münchner Merkur"

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) und Vorsitzende der FDP im Europaparlament, DR. SILVANA KOCH-MEHRIN, gab dem "Münchner Merkur" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ALEXANDER WEBER:
Frage: Statt mit Parteifreund Gerhardt haben Sie es in Europa nun von deutscher Seite mit dem starken Mann der CSU, Edmund Stoiber, als Wirtschafts- und Binnenmarkt-Minister zu tun. Wie sind Ihre Erwartungen?
KOCH-MEHRIN: Ich halte das für ein wirklich fatales Signal an die Partner in Europa. Damit erhält ausgerechnet der Politiker europäische Zuständigkeit, der immer versucht hat, sich auf Kosten der EU zu profilieren.
Frage: In der Großen Koalition wird die Europapolitik zwischen Kanzleramt, Auswärtigem Amt und Wirtschaftsministerium aufgesplittet. Was bedeutet das aus europäischer Sicht?
KOCH-MEHRIN: Das bedeutet, daß noch weniger klar wird, welches die deutsche Position sein wird und wer für was sprechen kann. Schon bisher hatte die deutsche Regierung das Problem, daß sie schlecht abgestimmt in Ministerratsitzungen war, weil es keine zentrale Kompetenz für die Europapolitik gab und sie aufgespalten war. Jetzt kommt noch ein drittes Ministerium dazu. Das ist ein Schritt in die völlig falsche Richtung. Indem die Europapolitik dem Wirtschaftsministerium untergeordnet wird, kehrt man zum Stand von 1957, auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, zurück.
Frage: Wie wurde die Aussicht auf eine Große Koalition in Deutschland von den EU-Parlamentariern aufgenommen?
KOCH-MEHRIN: Vor den Wahlen galt parteiübergreifend die Einschätzung, Hauptsache es gibt eine Regierung, die wieder Rückhalt hat und mit der man reden kann. Jetzt befürchten viele, daß das klare Nein der Wähler zu klaren Reformen dazu führen wird, daß wenig passiert beziehungsweise, daß das Staatsdefizit über Steuererhöhungen bekämpft wird.
Frage: Welche Auswirkungen erwartet man auf die Türkei-Beitrittsfrage. Die deutsche Position ist ja in einem gewissen Sinne neutralisiert.
KOCH-MEHRIN: Zur Zeit steht nichts an, wozu die Regierung sich äußern müßte. Die Verhandlungen haben begonnen. Wenn in 15 Jahren entschieden wird, wie sich die Türkei reformiert haben wird und in welcher Situation sich die EU befindet, wird die Große Koalition mit Sicherheit nicht mehr im Amt sein.
Frage: Bei den Spekulationen über die Besetzung des Außenministeriums wird auch der Name Günter Verheugen gehandelt. Können Sie sich einen Weggang des EU-Kommissars aus Brüssel vorstellen?
KOCH-MEHRIN: Ich würde mich wundern, wenn er die interessanten politischen Gestaltungsmöglichkeiten in Brüssel gegen einen Looser-Job in einer Großen Koalition eintauschen würde.

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