GERHARDT: Menschenrechte dürfen nicht aus wirtschaftlichen Interessen vernachlässigt werden
BERLIN. In seiner Kolumne für die Wetzlarer Neue Zeitung schreibt der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Wolfgang GERHARDT:
Die frisch gewählte Bundeskanzlerin hat in dieser Woche Paris, Brüssel und London besucht, in wenigen Tagen folgt Warschau. Es ist gut, dass Angela Merkel damit an die Tradition der europäischen Einbettung Deutschlands anknüpft und das besondere Verhältnis zu diesen Ländern unterstreicht. Gerade der Besuch in Warschau wird von Angela Merkel viel Fingerspitzengefühl erfordern. Zu viel Porzellan ist durch die Regierung Schröder, aber auch durch manch unbedachte Äußerung von polnischer Seite zerschlagen worden. Das Treffen der Herren Schröder, Putin und Chirac in Königsberg, der Bau einer Pipeline von Russland nach Deutschland - an Polen vorbei und ohne irgendeinen Ansatz, eine vorgreifliche Abstimmung mit Polen zu suchen - dies alles löste quer durch alle politischen und gesellschaftlichen Schichten Polens eine große Verunsicherung aus. Auch die Diskussion über ein Zentrum gegen Vertreibung in Berlin hat zu einer tiefen Verletzung des in den letzten Jahrzehnten aufgebauten Vertrauens zwischen Polen und Deutschland geführt. Frau Merkel wird hier ihre Worte sehr wohl abwägen müssen, um wieder Vertrauen aufzubauen. Mir wäre es am liebsten, wenn nicht eine einzelne Nation, sondern das Europäische Parlament über die angemessene Form der Würdigung des Schicksals aller Vertriebenen in Europa entscheiden würde.
Vor allem sollte Frau Merkel in Warschau auch ein Thema ansprechen, über das in Europa insgesamt viel zu wenig gesprochen wird: Die katastrophale Lage in Weißrussland. Weißrussland ist die einzige Diktatur in Europa. Präsident Lukaschenko herrscht dort mit eiserner Hand. Menschenrechte werden mit Füßen getreten, Menschen verschwinden, die Pressefreiheit existiert praktisch nicht mehr und die Opposition wird drangsaliert. Hier kann und muß die Europäische Union entschieden Stellung beziehen.
Polen spielt dabei schon heute eine enorm wichtige Rolle. Aus falscher Rücksicht auf Russlands Beziehungen zu Weißrussland war bisher in dieser Frage von Bundeskanzler Schröder viel zu wenig zu hören. Hier sollte Frau Merkel einen anderen Akzent setzen.
Auch wenn sonst nicht immer beispielhaft, hat US-Präsident George W. Bush mit seinen klaren Worten für mehr Demokratie und Menschenrechte bei seiner Chinareise Maßstäbe gesetzt. Taiwan ist wirklich ein gutes Beispiel dafür, wie die Transformation von einem totalitären Regime zu Demokratie und Marktwirtschaft gelingen kann. Menschenrechte dürfen nicht aus wirtschaftlichen Interessen vernachlässigt werden. Ich wünschte mir, dass sich auch ein deutscher regierender Politiker einmal zu solch deutlichen Worten hinreißen lassen würde.
Knut Steinhäuser
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