17.09.2013FDP

GENSCHER-RÖSLER-WESTERWELLE-Interview für "Bild"

Berlin. Der FDP-Ehrenvorsitzende HANS-DIETRICH GENSCHER, der FDP-Bundesvorsitzende Bundeswirtschaftsminister DR. PHILIPP RÖSLER und das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gaben "Bild" (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten BRITTA FRISCHEMEYER und TANIT KOCH:

Frage: Herr Genscher, fliegt die FDP am Sonntag aus dem Bundestag?

GENSCHER: Nein - die Wähler wissen, unser Land braucht die liberale Partei. Die Regierungsjahre der FDP gehören zu den besten in der Geschichte der Bundesrepublik. Andere Kombinationen wurden meist bei nächster Gelegenheit abgewählt.

Frage: Herr Rösler, was glauben Sie: Gibt die deutliche 3,3-Prozent-Niederlage in Bayern der FDP Schub für die Bundestagswahl - oder haut sie ihr die Beine weg?

RÖSLER: In Bayern ticken die Uhren anders. Sollte es für Union und FDP im Bund nicht reichen, kommt keine Große Koalition. Sondern es droht Rot-Rot-Grün! Weder SPD noch Grüne haben eine Duldung durch die Linkspartei glaubhaft ausgeschlossen. Wer also 23 Jahre nach der Wiedervereinigung will, dass die Linken regieren, der möge sich auf wankelmütige Kandidaten wie Sigmar Gabriel verlassen. Wer klare Verhältnisse will, wählt mit der Zweitstimme FDP!

Frage: Glauben Sie an den Erfolg der Zweistimmen-Kampagne?

WESTERWELLE: In Bonn möchte die CDU den alten Wahlkreis von Konrad Adenauer, in dem ich 2009 19 Prozent der Erststimmen hatte, von der SPD zurückerobern. Deshalb ist es klug, wenn sich die CDU auf die Erststimme konzentriert und die FDP auf die Zweitstimme. So sichern wir die Fortsetzung der erfolgreichen Koalition aus Union und FDP: Ohne Steuerhöhungen und ohne neue Schulden, für wirtschaftliche Vernunft und soziale Chancen durch gute Bildung.

Frage: Spitzenpolitiker der Union wie Ursula von der Leyen warnen vor FDP-Zweitstimmen ...

WESTERWELLE: Allein die Bürger entscheiden, wem sie ihre Stimmen und unser Land anvertrauen möchten. Parteien haben keinen einzigen Wähler gepachtet. Wir werben für eine Fortsetzungen dieser christlich-liberalen Koalition, die unserem Land so gut getan hat.

Frage: Helfen jetzt spektakuläre Wahlkampf-Aktionen. Peer Steinbrück war gestern in der Blödel-Sendung Circus Halli Galli, sein Stinkefinger sorgt seit Tagen für Gesprächsstoff. Was war Ihr erster Gedanke, als sie ihn sahen?

GENSCHER: Ich kommentiere andere Politiker nicht.

Frage: Sie, Herr Westerwelle, haben selber besondere Wahlkampf-Aktionen initiiert: die 18 % Schuhsohle 2002, der Auftritt im Big Brother Container. Sehen wir Sie dort in den nächsten Tagen wieder - vielleicht an der Seite von David Hasselhoff?

WESTERWELLE: Lang ist"s her. Die Schuhsohlen waren damals ein Werbegag, der falsch war, aber keine obszöne Geste. Aber darum geht es nicht. In dieser Woche und am Wahlsonntag geht es um unser Land und um die Zukunft Europas, das wir brauchen, um unser freiheitliches Lebensmodell in einer Welt neuer Kraftzentren zu verteidigen. Es geht darum, dass diese bürgerliche Regierung die erfolgreiche Arbeit der letzten 4 Jahre fortsetzen kann. Das geht nur mit einer starken FDP. Darauf konzentrieren wir uns.

Frage: Herr Genscher, alle Parteien kennen das Auf und Ab. Nur bei der FDP ist das Ab immer gleich existenzbedrohend. Wie steht man das durch?

GENSCHER: Was uns drei verbindet, ist, wir sind als FDP-Vorsitzende durchs Fegefeuer gegangen. Aus unterschiedlichen Anlässen. Das ist vermutlich das Schicksal der liberalen Partei - der Fortschrittspartei. Wir haben der sozialen Marktwirtschaft mit der CDU, der Westorientierung mit der CDU und der Entspannungspolitik mit der SPD den Weg gebahnt. Dabei mussten wir immer wieder auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Das brachte uns in gefährliche Phasen. Doch am Ende weiß jeder: Diese Republik wäre um einiges ärmer ohne die liberale Partei.

Frage: Sie haben ein klares Nein zur Ampel - also einer Koalition aus SPD, FDP und Grünen - formuliert. Was wäre daran eigentlich so schlimm?

RÖSLER: Die Sozialdemokraten stehen für eine massive Belastung der Mitte. Trotz Rekord-Steuereinnahmen wollen sie 40 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben draufsatteln. Die Grünen ebenso, und bei ihnen kommt noch die allgemeine Bevormundung hinzu. Stichwort: Veggie Day. Die FDP ist die einzige Partei, de den Menschen zutraut, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten.

Frage: Herr Genscher, was macht die FDP besser, was schlechter als früher?

GENSCHER: Sie macht die Dinge, die zu tun sind. Und das sehr gut. Beispiel Freiheitsrechte - da fällt mir als erstes der Name der FDP-Justizministerin ein, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Wenn man sieht, wie seitens der USA Bürger ausgespäht werden ...

Frage: ... verzeihen Sie, aber machen Sie sich mit 86 Jahre wirklich noch Sorgen um Datensicherheit? Haben Sie ein Notebook oder iPad?

GENSCHER: (schmunzelt): Nein, meine höchste technische Entwicklung ist das Handy. Aber ich habe Kinder und Enkel - von denen weiß ich, was heute Sache ist.

Frage: Simsen sie?

GENSCHER: Ich simse auch nicht! Tut mir leid - ich würde natürlich auch gern das tun, was auch die Bundeskanzlerin so gerne tut (lacht) ...

Frage: Guido Westerwelle galt als Ihr Kronprinz. Haben Sie zu Philipp Rösler ein ähnlich gutes Verhältnis?

GENSCHER: Das kann man nicht miteinander vergleichen. Aber es ist ebenso vertrauensvoll.

Frage: Herr Rösler, Sie haben Guido Westerwelle als Parteichef abgelöst. Wie ist ihr Verhältnis untereinander? Treffen Sie sich privat? Fragen Sie sich gegenseitig um Rat?

RÖSLER: Unser Verhältnis ist gut. Wir sind ständig in Kontakt, und wir stimmen uns bei unserem Vorgehen eng ab. Wir können uns aufeinander verlassen.

WESTERWELLE: Wir arbeiten engstens zusammen und ich unterstütze unseren Vorsitzenden mit ganzer Kraft.

Frage: Herr Rösler, Sie sind der erste Bundesminister mit ausländischen Wurzeln. Guido Westerwelle ist der erste offen homosexuelle Bundesminister. Die FDP ist gesellschaftlich durchlässig - nur mit der Randgruppe Frau in der Partei sieht es nicht so rosig ...

RÖSLER: Sie vergessen Frau Leutheusser-Schnarrenberger.

Frage: Die schon lange dabei ist.

GENSCHER: Das spricht ja nicht gegen die Partei!

Frage: Gewiss nicht, aber ...

RÖSLER: Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt ...

Frage: ... ist auch nicht so recht weiblicher Nachwuchs.

RÖSLER: Also, wenn Sie die Frauen aus der Partei rausreden wollen ...

Frage: Keineswegs, nur ...

RÖSLER: ... Katja Suding in Hamburg.

Frage: ... ist nicht Bundesebene. Sie würden also bestreiten, dass die FDP ein weibliches Nachwuchsproblem hat?

RÖSLER: Wir haben viele Frauen in Spitzenpositionen. Das gehört für uns zur Normalität! Dennoch könnten es mehr Frauen sein, keine Frage. Deshalb fördern wir Frauen gezielt, zum Beispiel mit Mentoring-Programmen.

Frage: FDP-Wähler sind im Schnitt Männer über 45 Jahre. Wieso sollte eine alleinerziehende Großstadt-Mutter FDP wählen?

WESTERWELLE: Weil sie möchte, dass ihr Kind faire Chancen durch eine gute Bildung erhält. Wer für seine Kinder eine wirkliche Chance auf Bildung, Aufstieg und ein selbstbestimmtes Leben wünscht, der ist bei der FDP richtig. Ich bin in meiner Schulzeit auch keinen geraden Weg gegangen ...

Frage: Das heißt?

WESTERWELLE: Realschule, dann Gymnasium. Deshalb bin ich heute überzeugter denn je, dass Bildungschancen über soziale Gerechtigkeit und Aufstieg entscheiden, für jeden einzelnen und für unser Land im globalen Wettbewerb mit den neuen Kraftzentren in China, Brasilien und anderswo. Dafür kämpfen wir. Faire Bildungschancen sind der Schlüssel zu einem gerechten und starken Land. Deshalb hat diese Bundesregierung mit Beteiligung der FDP das größte Bildungspaket in der Geschichte der Bundesrepublik verabschiedet.

Frage: Im letzten Wahlkampf ging es der FDP weniger um Bildungs- als um Steuerpolitik.

RÖSLER: Und wir haben in der letzten Legislaturperiode viel erreicht.

Frage: Naja, gemessen am Wahlkampf 2009.

RÖSLER: 22 Milliarden Euro Entlastung bei Steuern, Sozialabgaben, Praxisgebühr seit 2009 sind doch nicht wenig!

WESTERWELLE: Eine vierköpfige Familie wird durch uns mit durchschnittlich 800 Euro pro Jahr steuerlich entlastet. Wir hätten uns mehr gewünscht, aber mehr war angesichts der Schuldenkrise und der notwendigen Konsolidierung der Staatsfinanzen nicht möglich.

RÖSLER: Und wir haben uns zum Ziel gesetzt, dass es 2019 den Soli nicht mehr geben wird. Entlastung bleibt ein Thema für die FDP.

Frage: Herr Genscher, im Jahr 2019 werden Sie 92 sein. Was ist das Schöne am Alter?

GENSCHER: Schön ist zunächst einmal, dass ich überhaupt so alt geworden bin! Das sah am Anfang nicht danach aus: Ich hatte mit 19 Jahren eine schwere Form von Tuberkulose und verbrachte drei Jahre in Lungenheilanstalten und Krankenhäusern. Ich bin in dieser Zeit ernsthafter geworden und demütiger. Ich empfinde seitdem Dankbarkeit für das Leben.

Frage: Gibt es Dinge, die sie am Alter stören?

GENSCHER: Ja. Es gibt Leute, mit denen ich nicht mehr sprechen kann, weil sie nicht mehr da sind. Einige vermisse ich sehr. Gute Freunde, die mit mir durch schwere Zeiten gegangen sind. Freunde, die immer ehrlich zu mir waren, die mich angerufen und mir gesagt haben: "Das war aber Mist, was Du da gesagt hast."

Frage: Naja, aber ehrlicherweise liefern Sie dafür ja auch nicht mehr so richtig Anlass, oder?

GENSCHER: Freuen Sie sich da mal nicht zu früh. (lacht)

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