03.07.2012FDPAußenpolitik

GENSCHER-Gastbeitrag für den "Tagesspiegel"

Berlin. Der FDP-Ehrenvorsitzende und langjährige frühere Bundesaußenminister HANS-DIETRICH GENSCHER schrieb für den "Tagesspiegel" (Dienstag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Merkel hat es richtig gemacht

Die Bundeskanzlerin hat sich in Brüssel richtig entschieden. Sie hat die Tür geöffnet, um EU und Euro zukunftsfähig zu machen. Ob das notwendige Reformwerk gelingt, liegt jetzt in der Hand derjenigen Akteure, die in Brüssel das Ringen um deutsches Entgegenkommen zur Frage der Fragen gemacht haben. Paris, Rom und Madrid müssen sich bewusst sein, sie haben jetzt eine Bringschuld, die darin besteht, die europäischen Institutionen und die europäische Verfasstheit auf den Stand zu bringen, der zur Überwindung der gegenwärtigen und zur Verhinderung künftiger staatlicher Finanzkrisen erforderlich ist. Sie stehen im wahrsten Sinne des Wortes auf dem europäischen Prüfstand.

Auch in Deutschland muss man sich bewusst sein: Es handelt sich um eine Aufgabe, die seit zwei Jahrzehnten in der EU sträflich vernachlässigt wurde und nun bewältigt werden muss. Die gemeinsame Währung verlangt die Fiskalunion, die Steuerunion, die Wirtschaftsunion und bis zu einem gewissen Grade auch die soziale Union. Deutschland - um es zu wiederholen - hat der EU dafür eine Atempause geschaffen. Es hat der Wachstumsinitiative den Weg im Interesse der wirtschaftlichen Erholung eröffnet. Die Wettbewerbsfähigkeit allerdings muss in den einzelnen Staaten selbst hergestellt werden.

Als Demokrat kann man mit Befriedigung feststellen, dass in ihrem Aufeinanderzugehen die Regierungsparteinen und Opposition ein hohes Maß an Verantwortung - staatspolitischer und europäischer - unter Beweis gestellt haben.

Europäisch handelte die Bundeskanzlerin im Bewusstsein dieser breiten Unterstützung in Deutschland.. Es geht jetzt darum, die notwendigen Entscheidungen für die neue EU ohne Verzug zu treffen. Das werden die Staats- und Regierungschefs, auch wenn sie sich in ein wochenlanges Konklave zurückziehen würden, ebenso wenig erreichen können, wie die Fachminister. Ein dafür zu schaffendes, permanent tagendes Gremium - die europäische Zukunftskommission - sollte ohne Rücksicht auf Nationalität oder politischen Hintergrund aus hochrangigen Persönlichkeiten gebildet werden. Jacques Delors, der wohl bedeutendste unter allen bisherigen Kommissionspräsidenten, wäre der geeignete Vorsitzende einer solchen Kommission, der auch Einfluss auf ihre Zusammensetzung haben sollte.

Es geht nicht allein darum, die Verfasstheit der EU auf die Zukunftssicherung der Europäischen Währungsunion einzurichten, sondern auch dort, wo Entscheidungsbefugnisse den nationalen Parlamenten entzogen werden, auf das Europäische Parlament zu übertragen. Es war bezeichnend, dass bei Präsentation von Vorschlägen durch die vier Präsidenten der fünfte, nämlich der Parlamentspräsident fehlte.

Weil es nicht nur um staatliche Finanzprobleme geht, sondern auch um die Bankverschuldung, ist es notwendig, die jetzt vereinbarte Bankenaufsicht - der vielleicht wichtigste Entschluss des letzten Gipfels - so zu gestalten, dass für die systemischen Banken ein und für allemal verhindert wird, dass fachliche Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit am Ende dazu führen, die Bürger für das fachliche oder ethische Versagen von Bankverantwortlichen haften zu lassen. Wie wenig man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, zeigt die Nachricht, dass in den USA drei so genannte Investmentbanker mit einem Bonus von jeweils 1 Mrd. Dollar belohnt wurden. Das legt die Axt an die ethischen Grundlagen einer sozialen Marktwirtschaft unserer Prägung. Aufgepasst werden muss allerdings auch, dass das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird, was heißen will, dass der Sektor der Genossenschaftsbanken und der Sparkassen, der von geringfügigen Ausnahmen abgesehen von Auswüchsen frei blieb, über einen Kamm geschoren wird mit den so genannten systemischen Banken.

Viele Streitpunkte, wie die Haftungsfragen, werden sich erledigen, wenn mit dem Schritt zur politischen Union gemeinsame Verantwortung und Kontrolle sichergestellt werden. Die Welt blickt auf Europa und Europa muss zeigen, dass es auch aus dieser Krise gestärkt hervorgeht.

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