22.11.2016FDP

DÜRR-Gastbeitrag: Wir müssen das Streiten wieder lernen

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied und Sprecher der FDP-Fraktionsvorsitzendenkonferenz CHRISTIAN DÜRR schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Nein, ich habe nicht damit gerechnet. Ich bin zwar Politiker, aber auch ich dachte: Hillary – die wird das Rennen schon machen. Das sahen schließlich alle so. Als ich am Morgen des 9. November um 5 Uhr auf mein Telefon schaute und die Nachrichten las, traute ich meinen Augen nicht.

Über Monate ist uns eines immer wieder gesagt worden: Wer Trump wählt, ist weiß, guckt den ganzen Tag Reality-Shows (aus einer dieser Shows kennt er oder sie Donald Trump schließlich auch), ist irgendwie gesellschaftlich abgehängt und eines ganz sicher: Teil einer Minderheit. Zumindest das Letzte hat sich als falsch herausgestellt. Jetzt bin ich davon überzeugt: die ersten Punkte sind es auch.

Weiß, TV-Junkie, abgehängt. Man möchte den Analysten gerne ironisch entgegenrufen: Gut, dass ihr keine Vorurteile habt! In der deutschen Debatte hat sich daraus jetzt die Strategie entwickelt, die Politik müsse diesen Leuten die Demokratie einfach nur besser erklären. Frei nach dem Motto: Einmal Fortbildung bitte für diejenigen, die es noch nicht verstanden haben. Zusätzlich zum Erklären fordern dann einige noch Sozialprogramme. Wenn Nachhilfe nicht ausreicht, dann wird Geld schon zufriedenstellen. Das soll also das Rezept gegen den Populismus sein.

Ich frage mich: Kann man eigentlich noch herablassender über Wähler denken? Denn mit ein bisschen Distanz betrachtet müssen wir uns fragen: Sind wir wirklich so überzeugend? Nein, wir sind es nicht, jedenfalls nicht mehr. Immer öfter hört man den Satz: „Politiker, die sind doch alle gleich.“ Man muss sich nur die letzten Wahlkämpfe in Deutschland anschauen. Die waren vor allem eines: langweilig. Jedenfalls wenn man einmal von den Provokationen der AfD absieht. Die Parteien wurden in den vergangenen Jahren immer ähnlicher.

Das derzeitige Erstarken der Rechtspopulisten in Europa hat folgenden Grund: Sie schaffen es, alle anderen politischen Kräfte wie eine kaum unterscheidbare Masse aussehen zu lassen. Wären in der Wahrnehmung ihrer Wähler die demokratischen Parteien aber unterschiedlich, würde das Narrativ der Rechten („wir gegen die“) schnell verloren gehen.

Rassistische Verschwörungstheoretiker haben ihre Darstellung der Welt von der Pike auf gelernt. Das war in der Vergangenheit für die Demokratie kein großes Problem.

Denn es gab sichtbare Unterschiede zwischen den politischen Strömungen. Somit blieben die Rechten meist in kleinem Kreis unter sich. Das Problem heute ist, dass diese Sichtbarkeit der Unterschiede verloren gegangen ist. Wer jetzt noch glaubt, die Demokraten müssten einfach nur enger zusammenrücken um sich gegen die Feinde der Demokratie zu stellen, hat allerdings nichts verstanden. Im Gegenteil! Wir müssen das Streiten wieder lernen.

Was wir mehr denn je brauchen ist die harte politische Auseinandersetzung unter den Demokraten. Wir müssen die Unterschiedlichkeit endlich wieder zelebrieren! Wenn demokratische Parteien Alternativen zueinander sind, dann braucht es auch keine Alternativen außerhalb dieses Spektrums. Denn die Zahl der Rassisten hat sich nicht erhöht. Die Zahl derer, die in einer Stimme für Rechtspopulisten eine Form des Protestes gefunden haben, die steigt.

Das großkoalitionäre Geschacher um einen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten zeigt, wie sehr Politik mittlerweile den Wettbewerb scheut. Dass Deutschlands derzeit größte Partei auf einen eigenen Kandidaten verzichtet, lässt einen kopfschüttelnd zurück. Der Außenstehende sagt sich: Dann könnte Steinmeier ja auch in der CDU sein oder Merkel in der SPD. Und so abwegig klingt das nicht einmal.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es geht nicht darum, eine Stimme für Rechtspopulisten zu relativieren. Wer aber glaubt, der moralische Zeigefinger würde Enttäuschte davon abhalten, Rechtspopulisten zu wählen, der irrt. Im Gegenteil: Wer auf die Provokationen der Rechten fortwährend mit moralischer Empörung reagiert, betreibt in Wahrheit deren Geschäft.

Deshalb sage ich: Wir müssen das leidenschaftliche Streiten wieder lernen, weg von der Empörung über vermeintliche oder tatsächliche Grenzübertritte von Rechtspopulisten. Denn die ist zwar einfach und bequem – man kann sich des Applauses seinesgleichen und der gefühlten Mehrheit sicher sein. Aber, das hat die Präsidentschaftswahl in den USA eben auch gezeigt: Erfolgversprechend ist das nicht. Die Sicherheit, damit in der Mehrheit zu sein, ist trügerisch. In Wahrheit ist der erhobene Zeigefinger Wasser auf die Mühlen der Demokratiefeinde in Deutschland. Ihre Zeilen lauten: „Seht her, alle sind gleich nur wir sind anders. Das sagen sogar unsere Gegner.“ Und wir liefern mit unserer Empörung auch noch willfährig den Beweis.

Dieser Mechanismen hat sich auch Trump bedient. Der Unterschied zu den vergangenen Wahlen in Deutschland ist: In Amerika ist ein gnadenloser Populist gewählt worden – aber kein Rechtsradikaler. Wenn man an Höcke, Pretzell und sicher auch Gauland denkt, dann ist das bei der AfD eben anders. Die Situation in Deutschland ist daher ungleich gefährlicher. Ich halte die AfD für eine rechte Partei. Eine Partei, die Rassisten und Menschenhasser für Parlamente aufstellt. Und das treibt mich an. Die dürfen nicht den Sieg davontragen!

Meine Lehre lautet: Lasst uns unterschiedlich sein. Und zwar so richtig. Denn es gibt sie, die Unterschiede zwischen den demokratischen Kräften. Wir haben vor lauter Korrektheit nur immer weniger Wert darauf gelegt, sie auch mit aller Wucht deutlich zu machen. Und mit aller Emotionalität! Wem das zu unfein ist, muss sich dem Vorwurf aussetzen den Verfassungsauftrag der Parteien, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, vergessen zu haben. Kurz: Wem es in der Küche zu heiß ist, der sollte nicht Koch werden. Ich sage: Let’s battle!

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