06.03.2023FDPArbeitsmarkt

DJIR-SARAI-Interview: Die Zeitenwende muss in den Kasernen ankommen

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai gab "welt.de" das folgende Interview. Die Fragen stellte Thorsten Jungholt:

Frage: Herr Djir-Sarai, das FDP-Präsidium hat beschlossen, die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber zu stärken. Welche Ideen haben Sie dazu entwickelt?

Djir-Sarai: Wir haben den Jahrestag der Zeitenwende zum Anlass für eine Lagefeststellung genommen: Wo stehen wir, was wurde erreicht, und wohin soll die Reise gehen? Mit Blick auf die Bundeswehr haben wir klargestellt, dass für uns die Einführung der Wehrpflicht nicht infrage kommt, wir aber andere Optionen vorschlagen, um die schwierige Personallage der Streitkräfte zu verbessern. Wir wollen die Reserve stärken, die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiver machen und gesellschaftliche Akzeptanz durch Gelöbnisse an öffentlichen Plätzen steigern. Es geht um mehr Sichtbarkeit der Bundeswehr, und wir wollen auch deutlich machen, dass wir stolz sind auf unsere Soldaten.

Frage: Das sind Maßnahmen, die in den vergangenen Jahren bereits mehrfach beschlossen wurden. Wäre nicht der wichtigste Attraktivitätsschub eine endlich auskömmliche Ausrüstung?

Djir-Sarai: Die Bundeswehr wurde in den letzten Jahrzehnten unter Führung der CDU kleingehalten. Fatalerweise gab es lange die Überzeugung in Teilen der Politik und auch der Gesellschaft, dass wir die Streitkräfte eigentlich nicht mehr brauchen. Der aktuelle Zustand der Truppe ist das Spiegelbild dieses falschen Denkens. Erst der brutale Angriffskrieg Russlands hat ein Umdenken bewirkt, auch bei unseren Koalitionspartnern. Deshalb bewegen wir uns jetzt endlich spürbar in Richtung des Zwei-Prozent-Ausgabenziels, nicht zuletzt dank des 100-Milliarden-Euro-Sonderprogramms. Leider ist bei der Umsetzung im ersten Regierungsjahr viel Zeit vergeudet worden. Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius hat viel aufzuholen, vor allem im Beschaffungswesen und bei den verkrusteten Strukturen. Die Zeitenwende muss in den Kasernen ankommen. Aber ich möchte betonen: Am Geld liegt es nicht, das steht zur Verfügung.

Frage: Steht es nicht. Der Investitionsbedarf liegt laut Finanzbedarfsanalyse bei rund 300 Milliarden Euro bis 2032. Im Schuldenfonds der Ampel sind abzüglich Zinslasten 87 Milliarden Euro. Und der Wehretat sieht abzüglich Personal- und Betriebskosten jährlich zehn Milliarden Euro für Investitionen vor …

Djir-Sarai: Dennoch sind die 100 Milliarden Euro eine Summe, zu der sich in der Form noch keine Regierung aufraffen konnte. Und wir diskutieren ja gerade den Haushalt für 2024. Ich sehe breite Mehrheiten dafür, die Mittel für die Bundeswehr auf Dauer zu erhöhen. Denken wir doch mal nach vorn. Was ist denn, wenn die nächste amerikanische Administration in anderthalb Jahren sagt: Der Krieg in Europa, das ist eure Sache, wir konzentrieren uns auf China? Die Wahrheit ist: Europa ist aktuell nicht in der Lage, seine Sicherheit ohne die Amerikaner zu garantieren. Ohne die Amerikaner wäre die Ukraine auch nicht in der Lage, sich so erfolgreich zu verteidigen. Das heißt, wir sind quasi gezwungen, langfristig mehr in die Sicherheitsarchitektur Europas zu investieren. Und da ist die Bundeswehr eine entscheidende Säule.

Frage: Pistorius will zehn Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr. Die FDP will zehn Milliarden für die Aktienrente, Familienministerin Paus will zwölf Milliarden für die Kindergrundsicherung. Wie soll das mit der Schuldenbremse gehen?

Djir-Sarai: Die Schuldenbremse ist eine Vorgabe des Grundgesetzes. Und sie ist gerade angesichts der Inflation und der Schuldenflut der vergangenen Jahre unverzichtbar. Wir haben heute im Euro-Raum eine Zinsentwicklung, die die Schuldenaufnahme wieder extrem teuer macht. Wenn wir uns weiter verschulden, geben wir unsere politische Handlungsfähigkeit aus der Hand, auf Kosten von künftigen Generationen. Und im Übrigen: Alles soll in diesen Zeiten nachhaltig sein, nur die Finanzpolitik nicht? Das wäre absurd.

Frage: 2022 hat die Ampel die Schuldenbremse unter Verweis auf eine außergewöhnliche Notsituation, den Krieg in der Ukraine, ausgesetzt. Warum soll das jetzt nicht mehr gehen?

Djir-Sarai: Voriges Jahr ging es um akute Krisenbewältigungspolitik, denken Sie an die Energiekosten. Da haben wir von unserer guten Substanz gezehrt. Im Jahr 2023 muss es wieder um die Stärkung dieser Substanz gehen, wir müssen den Wirtschaftsstandort Deutschland fit für die Zukunft machen. Unsere Koalitionspartner vergessen gern, dass erst erwirtschaftet werden muss, bevor verteilt werden kann. Ich will auch die ökologische Transformation der Wirtschaft, ich bin auch für starke soziale Sicherungssysteme. Aber jeder ist aufgefordert in dieser Koalition, sehr konkret zu sagen, wie die entsprechenden Vorhaben finanziert werden sollen. Das Aussetzen der Schuldenbremse oder Steuererhöhungen sind keine Optionen, weil sie dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden und nicht generationengerecht sind. Die Energiekosten sind auf einem viel höheren Niveau als vor dem russischen Angriffskrieg. Viele Unternehmen denken daher an Abwanderung. Werden die Standortkosten weiter erhöht, vernichtet das Arbeitsplätze – und damit unseren Wohlstand. Auch, weil andere Standortvorteile wie Fachkräfte oder unkomplizierte Verfahren in Deutschland leider noch Mangelware sind. Es ist also nicht die Zeit für Verteilungspolitik. Es geht jetzt um Maßnahmen, die Wachstum generieren. Ein Kernprojekt sind beschleunigte Planungsverfahren.

Frage: Verkehrsminister Volker Wissing trifft dabei seit Monaten auf den Widerstand der grünen Umweltministerin Steffi Lemke, die Straßenprojekte von der Beschleunigung ausnehmen will. Muss der Kanzler den Knoten durchschlagen?

Djir-Sarai: Auch die SPD-Fraktion hat Anfang des Jahres betont, dass es keine Unterscheidung in böse und gute Infrastruktur geben darf, sondern wir überall mehr Tempo brauchen. Ich fände es gut, wenn der Kanzler sich daran orientiert. Wir leben doch nicht in Bullerbü! Deutschland ist eine der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt, wir brauchen Schienen, Wasserwege und Straßen, die schlicht funktionieren. Es ist doch auch nichts für den Klimaschutz erreicht, wenn wir Straßen langsamer bauen als nötig und die Menschen permanent im Stau stehen. Deutschland braucht Mobilität in allen Dimensionen, um wettbewerbsfähig zu sein – und keinen ideologischen Kampf gegen das Auto.

Frage: Die Regierung hat auf Drängen der FDP jetzt den Weg für E-Fuels in Deutschland freigemacht. Wird Deutschland auch auf EU-Ebene das Aus von Verbrennermotoren dauerhaft stoppen?

Djir-Sarai: Dass CO₂-neutrale Kraftstoffe endlich erlaubt werden, ist ein großer Erfolg sowohl für den Klimaschutz als auch für die Verkehrspolitik. Das müssen wir nun auch auf EU-Ebene schaffen, und da bin ich sehr zuversichtlich. Die Debatte über Technologieoffenheit wird auch in Italien, Polen und anderen EU-Ländern geführt. Klimaschutzziele müssen erreicht werden, und mit einem Totalverbot würden wir uns selbst Chancen verbauen. Und wir würden Arbeitsplätze und Know-how vernichten. In Ländern wie China und den USA wird es einen Wettbewerb geben um die besten grünen Umwelttechnologien. Wir sollten diesen Wettbewerb annehmen – und nicht bestimmte Technologien verteufeln, weil wir als Politik glauben, es besser zu wissen.

Frage: Die Grünen haben in dieser Woche neue Ideen für das Verbot von Öl- und Gasheizungen sowie für Kinder-Werbung zu ungesunden Lebensmitteln vorgelegt. Stimmen Sie dem zu?

Djir-Sarai: Ganz klar: Nein.

Frage: Bei der Migrationspolitik lässt sich in den Ampel-Plänen ein Ungleichgewicht erkennen: Erleichterungen bei Fachkräfte-Einwanderung und Staatsbürgerschaftsrecht sind auf dem Weg, bei der Unterbindung von irregulärer Migration nach Deutschland ist kein Konzept zu erkennen. Oder?

Djir-Sarai: Der Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen hat kürzlich die Arbeit aufgenommen. Außerdem muss Europa den Grenzschutz verbessern, beispielsweise indem Frontex mehr Kompetenzen bekommt und endlich das Gemeinsame Europäische Asylsystem reformiert wird. Wir brauchen regelrecht einen Neustart bei der Migrationspolitik in Deutschland. Länder wie die USA, Kanada oder Neuseeland führen die Migrationsdebatte sehr sachlich und sehr nüchtern. Wir machen in Deutschland leider immer den Fehler, sie hochemotional zu führen. Ein Land muss klar festlegen, welche Formen der Migration es braucht – und welche nicht. Das muss man aussprechen können.

Frage: Na dann.

Djir-Sarai: Wir brauchen die Zuwanderung von Fachkräften, und zwar die besten Köpfe und die fleißigsten Hände weltweit. Da sind wir leider noch nicht attraktiv genug, daran arbeitet die Bundesregierung jetzt. Wir brauchen auf der anderen Seite keine Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme. Die gibt es aber leider überproportional häufig. Die Menschen in unserem Land sind weltoffen und tolerant. Aber sie wollen zu Recht wissen, wer zu uns kommt, sie wollen Steuerung, Kontrolle und Rechtsstaatlichkeit bei der Einwanderung. Das ist das, was Politik liefern muss – und nicht die Wiederholung der katastrophalen Fehler der Merkel-Ära.

Frage: Geschieht nicht gerade genau das?

Djir-Sarai: Die Fortschritte seit 2015 sind sehr bescheiden. Und leider hat die amtierende Innenministerin Faeser beim Europäischen Rat vor ein paar Wochen, als es sehr konkret um die Frage der Grenzschutzfähigkeit Europas ging, wieder auf der Bremse gestanden. Deutschland hat durch die Alleingänge der früheren Kanzlerin in Europa sehr viel Vertrauen verspielt. Wir täten gut daran, jetzt mehr auf unsere Partner an den Außengrenzen zu hören.

Frage: Brauchen wir für die Energiesicherheit Deutschlands weitere Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke? Oder hat sich die FDP damit abgefunden, dass am 15. April dieses Jahres Schluss ist mit der Kernenergie in Deutschland?

Djir-Sarai: Wenn die FDP nicht wäre, dann wären die drei am Netz verfügbaren Kernkraftwerke schon längst abgeschaltet und würden gar nicht bis zum 15. April laufen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass das nicht reichen wird und wir weiterhin Kernenergie brauchen, bis der Ausbau der Erneuerbaren Energien ausreichend fortgeschritten ist. Ich wünschte, dass unsere Koalitionspartner auch in dieser Frage der großen Mehrheit der EU-Länder folgen würden. Kein Mensch kann in Europa verstehen, warum ein Land wie Deutschland vom Instrument der Laufzeitverlängerung auch nach Mitte April keinen Gebrauch machen will und stattdessen auf die klimaschädliche Kohle setzt – obwohl wir doch alle gemeinsam unabhängig von russischem Öl und Gas werden wollen. Das ist auch eine Frage der europäischen Solidarität. Und für die Grünen ist dieser Widerspruch ohnehin nicht zu erklären, zumindest nicht unter Klimaschutzaspekten.

Frage: Wir wagen mal die Prognose, dass sich die FDP mit all diesen Positionen in der Ampel bestenfalls in Einzelpunkten wird durchsetzen können. Ist das der Grund, dass Sie bei den jüngsten Wahlen schwere Pleiten eingefahren haben?

Djir-Sarai: Ich sehe da keinen Zusammenhang. Wir sind Teil einer Koalition, haben leider keine absolute Mehrheit bei der letzten Bundestagswahl bekommen. Also müssen wir Kompromisse machen. Als Generalsekretär der FDP nehme ich mir aber die Freiheit, unsere Positionen klar darzustellen. Und ich bin sicher, dass wir in dieser Regierung so viel durchsetzen werden, dass wir bei der nächsten Bundestagswahl mit einer sehr guten Bilanz vor die Bürgerinnen und Bürger treten können. Mein Ziel ist es, dass wir dann wieder über zehn Prozent kommen. Daran können Sie mich messen.

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