FDPGastbeitragDeutschland muss ein menschlicher Zufluchtsort bleiben
Nicola Beer stellt ihre Strategien in der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik vor18.08.2015Im Gastbeitrag für das Blog "Tichys Einblick" nimmt FDP-Generalsekretärin Nicola Beer das Asylsystem unter die Lupe und stellt 12 Punkte für eine bessere Flüchtlings- und Einwanderungspolitik vor. "Es gilt, einerseits den Flüchtlingen schnell und unbürokratisch zu helfen, andererseits die Kommunen zu unterstützen, damit sie die Mammutaufgaben einer menschenwürdigen Unterbringung und schnellen erfolgreichen Integration bewältigen können", unterstreicht sie.
Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland sieht Beer die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und qualifizierten Zuwanderern nicht nur als ein Gebot der Mitmenschlichkeit, sondern auch als eine Investition in die Zukunft Deutschlands. So, wie die Flüchtlingshilfe jetzt laufe, würden Behörden und Kommunen allerdings überfordert. "Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung, damit unser Land ein menschlicher Zufluchtsort bleibt", erklärt die Freidemokratin.
Wie ein besseres System zu erreichen ist, schildert Beer im Detail. Zu ihren Strategien gehören unter anderem eine Beschleunigung der Verfahren, eine unbürokratische Gesundheitsversorgung und ein Umkrempeln der Finanzierung. Darüber hinaus brauche es eine stärkere Förderung der Sprachkenntnisse und mehr Chancen für junge Flüchtlinge, eine Ausbildung zu bekommen, sowie die Abschaffung des Arbeitsverbots. Nicht zuletzt fordert Beer, die Länder des Westbalkans zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, einen gerechten Lastenausgleich in der Europäischen Union zu schaffen und die Fluchtursachen in den Herkunftsländern entschlossen zu bekämpfen.
Lesen Sie hier den gesamten Gastbeitrag.
Die Flüchtlingsfrage bewegt die Gemüter, zu Recht. Selbst die Bundesregierung bequemt sich und beruft einen Flüchtlingsgipfel ein. Endlich, denn es liegt vieles im Argen. Doch in dem Strom der Flüchtlinge liegen auch Chancen für unser Land. Unsere Bevölkerung schrumpft und wird immer älter. Das werden wir sehr bald spüren. Deshalb ist die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und qualifizierten Zuwanderern nicht nur ein Gebot der Mitmenschlichkeit, sondern auch eine Investition in die Zukunft Deutschlands.
Die derzeitige Misere ist hausgemacht
Immer wieder fällt bei den Debatten zu dem drängenden Thema auf, dass Unkenntnis und Ignoranz die Diskussion dominieren. Deshalb ist es notwendig, zu differenzieren und zu versachlichen, Handlungsbedarf auf den Punkt zu bringen und dringend notwendige Änderungen zu veranlassen. Denn die derzeitige Misere ist hausgemacht, ist Ausdruck von Politik- und Verwaltungsversagen. Die Flüchtlingskrise hat ihren Ursprung in einer überholten Gesetzeslage und einer offenbar unfähigen Politik, Vorschriften an die Lebenswirklichkeit anzupassen und die öffentliche Verwaltung so zu ertüchtigen, dass sie auf die Flut der Antragsteller angemessen und sachgerecht reagieren kann.
Menschen, deren Existenz durch Terror und Krieg zerstört sind, die wegen ihrer Religion oder ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden, deren Leben bedroht ist, diese Menschen müssen ohne Wenn und Aber bei uns aufgenommen werden. Dann gibt es die Gruppe derer, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommt. Diese Menschen werden aufgrund einer völlig unzureichenden Gesetzeslage gezwungen, Asylanträge zu stellen.
Der politische Offenbarungseid der Regierungsparteien besteht darin, dass sie aus ideologischen Gründen die Augen vor der Wirklichkeit verschließen und mit Vorschriften des vergangenen Jahrhunderts die Situation von heute zu bewältigen versuchen. Bei denen, die aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, gilt es klar zu unterscheiden: Zwischen jenen, die nicht bedroht sind, aber von den Leistungen des Sozialstaates profitieren wollen und jenen, die qualifiziert sind und ihre Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit hier einbringen möchten. Auf Letztere können wir angesichts der demografischen Entwicklung nicht verzichten. Trotzdem schicken wir viele, die zu uns kommen, zurück, ohne festzustellen, was sie können, wie sie in unserem Land zu unser aller Wohlstand im umfassenden Sinne beitragen können.
Selbst Arbeitskräfte werden zurückgeschickt
Noch dramatischer ist, dass auch die Menschen zurückgeschickt werden, die sogar eine Arbeitsstelle in Aussicht haben. Diese ideologische Verbohrtheit, diesen wiehernden Amtsschimmel können wir uns auf Dauer nicht leisten. Dass sie hier als Asylsuchende anklopfen, ist nicht deren Fehler, vielmehr Folge einer verfehlten Einwanderungspolitik. Da es an einem vernünftigen Einwanderungsgesetz fehlt, bleibt ihnen nur der Weg über das Asylverfahren, ein Zustand, der dringend geändert werden muss. Denn dann könnten jene, die sich hier eine neue Existenz aufbauen wollen und die unsere Gesellschaft und Wirtschaft bereichern, im Heimatland einen Einwanderungsantrag stellen.
So, wie es jetzt läuft, überfordert es nicht nur viele Gemüter, sondern auch die Behörden. Angesichts der ständig ansteigenden Flüchtlingszahlen sind die Herausforderungen immens. Dies gilt in besonderem Maße für unsere Kommunen. Es gilt, einerseits den Flüchtlingen schnell und unbürokratisch zu helfen, andererseits die Kommunen zu unterstützen, damit sie die Mammutaufgabe einer menschenwürdigen Unterbringung und schnellen erfolgreichen Integration bewältigen können.
Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung, damit unser Land ein menschlicher Zufluchtsort bleibt. Die Menschen, die aus Angst um ihr Leben zu uns gekommen sind, sind in hohem Maße traumatisiert und brauchen die Sicherheit, in einer normalen Umgebung ihren Alltag bewältigen zu können. Die rasche Integration in die Gesellschaft muss unser Ziel sein, im Interesse der Flüchtlinge und in unserem eigenen Interesse.
Deshalb müssen wir zügig folgende Punkte angehen:
1. Bislang sind die staatlichen Stellen mit der hohen Zahl von Asylbewerbern überfordert.
Der Stau bei den Asylanträgen muss beseitigt und die Verfahren beschleunigt werden. Dazu brauchen wir mehr Mitarbeiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Es kann doch nicht angehen, dass tausende Bundesbedienstete mit der Kontrolle der bürokratischen Mindestlohnvorschriften und Paternoster beschäftigt sind, aber dort, wo es brennt, Personalmangel herrscht.
Zudem bedarf es einer pauschalen Stichtagsregelung für Flüchtlinge, die aus Staaten wie Syrien und Eritrea kommen, bei denen Asylanträge in ganz überwiegendem Maß anerkannt werden. Nach einer Sicherheitsüberprüfung sollte allen diesen Antragstellern Aufenthaltsstatus erteilt werden, die zum Stichtag bereits länger als sechs Monate auf die Bescheidung ihres Antrages warten. Generell dürfen neue Verfahren nicht länger als drei Monate dauern. Dadurch kann auch die Integration vor Ort früher beginnen und den verfolgten Menschen ein Stück Lebensnormalität bringen.
2. Vor allem die Länder des Westbalkans sind zu sicheren Herkunftsländern zu erklären.
Hier bestehen in der Regel keine Fluchtgründe wegen Bedrohung von Leib und Leben. Diese Menschen verlassen ihre Heimat, um sich bei uns ein besseres Leben für ihre Familien aufzubauen. Das ist verständlich, darf aber nicht die Asylverfahren von Verfolgten und Flüchtlingen belasten. Deshalb sollten wir Ihnen andere Möglichkeiten eröffnen, zu uns zu kommen, sofern sie auf unserem Arbeitsmarkt gebraucht werden.
Hierzu benötigen wir schnellstmöglich Arbeitsvisa auch für Fachkräfte ohne akademischen Abschluss und entsprechend dotierten Arbeitsverträgen. Informations- und Bewerbungszentren in den Herkunftsländern können erste Anlaufstellen sein. Wer bei uns Arbeit findet, Steuern und Sozialabgaben bezahlt, sollte uns mit seiner Familie willkommen sein.
3. Wer keinen Asylgrund und auch keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz hat, muss umgehend in sein Heimatland zurückkehren, notfalls per Abschiebung.
Auch diese Verfahren dürfen nicht länger als drei Monate dauern, damit sich Integrationsbemühungen auf die konzentrieren, die bei uns bleiben.
4. Der beste Weg zu einer gelungenen Integration führt über die Sprache.
Daher bedarf es eines Angebotes kostenloser Sprach-und Integrationskurse, die Teilnahme für den Antragsteller muss verpflichtend sein. Sie müssen flächendeckend in ausreichender Anzahl angeboten werden; es darf nicht sein, dass die Integrationschancen eines Menschen davon abhängen, in welcher Region man ihm eine Unterkunft zugewiesen hat. Gerade Kindern mit Sprachdefiziten müssen wir helfen: Ihnen muss die Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen so früh wie möglich nach Ankunft in Deutschland ermöglicht werden. In unseren Schulen ist das Flüchtlingsthema zum Unterrichtsgegenstand zu machen. Es bedarf geeigneter Materialien, mit denen sachlich informiert wird anstatt dumpfen Parolen Platz zu lassen.
5. Wer seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann, gewinnt Selbstvertrauen und ist auf dem besten Weg, in die Gesellschaft integriert zu werden.
Wir müssen dafür sorgen, dass Asylbewerber, die in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, dies auch dürfen. Standardisierte Qualifikationsabfragen schon in den Landeseinrichtungen können ein erster Schritt sein, um ihre Fähigkeiten frühzeitig festzustellen. Sind die beruflichen Fähigkeiten der Flüchtlinge bekannt, kann man diejenigen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei uns bleiben werden, gezielt vermitteln.
6. Wir verbauen jungen Flüchtlingen ihre Zukunft, wenn wir sie nicht ermutigen, eine Ausbildung zu absolvieren.
Das sind wir ihnen schuldig und auch unserem Land, denn sie werden die Fachkräfte von morgen sein, die Deutschland dringend benötigt. Die meisten von ihnen sind hoch motiviert. Da, wo aufgrund der Flucht kein Nachweis über Vorqualifikation vorhanden ist, lässt sich dies leicht testen. Um die Ausbildungszeit erfolgreich bestehen zu können, brauchen sie Sicherheit – in jeder Hinsicht. Deshalb dürfen sie während der Ausbildung und der folgenden 18 Monate nicht von Abschiebung bedroht sein.
Erst vor kurzem hat die Begegnung der Bundeskanzlerin mit einem jungen Mädchen aus dem Libanon für Schlagzeilen gesorgt, weil dieses Mädchen Angst vor einer drohenden Abschiebung hatte. Dies ist leider kein Einzelfall. Betreuung und Schulbesuch müssen – auch durch die Inanspruchnahme von BAföG – bis zum 25. Lebensjahr möglich sein. Dann muss niemand mehr, nur weil er volljährig wird, seine Schulausbildung abbrechen.
7. Die Flucht unbegleiteter junger Flüchtlinge dauert nicht selten zwei Jahre.
Sie gelangen teilweise in einem Alter nach Deutschland, in dem junge Menschen nicht mehr in Schulen aufgenommen werden; dies ist derzeit nur bis zum 16., höchstens 18. Lebensjahr möglich. Das bedeutet für die jungen Flüchtlinge, dass sie keine Chance haben, hier eine zukunftssichernde Ausbildung zu erhalten. Wir brauchen flexiblere Beschulungskonzepte, nicht nur um der jungen Flüchtlinge Willen, sondern auch, weil wir auf diese hoch motivierten jungen Menschen mittelfristig nicht verzichten können.
8. Für die Bearbeitung der Asylanträge ist der Aufenthalt in zentralen Landeseinrichtungen sinnvoll, er darf aber maximal drei Monate betragen.
Bei der Verteilung auf die Kommunen muss die dezentrale Unterbringung das Ziel sein. Eine Art Ghettounterbringung führt nur selten zu einer gelungenen Integration. Wo eine dezentrale Unterbringung nicht realisierbar ist, sind als Übergang Gemeinschaftsunterkünfte leider unausweichlich. Dafür brauchen wir unbürokratische Lösungen und ein Sofortinvestitionsprogramm für Neubauten und Sanierungen. Auch Bürger, die Antragsteller daheim aufnehmen möchten, dürfen nicht, wie dies häufig berichtet wird, abgewiesen oder bürokratischen Verfahren unterworfen werden. Die Sozialbürokratie ist doch kein Selbstzweck, wenn es wegen bürgerlichen Engagements keinen Bedarf an staatlichen Leistungen gibt.
9. Gesundheitsversorgung unbürokratisch organisieren. Momentan muss noch jeder Arztbesuch genehmigt werden.
Das überfordert nicht nur die zuständigen Sozialbehörden, sondern degradiert die Flüchtlinge im Gesundheitsbereich zu Menschen zweiter Klasse. Mit einer Krankenkarte nach dem „Bremer Modell“ sollen die Flüchtlinge unkomplizierten Zugang zu angemessener Krankenversorgung erhalten. Dazu muss der Bund den Ländern zügig erlauben, Rahmenverträge mit den Krankenkassen zu schließen.
10. Die staatliche Ebene, die über die Aufnahme der Antragsteller entscheidet, soll auch die Kosten tragen.
Der Bund muss künftig vollständig die finanziellen Leistungen für Asylbewerber übernehmen. Damit sind gleichzeitig die Kommunen nicht mehr Leidtragende von überlangen Asylverfahren, deren Beschleunigung sie selbst nicht in der Hand haben.
11. Es ist höchste Zeit für einen gerechten Lastenausgleich in der Europäischen Union.
Wir brauchen ein solidarisches Europa, gerade wenn es darum geht, den Flüchtlingen Zuflucht zu bieten und ein menschliches Leben zu ermöglichen. Dieser Aufgabe müssen sich alle Staaten innerhalb der EU stellen. Das bestehende Dublinverfahren ist unzureichend und muss durch einen fairen Verteilungsschlüssel ersetzt werden, so dass alle Mitgliedsstaaten Flüchtlinge aufnehmen. Geeignete Maßstäbe sind Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft, Arbeitslosigkeit und Größe des jeweiligen Landes. Dann wird auch der Grenzzaun zur Unterbrechung der Schlepperrouten zwischen Ungarn und Serbien verschwinden.
Bis dieses neue System Realität geworden ist, brauchen wir einen europäischen Ausgleichsfonds zur Unterstützung von Mitgliedsstaaten mit einer hohen Aufnahmequote. Gleichzeitig sollten wir ein Europäisches Einwanderungsrecht schaffen. Die bestehenden Blue Card – Regelungen sind hierfür nicht ausreichend.
12. Fluchtursachen bereits in den Herkunftsländern bekämpfen.
Kriege, Terrorismus und Armut – die Gründe, warum Menschen aus ihrem Land fliehen, lassen sich nicht so einfach beseitigen. Dazu bedarf es eines eng vernetzten Einsatzes humanitärer, diplomatischer, entwicklungspolitischer und wirtschaftlicher Instrumente. Nur durch enge Partnerschaften mit den betroffenen Ländern lässt sich langfristig etwas bewegen. Diesen langen Atem müssen wir haben, der Mitmenschlichkeit und der Beseitigung der Flüchtlingsmisere an der Quelle wegen.
Deutschland muss ein menschlicher Zufluchtsort bleiben
Nicola Beer stellt ihre Strategien in der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik vorIm Gastbeitrag für das Blog "Tichys Einblick" nimmt FDP-Generalsekretärin Nicola Beer das Asylsystem unter die Lupe und stellt 12 Punkte für eine bessere Flüchtlings- und Einwanderungspolitik vor. "Es gilt, einerseits den Flüchtlingen schnell und unbürokratisch zu helfen, andererseits die Kommunen zu unterstützen, damit sie die Mammutaufgaben einer menschenwürdigen Unterbringung und schnellen erfolgreichen Integration bewältigen können", unterstreicht sie.
Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland sieht Beer die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und qualifizierten Zuwanderern nicht nur als ein Gebot der Mitmenschlichkeit, sondern auch als eine Investition in die Zukunft Deutschlands. So, wie die Flüchtlingshilfe jetzt laufe, würden Behörden und Kommunen allerdings überfordert. "Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung, damit unser Land ein menschlicher Zufluchtsort bleibt", erklärt die Freidemokratin.
Wie ein besseres System zu erreichen ist, schildert Beer im Detail. Zu ihren Strategien gehören unter anderem eine Beschleunigung der Verfahren, eine unbürokratische Gesundheitsversorgung und ein Umkrempeln der Finanzierung. Darüber hinaus brauche es eine stärkere Förderung der Sprachkenntnisse und mehr Chancen für junge Flüchtlinge, eine Ausbildung zu bekommen, sowie die Abschaffung des Arbeitsverbots. Nicht zuletzt fordert Beer, die Länder des Westbalkans zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, einen gerechten Lastenausgleich in der Europäischen Union zu schaffen und die Fluchtursachen in den Herkunftsländern entschlossen zu bekämpfen.
Lesen Sie hier den gesamten Gastbeitrag.
Die Flüchtlingsfrage bewegt die Gemüter, zu Recht. Selbst die Bundesregierung bequemt sich und beruft einen Flüchtlingsgipfel ein. Endlich, denn es liegt vieles im Argen. Doch in dem Strom der Flüchtlinge liegen auch Chancen für unser Land. Unsere Bevölkerung schrumpft und wird immer älter. Das werden wir sehr bald spüren. Deshalb ist die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und qualifizierten Zuwanderern nicht nur ein Gebot der Mitmenschlichkeit, sondern auch eine Investition in die Zukunft Deutschlands.
Die derzeitige Misere ist hausgemacht
Immer wieder fällt bei den Debatten zu dem drängenden Thema auf, dass Unkenntnis und Ignoranz die Diskussion dominieren. Deshalb ist es notwendig, zu differenzieren und zu versachlichen, Handlungsbedarf auf den Punkt zu bringen und dringend notwendige Änderungen zu veranlassen. Denn die derzeitige Misere ist hausgemacht, ist Ausdruck von Politik- und Verwaltungsversagen. Die Flüchtlingskrise hat ihren Ursprung in einer überholten Gesetzeslage und einer offenbar unfähigen Politik, Vorschriften an die Lebenswirklichkeit anzupassen und die öffentliche Verwaltung so zu ertüchtigen, dass sie auf die Flut der Antragsteller angemessen und sachgerecht reagieren kann.
Menschen, deren Existenz durch Terror und Krieg zerstört sind, die wegen ihrer Religion oder ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden, deren Leben bedroht ist, diese Menschen müssen ohne Wenn und Aber bei uns aufgenommen werden. Dann gibt es die Gruppe derer, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommt. Diese Menschen werden aufgrund einer völlig unzureichenden Gesetzeslage gezwungen, Asylanträge zu stellen.
Der politische Offenbarungseid der Regierungsparteien besteht darin, dass sie aus ideologischen Gründen die Augen vor der Wirklichkeit verschließen und mit Vorschriften des vergangenen Jahrhunderts die Situation von heute zu bewältigen versuchen. Bei denen, die aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, gilt es klar zu unterscheiden: Zwischen jenen, die nicht bedroht sind, aber von den Leistungen des Sozialstaates profitieren wollen und jenen, die qualifiziert sind und ihre Arbeitskraft und Leistungsfähigkeit hier einbringen möchten. Auf Letztere können wir angesichts der demografischen Entwicklung nicht verzichten. Trotzdem schicken wir viele, die zu uns kommen, zurück, ohne festzustellen, was sie können, wie sie in unserem Land zu unser aller Wohlstand im umfassenden Sinne beitragen können.
Selbst Arbeitskräfte werden zurückgeschickt
Noch dramatischer ist, dass auch die Menschen zurückgeschickt werden, die sogar eine Arbeitsstelle in Aussicht haben. Diese ideologische Verbohrtheit, diesen wiehernden Amtsschimmel können wir uns auf Dauer nicht leisten. Dass sie hier als Asylsuchende anklopfen, ist nicht deren Fehler, vielmehr Folge einer verfehlten Einwanderungspolitik. Da es an einem vernünftigen Einwanderungsgesetz fehlt, bleibt ihnen nur der Weg über das Asylverfahren, ein Zustand, der dringend geändert werden muss. Denn dann könnten jene, die sich hier eine neue Existenz aufbauen wollen und die unsere Gesellschaft und Wirtschaft bereichern, im Heimatland einen Einwanderungsantrag stellen.
So, wie es jetzt läuft, überfordert es nicht nur viele Gemüter, sondern auch die Behörden. Angesichts der ständig ansteigenden Flüchtlingszahlen sind die Herausforderungen immens. Dies gilt in besonderem Maße für unsere Kommunen. Es gilt, einerseits den Flüchtlingen schnell und unbürokratisch zu helfen, andererseits die Kommunen zu unterstützen, damit sie die Mammutaufgabe einer menschenwürdigen Unterbringung und schnellen erfolgreichen Integration bewältigen können.
Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung, damit unser Land ein menschlicher Zufluchtsort bleibt. Die Menschen, die aus Angst um ihr Leben zu uns gekommen sind, sind in hohem Maße traumatisiert und brauchen die Sicherheit, in einer normalen Umgebung ihren Alltag bewältigen zu können. Die rasche Integration in die Gesellschaft muss unser Ziel sein, im Interesse der Flüchtlinge und in unserem eigenen Interesse.
Deshalb müssen wir zügig folgende Punkte angehen:
1. Bislang sind die staatlichen Stellen mit der hohen Zahl von Asylbewerbern überfordert.
Der Stau bei den Asylanträgen muss beseitigt und die Verfahren beschleunigt werden. Dazu brauchen wir mehr Mitarbeiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Es kann doch nicht angehen, dass tausende Bundesbedienstete mit der Kontrolle der bürokratischen Mindestlohnvorschriften und Paternoster beschäftigt sind, aber dort, wo es brennt, Personalmangel herrscht.
Zudem bedarf es einer pauschalen Stichtagsregelung für Flüchtlinge, die aus Staaten wie Syrien und Eritrea kommen, bei denen Asylanträge in ganz überwiegendem Maß anerkannt werden. Nach einer Sicherheitsüberprüfung sollte allen diesen Antragstellern Aufenthaltsstatus erteilt werden, die zum Stichtag bereits länger als sechs Monate auf die Bescheidung ihres Antrages warten. Generell dürfen neue Verfahren nicht länger als drei Monate dauern. Dadurch kann auch die Integration vor Ort früher beginnen und den verfolgten Menschen ein Stück Lebensnormalität bringen.
2. Vor allem die Länder des Westbalkans sind zu sicheren Herkunftsländern zu erklären.
Hier bestehen in der Regel keine Fluchtgründe wegen Bedrohung von Leib und Leben. Diese Menschen verlassen ihre Heimat, um sich bei uns ein besseres Leben für ihre Familien aufzubauen. Das ist verständlich, darf aber nicht die Asylverfahren von Verfolgten und Flüchtlingen belasten. Deshalb sollten wir Ihnen andere Möglichkeiten eröffnen, zu uns zu kommen, sofern sie auf unserem Arbeitsmarkt gebraucht werden.
Hierzu benötigen wir schnellstmöglich Arbeitsvisa auch für Fachkräfte ohne akademischen Abschluss und entsprechend dotierten Arbeitsverträgen. Informations- und Bewerbungszentren in den Herkunftsländern können erste Anlaufstellen sein. Wer bei uns Arbeit findet, Steuern und Sozialabgaben bezahlt, sollte uns mit seiner Familie willkommen sein.
3. Wer keinen Asylgrund und auch keinen Arbeits- oder Ausbildungsplatz hat, muss umgehend in sein Heimatland zurückkehren, notfalls per Abschiebung.
Auch diese Verfahren dürfen nicht länger als drei Monate dauern, damit sich Integrationsbemühungen auf die konzentrieren, die bei uns bleiben.
4. Der beste Weg zu einer gelungenen Integration führt über die Sprache.
Daher bedarf es eines Angebotes kostenloser Sprach-und Integrationskurse, die Teilnahme für den Antragsteller muss verpflichtend sein. Sie müssen flächendeckend in ausreichender Anzahl angeboten werden; es darf nicht sein, dass die Integrationschancen eines Menschen davon abhängen, in welcher Region man ihm eine Unterkunft zugewiesen hat. Gerade Kindern mit Sprachdefiziten müssen wir helfen: Ihnen muss die Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen so früh wie möglich nach Ankunft in Deutschland ermöglicht werden. In unseren Schulen ist das Flüchtlingsthema zum Unterrichtsgegenstand zu machen. Es bedarf geeigneter Materialien, mit denen sachlich informiert wird anstatt dumpfen Parolen Platz zu lassen.
5. Wer seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann, gewinnt Selbstvertrauen und ist auf dem besten Weg, in die Gesellschaft integriert zu werden.
Wir müssen dafür sorgen, dass Asylbewerber, die in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, dies auch dürfen. Standardisierte Qualifikationsabfragen schon in den Landeseinrichtungen können ein erster Schritt sein, um ihre Fähigkeiten frühzeitig festzustellen. Sind die beruflichen Fähigkeiten der Flüchtlinge bekannt, kann man diejenigen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei uns bleiben werden, gezielt vermitteln.
6. Wir verbauen jungen Flüchtlingen ihre Zukunft, wenn wir sie nicht ermutigen, eine Ausbildung zu absolvieren.
Das sind wir ihnen schuldig und auch unserem Land, denn sie werden die Fachkräfte von morgen sein, die Deutschland dringend benötigt. Die meisten von ihnen sind hoch motiviert. Da, wo aufgrund der Flucht kein Nachweis über Vorqualifikation vorhanden ist, lässt sich dies leicht testen. Um die Ausbildungszeit erfolgreich bestehen zu können, brauchen sie Sicherheit – in jeder Hinsicht. Deshalb dürfen sie während der Ausbildung und der folgenden 18 Monate nicht von Abschiebung bedroht sein.
Erst vor kurzem hat die Begegnung der Bundeskanzlerin mit einem jungen Mädchen aus dem Libanon für Schlagzeilen gesorgt, weil dieses Mädchen Angst vor einer drohenden Abschiebung hatte. Dies ist leider kein Einzelfall. Betreuung und Schulbesuch müssen – auch durch die Inanspruchnahme von BAföG – bis zum 25. Lebensjahr möglich sein. Dann muss niemand mehr, nur weil er volljährig wird, seine Schulausbildung abbrechen.
7. Die Flucht unbegleiteter junger Flüchtlinge dauert nicht selten zwei Jahre.
Sie gelangen teilweise in einem Alter nach Deutschland, in dem junge Menschen nicht mehr in Schulen aufgenommen werden; dies ist derzeit nur bis zum 16., höchstens 18. Lebensjahr möglich. Das bedeutet für die jungen Flüchtlinge, dass sie keine Chance haben, hier eine zukunftssichernde Ausbildung zu erhalten. Wir brauchen flexiblere Beschulungskonzepte, nicht nur um der jungen Flüchtlinge Willen, sondern auch, weil wir auf diese hoch motivierten jungen Menschen mittelfristig nicht verzichten können.
8. Für die Bearbeitung der Asylanträge ist der Aufenthalt in zentralen Landeseinrichtungen sinnvoll, er darf aber maximal drei Monate betragen.
Bei der Verteilung auf die Kommunen muss die dezentrale Unterbringung das Ziel sein. Eine Art Ghettounterbringung führt nur selten zu einer gelungenen Integration. Wo eine dezentrale Unterbringung nicht realisierbar ist, sind als Übergang Gemeinschaftsunterkünfte leider unausweichlich. Dafür brauchen wir unbürokratische Lösungen und ein Sofortinvestitionsprogramm für Neubauten und Sanierungen. Auch Bürger, die Antragsteller daheim aufnehmen möchten, dürfen nicht, wie dies häufig berichtet wird, abgewiesen oder bürokratischen Verfahren unterworfen werden. Die Sozialbürokratie ist doch kein Selbstzweck, wenn es wegen bürgerlichen Engagements keinen Bedarf an staatlichen Leistungen gibt.
9. Gesundheitsversorgung unbürokratisch organisieren. Momentan muss noch jeder Arztbesuch genehmigt werden.
Das überfordert nicht nur die zuständigen Sozialbehörden, sondern degradiert die Flüchtlinge im Gesundheitsbereich zu Menschen zweiter Klasse. Mit einer Krankenkarte nach dem „Bremer Modell“ sollen die Flüchtlinge unkomplizierten Zugang zu angemessener Krankenversorgung erhalten. Dazu muss der Bund den Ländern zügig erlauben, Rahmenverträge mit den Krankenkassen zu schließen.
10. Die staatliche Ebene, die über die Aufnahme der Antragsteller entscheidet, soll auch die Kosten tragen.
Der Bund muss künftig vollständig die finanziellen Leistungen für Asylbewerber übernehmen. Damit sind gleichzeitig die Kommunen nicht mehr Leidtragende von überlangen Asylverfahren, deren Beschleunigung sie selbst nicht in der Hand haben.
11. Es ist höchste Zeit für einen gerechten Lastenausgleich in der Europäischen Union.
Wir brauchen ein solidarisches Europa, gerade wenn es darum geht, den Flüchtlingen Zuflucht zu bieten und ein menschliches Leben zu ermöglichen. Dieser Aufgabe müssen sich alle Staaten innerhalb der EU stellen. Das bestehende Dublinverfahren ist unzureichend und muss durch einen fairen Verteilungsschlüssel ersetzt werden, so dass alle Mitgliedsstaaten Flüchtlinge aufnehmen. Geeignete Maßstäbe sind Bevölkerungszahl, Wirtschaftskraft, Arbeitslosigkeit und Größe des jeweiligen Landes. Dann wird auch der Grenzzaun zur Unterbrechung der Schlepperrouten zwischen Ungarn und Serbien verschwinden.
Bis dieses neue System Realität geworden ist, brauchen wir einen europäischen Ausgleichsfonds zur Unterstützung von Mitgliedsstaaten mit einer hohen Aufnahmequote. Gleichzeitig sollten wir ein Europäisches Einwanderungsrecht schaffen. Die bestehenden Blue Card – Regelungen sind hierfür nicht ausreichend.
12. Fluchtursachen bereits in den Herkunftsländern bekämpfen.
Kriege, Terrorismus und Armut – die Gründe, warum Menschen aus ihrem Land fliehen, lassen sich nicht so einfach beseitigen. Dazu bedarf es eines eng vernetzten Einsatzes humanitärer, diplomatischer, entwicklungspolitischer und wirtschaftlicher Instrumente. Nur durch enge Partnerschaften mit den betroffenen Ländern lässt sich langfristig etwas bewegen. Diesen langen Atem müssen wir haben, der Mitmenschlichkeit und der Beseitigung der Flüchtlingsmisere an der Quelle wegen.