BUSCHMANN-Gastbeitrag: Die Mitte der Gesellschaft muss entlastet werden
Das FDP-Präsidiumsmitglied und Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Die „linke Intelligenz“ hat im Grundsatz ihren Frieden mit Globalisierung und Marktwirtschaft gemacht. Sogar Branko Milanović, einer der Päpste der internationalen Debatte um zunehmende Ungleichheit auf der Welt, erkennt an, dass Globalisierung und Freihandel weltweit zu einer neuen „globalen Mittelschicht“ geführt haben.
Ihre Lebensbedingungen hätten sich, so Milanović in seinem Standardwerk „Die Welt der Ungleichheit“, seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus radikal verbessert. In Zweifel ziehen das eigentlich nur noch linke Folkloregruppen, die die Kämpfe längst vergangener Tage nachspielen, oder Organisationen, deren Geschäftsmodelle durch öffentliche Empörung das menschliche Mitgefühl auszubeuten versuchen. Die eigentliche soziale Frage lautet, wie sich die Einkommenssituation der unteren und mittleren Mittelschicht in den OECD-Staaten entwickelt.
Ein Faktor, der besonderen Druck auf die Einkommenssituation dieser Haushalte ausübt, ist die Belastung durch den Staat. Sie hat in dem durch Milanović skizzierten Zeitraum seit dem Fall der Berliner Mauer enorm zugenommen.
1990 lag der Umsatzsteuersatz in Deutschland bei 14 Prozent. Heute liegt er bei 19 Prozent. Die Energiesteuer – die frühere Mineralölsteuer – wurde seit 1990 mehr als verdoppelt. Der Anteil der indirekten Steuern am Steueraufkommen ist deutlich gewachsen. Was das bedeutet ist klar: Nach Berechnungen des DIW Berlin gehen in den mittleren Einkommensgruppen etwa 10 Prozent des Nettoeinkommens allein in die Mehrwertsteuer. Oder anders gesprochen: Allein durch die Mehrwertsteuererhöhung seit 1990 stehen in diesen Haushalten pro Person jährlich rund 400 Euro weniger zur Verfügung, in einem 4-Personen-Haushalt also 1600 Euro.
1990 lag der Arbeitnehmerbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung bei 6,25 Prozent des Brutto-Lohns, bezogen auf den heutigen Vollzeit-Durchschnittsverdienst von 3703 Euro also bei monatlich ca. 231 Euro. Heute liegt er bei 8,4 Prozent, bezogen auf den heutigen Durchschnittsverdienst mithin bei 311 Euro – also verglichen mit dem Beitragssatz von 1990 pro Arbeitnehmer um monatlich 80 Euro höher. Die Pflegeversicherung existierte im Jahr 1990 noch gar nicht. Bezogen auf den Durchschnittverdienst schlägt sie heute mit monatlich 47 Euro zu Buche.
Der Solidaritätszuschlag als Ergänzungsabgabe zur Einkommenssteuer existierte 1990 gar nicht, ebenso wenig wie die Stromsteuer, die EEG-Abgabe, die zusätzlichen Kosten erhöhter Baustandards, die auf die Mieten umgelegt werden, und so weiter und so weiter.
Die Mittelschicht ist in den OECD-Staaten gewiss auch im Rahmen der Globalisierung unter ökonomischen Druck geraten. Produktion muss massiv an Produktivität zulegen, wenn sie der Standortverlagerung entgehen möchte. Die immer höhere Nachfrage nach höheren Dienstleistungen verlangt immer höhere Qualifikationen. Und dann kommt auch noch der Staat mit seinem ungehemmten Hunger nach immer mehr Geld dazu. Er hat in Deutschland einen gehörigen Anteil an dem Druck, der auf den Haushalten der Mittelschicht lastet.
Die Schlussfolgerung ist klar: Wer sozialen Zusammenhalt politisch stärken möchte, wer etwas dafür tun möchte, dass sich die Mitte unserer Gesellschaft von der Krankenschwester bis zum Ingenieur nicht weiter abgehängt fühlt, der muss mit einer spürbaren Entlastung der Mittelschicht von Steuern und Sozialversicherungsabgaben beginnen. Entlastung ist ein sozialer Auftrag. Wer davor die Augen verschließt, darf sich nicht wundern, wenn sich die Mitte unserer Gesellschaft nicht mehr politisch vertreten fühlt und in ihrer Not zu radikalen politischen Ausdrucksmöglichkeiten ihres Frusts greift.