18.05.2013FDP-FraktionArbeitsmarkt

BRÜDERLE-Interview mit den Stuttgarter Nachrichten

​BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab den Stuttgarter Nachrichten (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Norbert Wallett.

​Frage: Herr Brüderle, es droht ein Lagerwahlkampf. Muss die FDP innerhalb des bürgerlichen Lagers nicht den Unterschied zur Union stärker markieren?

BRÜDERLE. Die FDP macht diesen Unterschied doch schon aus. Wir halten die Union auf Kurs. Jede Partei muss ihren Wahlkampf aus eigener Kraft und Programmatik führen. Ich kämpfe um Stimmen für die FDP. Aber wir sagen klipp und klar, dass wir die erfolgreiche Koalition mit der Union fortsetzen wollen.

Frage: Also klopfen wir die Unterschiede zur Union ab: Reicht Ihnen die Aussage der Christdemokraten, in der nächsten Wahlperiode ohne Steuererhöhungen auskommen zu wollen?

BRÜRDERLE: Die christlich-liberale Koalition ist das erfolgreiche Gegenmodell zu den rot-rot-grünen Steuererhöhungsplänen. Dabei sind wir noch ambitionierter als die Union. Wir wollen in der nächsten Wahlperiode die Spielräume für Steuersenkungen erarbeiten. Ein ausgeglichener Haushalt ermöglicht, den Solidaritätszuschlag in der nächsten Wahlperiode abzuschaffen. Das sind neun Milliarden, die vom Staat zusätzlich bei den Bürgern erhoben werden. Davon geht ohnehin immer weniger in die neuen Bundesländer, schon jetzt nur noch knapp die Hälfte. Und deshalb wollen wir auch weiter die Tarife der Einkommensteuer ändern, um den Effekt der kalten Progression deutlich zu mindern. Wegen der rot-rot-grünen Blockade im Bundesrat wird den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern diese Entlastung bislang verwehrt. Bei jeder wohlverdienten Gehaltserhöhung greift der Staat übermäßig zu.

Frage: Was wird aus dem Ehegattensplitting?
BRÜDERLE: Das wollen wir in der jetzigen Form beibehalten, weil es eine Anerkennung für Ehe und Familie bedeutet. Die Grünen wollen eine Individualbesteuerung. Da werden Ehepartner behandelt, als ob sie Fremde wären. Die SPD hat ein Partnerschaftsmodell des Unterhaltsausgleichs. Sie behandelt Ehepartner so, als wenn sie virtuell geschieden wären.

Frage: Viele in der Union wollen einen zusätzlichen Kinderfaktor einführen.

BRÜDERLE. Kinder muss man fördern, nur nicht innerhalb des Splittings, denn manche Ehen bleiben auch ungewollt kinderlos. Dazu sind die Kinderfreibeträge und das Kindergeld da. Das ist viel gezielter.

Frage: Außerdem gibt es die Debatte um die Einbeziehung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften ins Splitting.

BRÜDERLE. Dazu sagen wir uneingeschränkt "Ja". Menschen, die füreinander Verantwortung übernehmen, dürfen nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung unterschiedlich behandelt werden. Wir bedauern die mangelnde Einsicht der CSU, aber bei Finanzminister Schäuble hat ein Denkprozess eingesetzt.

Frage: Auch beim Thema Maut muss die Union ihre Position klären?

BRÜDERLE: Der Autofahrer ist heute schon die Melkkuh des Staates. Wir wollen entlasten, nicht draufsatteln. Darauf würden wir auch in kommenden Koalitionsverhandlungen mit der Union bestehen.

Frage: Gilt das auch für die Frauenquote?

BRÜDERLE: Ja. Das ist nicht der richtige Ansatz. Benachteiligungen von Frauen abzubauen ist eine sehr wichtige Aufgabe. Aber dabei ist nicht das Kernproblem, ob an den obersten Spitzengremien der Dax-Unternehmen mehr Frauen beteiligt sind. Das ist zwar wünschenswert, Für den Erfolg der Gleichstellungspolitik ist aber die Situation der 18 Millionen Frauen im Arbeitsprozess entscheidend. Die müssen Beruf und Familie besser vereinbaren können. Dazu bedarf es besserer Kinderbetreuungszeiten, andere Arbeitszeitmodelle. Das hat Priorität.

Frage: Ein anderes Problem des Arbeitsmarkts ist der Facharbeitermangel. Was tun?

BRÜDERLE: Es gibt mehrere Ansatzpunkte: Wir müssen erreichen, dass ältere Arbeitnehmer - natürlich freiwillig - länger im Betrieb bleiben. Auf ihre Erfahrung wird man nicht verzichten können. Das Gymnasium und die Realschule als bewährte Schulformen müssen gestärkt werden. Auch um sein duales Ausbildungssystem wird Deutschland in aller Welt beneidet. Deshalb ist der rot-grüne Weg zur Einheitsschule so fatal. Und wir müssen offener für weitere Zuwanderung zu sein. Dass innerhalb des zusammenwachsenden Wirtschaftsraumes in Europa auch der Arbeitsmarkt zusammenwächst, ist ganz normal.

Frage: Braucht man auch Änderungen beim Staatsbürgerschaftsrecht?

BRÜDERLE: Ja. Junge Ausländer müssen sich bislang mit 23 Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Die Türkei ist ein wirtschaftliches Boomland. Wenn sich aufgrund der Rechtslage immer mehr hier gut ausgebildete Nachwuchskräfte für die Heimkehr in die Türkei entscheiden, kann uns das nicht egal sein. In solchen Fällen sollte man pragmatischer beim Zulassen der doppelten Staatsbürgerschaft sein. Wichtiger als der Paß ist das Bekenntnis zu Deutschland. Wir müssen qualifizierte Menschen im unserem eigenen Interesse auch an Deutschland binden. Es gibt nicht mehr den klassischen alten Nationalstaat, wir haben einen Verfassungsstaat.

Frage: Wie gehen sie mit der Alternative für Deutschland um?

BRÜDERLE. Ich nehme die Sorgen der Menschen um ihr Geld sehr ernst. Deshalb ist die Geldwertstabilität für mich das zentrale Wahlkampfthema. Es reicht nicht, sich "Alternative" zu nennen, wenn man keine Antworten für die Zukunft Europas und Deutschlands liefert. Eine Rückkehr zur D-Mark wäre für Deutschland teuer und fatal. Nationale Alleingänge sind genauso falsch wie Gleichmacherei. Nachdem der französische Präsident Hollande sein Land durch Steuererhöhungen und mehr Staatswirtschaft völlig ausgebremst hat, will er jetzt eine europäische Wirtschaftsregierung nach seinen Vorstellungen. Da kann ich nur sagen: "Mon dieu!" Wir wollen nicht mehr Staat, weder in Deutschland noch in Europa.

398-Brüderle Interview-Stuttgarter Nachrichten

398-bruderle_interview-stuttgarter_nachrichten.pdf

Social Media Button