04.07.2012FDPEU-Politik

BRÜDERLE-Interview für die "Rheinische Post"

Berlin. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Präsidiumsmitglied RAINER BRÜDERLE, gab der "Rheinischen Post" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte MICHAEL BRÖCKER:

Frage: Die FDP stand immer für ein Zusammengehen von Risiko und Haftung. Nun haftet Deutschland für die Fehler anderer Länder. Gilt der Leitsatz in der Krisenpolitik nicht mehr?

BRÜDERLE: Selbstverständlich, deshalb hat die FDP sich erfolgreich gegen Eurobonds und eine Schuldenunion gestemmt. Wir haben stattdessen den Fiskalpakt auf den Weg gebracht, der europaweit Schuldenbremsen einführt. Und wir haben den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) beschlossen, nach dem es Hilfe nur noch nach Reformen und mit Auflagen gibt.

Frage: Die Beschlüsse des EU-Gipfels sorgen auch in der Koalition für Verärgerung. Warum soll der deutsche Steuerzahler für marode südeuropäische Banken haften?

BRÜDERLE: Soll er nicht. Zunächst einmal muss man die Beschlüsse genau lesen. Die Rekapitalisierung der Banken aus dem dauerhaften Rettungsfonds ESM kann es erst geben, wenn eine einheitliche europäische Bankenaufsicht mit Durchgriffsrechten in nationale Strukturen
aufgebaut ist.

Frage: Bis wann soll es denn diese europäische Bankenunion geben?

BRÜDERLE: Die Verlagerung von Zuständigkeiten und Souveränität an
europäische Institutionen ist ein langwieriger und schwieriger Prozess. Wir warten jetzt die Vorschläge aus Brüssel ab und werden diese dann diskutieren. Danach sind zur Umsetzung Gesetze nötig, denen der Bundestag zustimmen muss.

Frage: Trotzdem bekommen Krisenstaaten künftig leichter Hilfsgelder.

BRÜDERLE: Jeder Hilfe aus dem europäischen Rettungsfonds ESM sind nationale Beschlüsse vorgeschaltet. Wir haben in Deutschland eine Parlamentsbeteiligung eingeführt wie kein anderes europäisches Land. Jede zentrale Entscheidung im Gouverneursrat muss vorher im Bundestag beschlossen werden.

Frage: Spanien bekommt spezielle Bankenhilfen ohne Auflagen, Italien will nachziehen. Die EU weicht doch schrittweise die Bedingungen auf.

BRÜDERLE: Nein, es bleibt dabei. Es gibt keine Leistung ohne Gegenleistung. Sowohl bei den Hilfen aus der EFSF (vorläufiger Euro-Rettungsschirm; d. Red.) als auch beim gerade verabschiedeten ESM wird es keine finanziell wirksamen Zusagen geben, ohne dass die nationalen Parlamente dem zustimmen. Wir als FDP werden darauf achten, dass Finanzhilfen immer auch an Reformprogramme geknüpft sind. Das Prinzip
der Konditionalität ist das Kernelement unserer Europapolitik.

Frage: Ist der ESM nicht der Nukleus einer europäischen Haftungsunion?

BRÜDERLE: Das sehe ich nicht. Er wahrt die Entscheidungshoheit der nationalen Parlamente, und der Fonds übernimmt auch nicht die Altschulden der Krisenstaaten. Das war uns wichtig. Mit dem ESM bringen wir jetzt aber mehr Stabilität und finanzielle Sicherheit in die Krise.

Frage: Wie sieht Ihr Europa 2020 aus?

BRÜDERLE: Es wird keine Vereinigten Staaten von Europa geben. Dafür fehlt uns die gemeinsame Sprache, die gemeinsame Identität. Die regionale Pluralität ist eine Stärke Europas. Aber wir werden in einigen Bereichen schrittweise Souveränität abgeben. Das kann vom Aufbau einer gemeinsamen Armee bis hin zu einem harmonisierten Steuerrecht reichen. Wichtig ist, dass alle Integrationsschritte demokratisch legitimiert sind. Wir wollen ein Europa der Bürger und nicht der Bürokraten. Deshalb wünsche ich mir ein starkes Europaparlament, in dem stärker das Prinzip "One man, one vote" gelten muss. Eine deutsche Stimme darf nicht weniger zählen als eine italienische Stimme. Nur dann kann Europa noch mehr Akzeptanz beim Volk bekommen.

Frage: Alle reden wild durcheinander über das künftige Europa. Warum arbeitet nicht ein Konvent aus Experten konkret ein Modell aus?

BRÜDERLE: Die frühere Idee eines Verfassungskonvents für Europa halte ich nach wie vor für richtig. Es wird Zeit, dass sich eine Gruppe von Persönlichkeiten unter Teilnahme der Bevölkerung, der Parlamente, grundlegende Gedanken über die Architektur und die Verfasstheit dieses neuen Europas macht. Wir brauchen das Signal: Europa meint es ernst, Europa redet nicht nur. Hierfür sind die Treffen der europäischen Außenminister ein erster wichtiger Schritt.

Frage: Was steht am Ende dieses Prozesses?

BRÜDERLE: Vielleicht eine Verfassung für Europa, über die alle Völker entscheiden. Wir müssen Europa zu einer Herzensangelegenheit machen.
Wer einmal verliebt war, weiß, dass Menschen nicht nur logisch und rational handeln. Die Menschen müssen sagen: Das ist mein Europa. Nur dann wird der Kontinent auch im Wettbewerb mit boomenden, wachsenden Regionen bestehen können.

Frage: Und Griechenland behält den Euro?

BRÜDERLE: Das muss Griechenland selbst entscheiden. Griechenland ist ein souveränes Land, kein Protektorat von Brüssel. Griechenland muss jetzt ernsthaft die Reformen umsetzen. Wenn das nicht geschieht, müssen die Griechen sich über die Konsequenzen im Klaren sein. Wenn Griechenland weiter Hilfen bekommen will, muss es an seiner Wettbewerbsfähigkeit arbeiten. Ich bin zuversichtlich, dass die neue griechische Regierung das auch mit aller Ernsthaftigkeit tut.

Frage: Wird das Bundesverfassungsgericht die Euro-Rettung aufhalten?

BRÜDERLE: Ich kann und will dem Urteil des unabhängigen Bundesverfassungsgerichts nicht vorgreifen, aber ich glaube nicht, dass die Richter grundsätzlich unsere Europa-Politik infrage stellen. Die Gesetze sind sorgfältig vorbereitet und mit einer verfassungsändernden Mehrheit im Bundestag und Bundesrat beschlossen worden. Das ist ein starkes Signal der Volksvertreter und der Länder.

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