03.09.2013FDP-FraktionArbeitsmarkt

BRÜDERLE-Interview für den "Südkurier"

BERLIN. Der Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, FDP-Präsidiumsmitglied und Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion RAINER BRÜDERLE gab dem „Südkurier" (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Margit Hufnagel, Karina Christen und Günter Ackermann:

Frage: Herr Brüderle, wie geht es Ihnen?

 

BRÜDERLE: Sehr gut. Ich bin von früh bis spät deutschlandweit im Einsatz.

 

Frage: Sie sehen schmaler aus …

 

BRÜDERLE: Na, dann hat der Unfall ja sogar etwas Positives (lacht). Aber im Ernst: Das war schon eine deutliche Einschränkung. Ich hatte mir noch nie im Leben etwas gebrochen. Aber ich hatte Glück im Unglück: Ich hatte gute Ärzte und Physiotherapeuten. Einen Tag nach der Operation haben sie mich schon wieder neben das Bett gestellt. Ich habe gesagt, ich kann das nicht, aber sie haben gemeint: doch, doch. Die Therapie begann sofort mit Bewegung. Das ist alles gut gelaufen. Normalerweise hat man nach sechs bis acht Wochen nach einem Bruch wieder eine Vollbelastung – bei mir ging das nach vier Wochen. Ich war nur zwölf Tage im Krankenhaus.

 

Frage: Dafür muten Sie sich jetzt einiges zu. Kürzlich war zu lesen, Sie hätten bis zur Wahl 198 Termine zu absolvieren …

 

BRÜDERLE: Ja, und jeder einzelne macht mir Freude.

 

Frage: Wie schaffen Sie das?

 

BRÜDERLE: Deutschland ist eben groß, da gibt es viel zu tun. Aber ich genieße diese Termine und das Gespräch mit den Bürgern. Ich mag Wahlkampf!

 

Frage: Sich zurückzuziehen wäre für Sie keine Option gewesen? Dem Beispiel Platzeck folgend, der kürzlich aus gesundheitlichen Gründen von seinen Ämtern zurückgetreten ist?

 

BRÜDERLE: Ich habe großen Respekt für das, was Matthias Platzeck getan hat. Aber seine Situation ist mit meiner nicht vergleichbar. Er hat Herzprobleme und hatte einen Schlaganfall, das ist etwas anderes als ein Knochenbruch. Bei mir sah ich nie den Punkt, an dem ich dachte, ich müsste aufhören – im Gegenteil: das motiviert mich jetzt erst recht. Mir wäre langweilig, wenn ich daheim sitzen würde.

 

Frage: Verzeiht Politik keine Schwächen?

 

BRÜDERLE: Politik hat ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und die können Sie nicht aushebeln. Wenn man sich darauf einlässt, darf man sich nicht beklagen. Ich bin mit Freude Politiker.

 

Frage: Was sagt Ihre Frau dazu?

 

BRÜDERLE: Meine Frau ist meine aktivste Mitkämpferin. Wir sind für Klartext, immerhin sind wir seit 36 Jahren verheiratet. Entscheidungen werden respektiert und auch wechselseitig getragen.

 

Frage: Sie sind Anfang des Jahres wegen einer Bemerkung gegenüber einer Journalistin ins öffentliche Schussfeld geraten. Wie haben Sie das inzwischen verdaut?

 

BRÜDERLE: Ich äußere mich zur Sache selbst nicht, dabei bleibe ich auch.

 

Frage: Sie passen Ihr Verhalten also an?

 

BRÜDERLE: Ich bin mit mir im Reinen.

 

Frage: Hat Sie die Heftigkeit der Debatte überrascht?

 

BRÜDERLE: Diese Debatte werde ich auch weiterhin nicht kommentieren. Grundsätzlich verändert das Internet die Art von Berichterstattung und schafft neue Möglichkeiten für Kampagnen. Schnelle und transparente Informationswege sind etwas Positives. Gerade im Wahlkampf sind die neuen Medien sehr wichtig. Ich hoffe, dass der Journalismus in Deutschland fair und fundiert bleibt. Aber reines Negativ-Campaigning, das die Amerikaner schon länger kennen, sollte bei uns nicht einreißen. Nehmen Sie zum Beispiel die Berichterstattung über Peer Steinbrück. Er hat sicher viele Fehler im Wahlkampf gemacht und ist der falsche Kandidat für die SPD, weil er linke Politik vertreten muss. Aber auch er hat eine menschlich faire Berichterstattung verdient.

 

Frage: Hat sich die Neigung zu Kampagnen erst in den vergangenen Jahren entwickelt?

 

BRÜDERLE: Zu einem gewissen Ausmaß war das wahrscheinlich schon immer so, aber es spitzt sich zu. Das hat auch mit dem Internet zu tun. Es gibt faszinierende Kommunikationsmöglichkeiten, die manche Menschen aber auch ohne längeres Nachdenken nutzen. Als Liberaler wäre ich natürlich der Letzte, der fordern würde, das Internet zu kontrollieren. Aber wir brauchen eine Verantwortungskultur auch im Internet. Alles andere ist Anarchie. Freiheit bedeutet auch Eigenverantwortung. Daher bin ich auch gespalten, was die Beurteilung von Edward Snowden angeht. Für viele ist er ein Held. Aber er war eben mit geheimdienstlichen Aufgaben betraut – er wusste, was er tat. Er ging nicht in die Schweiz, um dort nach Asyl zu fragen. Er ging nach China und dann nach Russland. Beide Länder sind nicht eben Vorbild eines Rechtsstaates. Und ich bin davon überzeugt, dass auch der russische und der chinesische Geheimdienst weltweit aktiv sind.

 

Frage: Was ist für Sie die Konsequenz aus dieser Erkenntnis?

 

BRÜDERLE: Wir brauchen in Europa eine eigene Informationstechnologie, die uns unabhängig von den großen Firmen aus dem Ausland macht. Insbesondere Deutschland muss wieder die Fähigkeit haben, selbst technische Lösungen zu finden.

 

Frage: Waren Sie gar nicht überrascht vom Ausmaß der Spionage durch die USA?

 

BRÜDERLE: Dass Geheimdienste in Deutschland aktiv sind, das weiß man natürlich, auch ohne vorher „James Bond" zu lesen. Aber die umfassende Überwachung und Erfassung von persönlichen Daten der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land kann ein liberaler Freiheitskämpfer nicht akzeptieren.

 

Frage: Was könnte die Antwort bei diesem Thema sein?

 

BRÜDERLE: Wir brauchen ein europäisches Projekt für verschärften Datenschutz. Ich stelle mir eine Art „Schengen-Raum" für Datenschutz vor und halte auch eine „Euro-Cloud" für möglich. Da werden vielleicht nicht gleich alle 28 EU-Mitglieder mitmachen, aber das Vorhaben muss europäisch sein. Bei einem Zurück zur Kleinstaaterei ginge die Effektivität verloren. Europa ermöglicht es uns, die Fähigkeiten der anderen zu nutzen, so wie wir mit Galileo ein europäisches Navigationssatellitensystem entwickelt haben. 

Frage: Das System dürfte nicht vor dem Jahr 2020 betriebsbereit sein. Warum dauert das so lange?

 

BRÜDERLE: Ich habe großen Respekt vor Geisteswissenschaftlern, aber wir brauchen auch viel mehr hochqualifizierte Ingenieure, sonst kann es sein, dass wir technologisch ins Hintertreffen geraten. Indien und China bilden in einem Jahr mehr neue Ingenieure aus, als wir insgesamt haben. Oder schauen Sie nach Polen: Das ist momentan das Wirtschaftswunderland von Europa. Mit diesen Ländern können wir nur mithalten, wenn wir uns anstrengen.

 

Frage: Wenn man Ihnen zuhört, könnte man fast meinen, Sie wollen im Herbst wieder Wirtschaftsminister werden.

 

BRÜDERLE: Ich bin Volkswirt und mache seit vielen Jahren Wirtschafts- und Mittelstandspolitik. Daraus lassen sich aber keine Ambitionen für bestimmte Aufgaben ableiten. Ich war sehr gern Wirtschaftsminister und bin jetzt mit Freude Fraktionsvorsitzender. 

Frage: Also tatsächlich zurück ins Wirtschaftsministerium?

 

BRÜDERLE: Ich führe keine Postendebatte. Wir wollen zunächst die Wahl gewinnen, dann anständig verhandeln und erst dann überlegen wir, wer an welcher Stelle die beste Politik machen kann.

 

Frage: Die FDP steckt in einer bescheidenen Situation …

 

BRÜDERLE: …das sehe ich anders. Die FDP ist geschlossen, regiert erfolgreich und hat bei den vergangenen Wahlen stark abgeschnitten.

 

Frage: Wenn man sich die Umfragen anschaut, sieht es für den 22. September zumindest recht eng aus für Ihre Partei.

 

BRÜDERLE: Auch in den Umfragen geht es nach oben. Entscheidend ist aber nur eine Umfrage: die an der Wahlurne. Und da haben wir bei den vergangenen Landtagswahlen immer besser abgeschnitten als in den Umfragen davor.

 

Frage: Sie wissen heute schon, dass Sie das gute Ergebnis von 2009 nicht wiederholen können. Wie geht man in so einen Wahlkampf?

 

BRÜDERLE: 2009 war ein tolles Ergebnis. Wir wollen und werden auch diesmal gewinnen und Deutschland erfolgreich weiterregieren. Ich bin mir sicher, dass wir ein besseres Ergebnis holen, als es derzeit die Umfragen vorhersagen.

 

Frage: Wer soll denn nach dieser Legislaturperiode überhaupt noch FDP wählen?

 

BRÜDERLE: Alle, für die Freiheit unabdingbar ist, ob als Steuerzahler, Verbraucher oder Studierender. Es waren vier gute Jahre für Deutschland. Sowie alle, die mündig bleiben wollen und sich nicht ständig Vorschriften machen lassen, was zum Beispiel auf dem Mittagstisch steht. Und die FDP ist die einzige Partei, mit der es keine Steuererhöhungen geben wird.

 

Frage: Die Grünen liegen trotz der geplanten Steuererhöhungen in den Umfragen vor der FDP.

 

BRÜDERLE: Uns Liberale interessiert nur ein Ergebnis – und das ist das am Wahltag. Es gibt die Tendenz, dass die Grünen in den Umfragen immer besser abschneiden als bei der Wahl selbst und bei der FDP ist es genau umgekehrt. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass bei liberalen Wählern die Bereitschaft, politische Einschätzungen öffentlich zu machen, geringer ist als bei den Grünen. Im Übrigen ist diese Verbotskultur und Zeigefingermentalität der Grünen der beste Kontrast zu einer freiheitlichen Partei wie der FDP. Das werden wir deutlich machen.

 

Frage: Hat die FDP für die nächste Legislaturperiode ein Thema, das sie in den Koalitionsverhandlungen auf jeden Fall durchsetzen will – so wie die CSU die Pkw-Maut?

 

BRÜDERLE: Wir haben drei Themen, die ich unsere Brot- und Butterthemen nenne: das sind die Soziale Marktwirtschaft, Bürgerrechte und Bildung. Gerade das Thema Bürgerrechte ist ja hochaktuell. Was dabei gerne vergessen wird: Die grün-rote Landesregierung von Baden-Württemberg hat vor kurzem noch einen Antrag in den Bundesrat eingebracht, der die anlasslose Datenspeicherung für sechs Monate erlaubt hätte. Die FDP war immer dagegen. Anlasslose Datenspeicherung heißt, dass wir alle unter Generalverdacht gestellt werden. Die härtesten Eingriffe in Bürgerrechte gab es mit dem Otto-Katalog: Otto Schily, Innenminister der rot-grünen Koalition. Ein weiteres Mega-Thema ist Bildung, weil die über unsere Zukunftsfähigkeit entscheidet. Rot und Grün wollen die Einheitsschule. Wir haben aber kein Einheitskind, deshalb darf es auch keine Einheitsschule geben. Ich bin Anhänger des Leistungsprinzips. Wenn Schüler wissen, dass sie nicht mehr sitzenbleiben können, können wir künftig zur Verwaltungsvereinfachung mit der Geburtsurkunde auch gleich das Abiturzeugnis ausgeben.

 

Frage: Sie haben von vier guten Jahren für Deutschland gesprochen – waren es auch vier gute Jahre für die FDP? Immerhin werden die meisten Erfolge der Kanzlerin zugeschrieben.

 

BRÜDERLE: In Deutschland wird die Bundeskanzlerin vom Parlament gewählt – und ohne die Stimmen der FDP wäre Angela Merkel keine Kanzlerin. Ihre Stärke lebt auch von der Stärke der Koalitionspartner und der erfolgreichen Zusammenarbeit. Die FDP hat die Union besser gemacht. Ich habe diesen Effekt selbst in Rheinland-Pfalz erlebt, als ich 15 Jahre mit der SPD regiert habe. Wenn die SPD gemeinsam mit der FDP in die Mitte rückt, ist das etwas anderes, als wenn sie heute von Herrn Gysi noch weiter nach links geführt wird. Gysi bietet sich ja praktisch stündlich als Kanzlermacher an und versichert, er sei bereit, das Vaterland zu retten. Sigmar Gabriel als Kanzler, Gregor Gysi als Außenminister, Jürgen Trittin als Finanzminister? Da kann man nur sagen „Gute Nacht, Deutschland". Aber Gysi hat natürlich recht: Einen SPD-Kanzler gibt es allenfalls mit ihm.

 

Frage: Oder mit der FDP. Mit Kurt Beck haben Sie in Rheinland-Pfalz schließlich auch regiert.

 

BRÜDERLE: Das war etwas anderes! Bei Landesthemen konnten wir einen gemeinsamen Konsens finden. Die Bundes-SPD ist heute nicht regierungsfähig. Wir können nicht mit einer Partei koalieren, die millionenschwere Steuererhöhungen will. Wir sind nicht die Ausputzer von Rot-Grün. Das schließe ich ganz klar aus. Da gibt es kein vielleicht.

 

Frage: Auch mit Angela Merkel gibt es Differenzen, vor kurzem erst über den Soli.

 

BRÜDERLE: Alle haben es versprochen – Kohl, Waigel, Genscher: Mit Ende des Solidarpakts ist auch Schluss mit dem Soli. Er ist zeitlich befristet. Wie soll denn noch ein Bürger dieses Landes einer Regierung trauen, wenn solch elementaren Zusagen nicht eingehalten werden?

 

Frage: Eine letzte Frage: Was machen Sie, wenn FDP und CDU/CSU bei der Bundestagswahl keine Mehrheit haben? Ihr Kollege Kubicki hat schon angekündigt, sich zu betrinken.

 

BRÜDERLE: Da dieser Fall nicht eintreten wird, denke ich auch nicht darüber nach. Wir werden gut abschneiden, dafür kämpfe ich jede Minute.

 

658-Brüderle-Interview Südkurier

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