BRÜDERLE-Interview für das "Wall Street Journal Online"
BERLIN. Der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Rainer BRÜDERLE gab "Wall Street Journal Online" das folgende Interview. Die Fragen stellten William Boston und Beate Preuschoff:
Frage: Wie steht die FDP-Fraktion zum zweiten Griechenland-Paket vor der Abstimmung im Bundestag am Montag? Zeichnet sich Zustimmung oder Zerstrittenheit ab?
BRÜDERLE: Die FDP-Fraktion hat in der Vergangenheit mit hoher Geschlossenheit abgestimmt. Wir werden das auch in diesem Fall tun.
Frage: Wie viele Nein-Stimmen erwarten Sie aus Ihrer Fraktion?
BRÜDERLE: Wie gesagt: Wir werden mit großer Geschlossenheit abstimmen. Im Moment sind aber noch einzelne Detailfragen des Beschlusses zu klären. Bis jetzt hat nur der internationale Bankenverband an den Verhandlungen teilgenommen. Nun müssen auch die einzelnen Gläubiger noch ihre Zustimmung geben. Dem muss der Beschluss des Bundestages Rechnung tragen.
Frage: Diese Dinge sind bis Montag nicht zu klären. Gibt es damit nicht zu viele unbekannte Variablen, die einen Beschluss eigentlich unmöglich machen?
BRÜDERLE: Es muss am Montag eine Entscheidung getroffen werden, da der Tausch der Anleihen bis Mitte März vollzogen sein muss, weil dann mehrere Milliarden Euro fällig werden. Wenn die nicht umfinanziert werden können, wäre das der Default. Wir werden unseren Beschluss deswegen konditionieren; anders geht es nicht. Mir ist zum Beispiel wichtig, dass der IWF sich weiterhin beteiligt. Außerdem muss Griechenland seine Zusagen erfüllen.
Frage: Wenn jetzt beispielsweise eine der Konditionen, die sie in den Entschließungsantrag für die Beschlussfassung im Bundestag hineinschreiben, nicht erfüllt würde, was passiert dann?
BRÜDERLE: Geld aus dem 2. Griechenland-Programm gibt es erst, wenn die Bedingungen erfüllt sind. Das griechische Parlament muss die angekündigten vordringlichen Maßnahmen noch beschließen. Das wird erst nach der Entscheidung im Bundestag passieren. Deshalb fassen wir unsere Beschlüsse konditioniert unter der Annahme, dass alle Zusagen von Griechenland auch tatsächlich umgesetzt werden.
Frage: Was sagen Sie denn Kritikern, die meinen, dass eine Entscheidung über eine Ausweitung des ESM soweit hinausgeschoben wird, bis am Montag der Bundestag dem Griechenlandpaket zugestimmt hat?
BRÜDERLE: Beim Europäischen Rat in Brüssel wurde klar vereinbart, dass erst im März endgültig über den ESM entschieden wird. Diese Entscheidung aus Brüssel warten wir ab. Eines ist aber klar: Am Ende muss der Deutsche Bundestag zustimmen. Dass die Wünsche bei manchen groß sind, ist klar. Aber auch wir müssen unseren Haushalt im Blick behalten und unsere Schuldenbremse einhalten. Irgendwann haben wir aber auch das Ende der Fahnenstange erreicht, weil zusätzliche Liquidität die Probleme nicht löst.
Frage: Können Sie für die FDP kategorisch ausschließen, dass zusätzliche Mittel gebraucht werden?
BRÜDERLE: Fest steht: Jetzt ist Griechenland am Zug, endlich die dringend benötigten Reformen durchzuführen, sonst werden sie die notwendigen Wachstumseffekte nicht erzielen. Es genügt nicht, nur den Haushalt zu balancieren, sondern sie müssen eine effiziente Verwaltung aufbauen und verlässliche Rahmenbedingungen für Investoren schaffen. Das löst positive Wachstumseffekte aus. Es wird längere Zeit dauern, das ist ein Prozess von vielleicht 10 bis 15 Jahren, bis das Land seine Wirtschaft modernisiert hat.
Frage: Wie können Sie sicher sein, dass es jetzt - wie Sie sagen - das Ende der Fahnenstange ist, dass das Geld ausreicht?
BRÜDERLE: Wir sind ohne Frage solidarisch, aber das ist keine Einbahnstraße. Deshalb müssen wir auch deutlich machen, dass die Bereitschaft, Steuerzahlergeld auf den Tisch zu legen, irgendwo begrenzt ist. Man muss auch Maßhalten, nicht nur im Haushalt. Ich fand zum Beispiel das Beschimpfen von Herrn Schäuble, der ein sehr engagierter Europäer ist, durch den griechischen Staatspräsidenten sehr deplatziert. Gleiches gilt für Karikaturen in griechischen Zeitungen, wo Bundeskanzlerin Merkel als Nazi dargestellt wird. Das ist inakzeptabel.
Frage: Trotzdem wird in Mexiko-City Druck auf Deutschland ausgeübt werden, entweder die Mittel für den ESM zu erhöhen oder EFSF und ESM zusammen zu führen. Was spricht eigentlich dagegen?
BRÜDERLE: Entscheidend ist, dass wir nicht immer nur über zusätzliches Geld reden, sondern die Schuldenländer selbst ihre Hausaufgaben machen. Die Lösung ist, die Strukturen in Ordnung zu bringen und Reformen durchzuführen.
Frage: Sehen Sie die Unabhängigkeit der EZB durch die Regelung für das Griechenlandpaket angetastet?
BRÜDERLE: Die Unabhängigkeit der EZB ist gerade für uns Deutsche sehr wichtig. Deswegen bauen wir jetzt mit dem ESM ein eigenes Instrumentarium auf. Wir sind dabei, beim ESM ein neues Konzept mit verschärften Mechanismen einzuführen, die automatisch greifen und noch wirksamer sind. In der Zwischenzeit ist es ein notwendiges Übel, dass die EZB darauf achtet, dass es nicht zum Kollaps im Bankensystem kommt.
Frage: Wieweit kann die EZB noch gehen, wo liegen die Grenzen?
BRÜDERLE: Die EZB ist unabhängig. Sie entscheidet selbst, wo sie tätig werden kann und wo die Grenzen sind. Wichtig ist am Ende, dass sie keine Verluste erleidet. Wir entlasten sie schrittweise durch das neue Instrumentarium. Ich könnte mir auch vorstellen, dass sich mittelfristig aus dem ESM ein europäischer Währungsfonds ergibt mit eigenen Kompetenzen.
Frage: Wie stehen Sie heute zu dem Vorwurf, dass Deutschland die Lösung der Krise durch seine Haltung hinausgezögert hat und dass man alles hätte billiger haben können, wenn man am Anfang engagierter gewesen wäre und sich nicht gegen die Hilfe für Griechenland gestellt hätte?
BRÜDERLE: Diese Auffassung halte ich für völlig falsch. Wir müssen die Krise nutzen, um Europa neu aufzustellen. Schauen Sie einmal, was sich alles tut in Europa: Italien hat jetzt eine technokratische Regierung, die erhebliche Reformen durchsetzt. Es werden in fast allen europäischen Ländern Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild eingeführt. Das hätten wir alles nicht bekommen, wenn wir nicht standgehalten und diese Prinzipien eingebracht hätten. Wir wären in den Reformprozessen nicht so weit wie jetzt. Wenn wir nur den Geldsack aufgemacht und gesagt hätten, hier sind die Goldstücke, bedient euch, dann hätte sich überhaupt nichts geändert.
Frage: Bei der Benennung des Präsidentschaftskandidaten Gauck hat die FDP sich ja gegen den Willen der Kanzlerin durchgesetzt. Wie böse ist denn Frau Merkel auf Sie und Herrn Rösler?
BRÜDERLE: Die Koalition arbeitet gut zusammen, zum Beispiel bei der Lösung der Eurokrise. Ich halte mich an die Regel, die auch in jeder Familie gilt: Da diskutiert man auch einmal, hier und da vielleicht etwas dezidierter, aber die kleine Einheit entwickelt sich fort.
Frage: Wie schätzen Sie die Chancen der FDP für die anstehenden Landtagswahlen ein?
BRÜDERLE: Im Saarland wird es sicher nach den Ereignissen dort nicht einfach werden. Ich war lange genug Landespolitiker, um zu wissen, dass für die Menschen die Ereignisse vor Ort eine große Rolle spielen bei ihrer Wahlentscheidung. Wir haben mit Oliver Luksic und Nathalie Zimmer hervorragende Kandidaten. Auch in Schleswig-Holstein ist die FDP mit Wolfgang Kubicki an der Spitze durch eine sehr bekannte und starke Persönlichkeit vertreten. Da sehe ich sehr gute Chancen, dass die FDP unter seiner Führung wieder in den Landtag einziehen kann.
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