28.06.2010FDP

Beschluss des FDP-Bundesvorstands: Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms für die FDP

FDP-Sprecher WULF OEHME teilt mit:

Berlin. Der Bundesvorstand der Freien Demokratischen Partei hat auf seiner Sitzung am 28. Juni 2010 beschlossen:

Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms für die FDP

Mit ihren Wiesbadener Grundsätzen hat die FDP die Vision einer liberalen Bürgergesellschaft vorgelegt. Sie waren inspiriert von den Freiheitsbewegungen unserer östlichen Nachbarn und der friedlichen Revolution des Jahres 1989. Sie warnten vor einer Gefälligkeitspolitik und forderten stattdessen einen Staat, der Raum für die Freiheit und Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger lässt. Wir haben das Prinzip der fiskalischen und ökologischen Nachhaltigkeit unterstrichen. Die Wiesbadener Grundsätze haben die Fragen ihrer Gegenwart beantwortet - auf der Basis von Werten und Prinzipien, die bis heute nichts an Aktualität verloren haben.

Seit ihrem Beschluss im Jahr 1997 hat sich die Welt verändert: Der weltweite Wettbewerb hat sich beschleunigt. Märkte können in Krisen geraten, die ganze Staaten und Währungen destabilisieren. Die Europäische Integration ist fortgeschritten und zugleich durch neue Spannungen bestimmt. Staaten scheiterten und wurden Brutstätten des Terrorismus. Unsere natürlichen Lebensgrundlagen sind nach wie vor bedroht. Der demographische Wandel durch Alterung und Migration verändert das Gesicht unserer Gesellschaft. Individuelle Lebenschancen sind mehr denn je von Qualifikation bestimmt. Der Alltag wird durchdrungen von elektronischen Medien. All dies beeinflusst das Leben in Freiheit. Damit stellen sich für die FDP neue Gestaltungsaufgaben.

Der 60. Bundesparteitag im Mai 2009 hat deshalb beschlossen, dass sich die FDP bis zum Bundesparteitag 2012 ein neues Grundsatzprogramm geben soll, um gesellschaftliche Veränderungen zu reflektieren und den politischen Liberalismus in die neue Zeit zu setzen. Mit dem heutigen Tag beginnt die Arbeit daran.

I. Die Orientierungsthesen: Freiheit als Lebensgefühl - Aufstiegsgesellschaft als Ziel

Freiheit ist ein Lebensgefühl. Sie beschreibt Wunsch und Recht, etwas aus dem eigenen Leben zu machen. Freiheit ist das Eigentum an sich selbst, am eigenen Körper, seiner Lebenszeit und den Ergebnissen individueller Schaffenskraft. Liberale Politik beschränkt sich nicht auf die bloß formale Garantie der Freiheit: Dem Jugendlichen etwa, den die Schule ohne Abschluss und Perspektive ins Leben entlässt, ist mit der Maximierung wertloser oder theoretischer Optionen nicht geholfen. Frei ist erst derjenige, der zwischen wertvollen Optionen für den eigenen Lebensweg wählen kann. Bildung ist heute die Voraussetzung für ein Leben in Freiheit. Wir wollen jedem neue Lebenschancen in der tagtäglichen Wirklichkeit eröffnen - durch die Teilhabe an Bildung, Kultur und Arbeit.

Der Liberalismus ist die Philosophie der Freiheit. Er ist eine Ordnungsidee: Er bindet Freiheit an Verantwortung für die Ergebnisse und an Regeln des Zusammenlebens. Liberale Ordnungen wie Rechtsstaat, Soziale Marktwirtschaft und Demokratie stehen für uns im Dienst der Freiheit. Sie schützen den Einzelnen vor fremdem Machtdiktat - auch vor dem des Staats selbst. Die FDP ist die Partei der Ordnungspolitik, die Freiheit, Vielfalt und Wettbewerb verteidigt. Unsere Aufgabe ist nie abgeschlossen, denn auch der wirtschaftliche, technologische und gesellschaftliche Wandel endet nicht. Die verbundene Krise von Märkten und Staaten der Gegenwart hat viele Menschen mit Wut und Verunsicherung zurückgelassen. Der Status quo wird angstvoll bewacht. Wenn bei Bürgern das Gefühl wächst, ohnmächtig unkontrollierbaren Umständen ausgeliefert zu sein, dann muss die Marktordnung für die Zukunft erneuert und normativ neu begründet werden. Die FDP nimmt diese Herausforderung an.

Liberale wollen die faire Gesellschaft der Zukunft gestalten, die jedem Einzelnen sozialen Aufstieg ermöglicht - die Aufstiegsgesellschaft setzt die Bürgergesellschaft voraus. Sie eröffnet Chancen und sichert Wohlstand durch Wachstum. Sie mobilisiert das Wissen ihrer Mitglieder für technologische und soziale Innovationen. Sie kultiviert Vielfalt und Individualität. Aus ihrer Mitte heraus übernehmen Menschen jenseits des Staats Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt. Sie nutzt den demografischen Wandel für ein neues Miteinander der Generationen und Kulturen. Sie macht den schonenden Umgang mit natürlichen Lebensgrundlagen zu unserem Wettbewerbsvorteil. Sie denkt europäisch und trägt Verantwortung in der Weltgemeinschaft.

Freiheit bedingt Fairness. Fair ist, wenn für alle gleiche Regeln gelten und jeder Zugang zu den öffentlichen Gütern und den Märkten erhält. Fair ist, wenn die Einzelnen für das Miteinander in Wirtschaft und Gesellschaft gestärkt werden. Fair ist, wenn Starke solidarisch mehr Verantwortung für Staat und Gesellschaft übernehmen. Gleiche Regeln und individuelle Freiheit begründen die legitime Ungleichheit der Lebensstile und Marktergebnisse. Freiheit kommt vor Gleichheit. Die Aufstiegsgesellschaft antwortet auf Ungleichheit nicht zuerst mit Umverteilung - sondern mit wechselseitigem Respekt.

Über sechzig Jahre ist der öffentliche Sektor in Deutschland gewachsen - die Zahl der Rechtsquellen, Standards, Verfahren, Programme und Sozialleistungen sowie die zu ihrer Verwaltung benötigten Behörden und Institutionen haben in unüberschaubarem Maße zugenommen. Die Komplexität des Staates und der mit ihm verbundenen Sozialsysteme ist nicht mehr überschaubar. Effektivität sowie Wechsel- und Verteilungswirkungen der eingesetzten Mittel lassen sich kaum mehr bestimmen. Die Wachstumskräfte der Volkswirtschaft konnten den steigenden Anforderungen an den Staat nicht genügen - also wuchsen die schuldenfinanzierten Etats der öffentlichen Hand. Die Allgegenwärtigkeit des Staates und das Durchdringen der privaten Lebenssphäre durch den Staat sind dabei eine größere Beeinträchtigung der Freiheit als die schiere Größe des öffentlichen Sektors. Denn aus dem freien Menschen wird der gelenkte Mensch. Einzelne Gruppen haben sich Privilegien erarbeitet, die nun angstvoll bewacht werden. Liberale wollen die Freiheitsbilanz der Gesellschaft optimieren. Dazu ist die Frage nach dem richtigen Maß und der richtigen Organisation von Staat fortwährend neu zu beantworten: Der Staat kann Freiheit gefährden, wenn er unverhältnismäßig Gewalt ausübt oder Anpassungsdruck an die Systeme seiner sozialen Sicherheit erzeugt. Der Staat kann andererseits Garant für individuelle Freiheit sein, wenn er als Ordnungsgeber das Recht des Stärkeren durch die Stärke des Rechts bricht oder Aufstiegschancen eröffnet. Und auch dort, wo der Staat gefordert ist, kann er seine innere Organisation an liberalen Prinzipien ausrichten. Liberale arbeiten für den transparenten, fokussierten und handlungsfähigen Staat - wir wollen eine neue Balance von Staat und Privat: Was die Menschen selbst leisten können, darf ihnen der Staat nicht länger abnehmen.

Unter Einbeziehung dieser Orientierungsthesen leistet das neue Grundsatzprogramm eine zeitgeschichtliche Diagnose. Wir fragen:

  • Wo ist Freiheit heute bedroht, wo hat sie Chancen?
  • Welche Werte und Prinzipien der Freiheit sind für uns heute besonders wichtig?
  • Wie beschreiben wir die Vision einer liberalen Gesellschaft?
  • Welche strategischen und programmatischen Prioritäten setzt liberale Politik zu ihrer Realisierung?

II. Die Mitglieder der Programmkommission

Der Bundesvorstand setzt eine Programmkommission unter der Führung des Generalsekretärs ein. Die Kommission verständigt sich über Inhalte, Schwerpunkte und Struktur des Grundsatzprogramms und legt Partei und Öffentlichkeit einen Vorschlag für ein Grundsatzprogramm vor.

Mitglieder der Programmkommission sind:

  • Christian Ahrendt
  • Lasse Becker
  • Nicola Beer
  • Dr. Barbara Bludau
  • Sebastian Blumenthal
  • Ludwig Georg Braun
  • Andreas Büttner
  • Dr. Jorgo Chatzimarkakis
  • Patrick Döring
  • Dr. Wolfgang Gerhardt
  • Miriam Gruß
  • Walter Hirche
  • Dr. Burkhard Hirsch
  • Elke Hoff
  • Dr. Lydia Hüskens
  • Michael Kauch
  • Pascal Kober
  • Christian Lindner
  • Michael Link
  • Prof. Dr. Wolfgang Kersting
  • Horst Meierhofer
  • Dr. Gerhard Papke
  • Alexander Pokorny
  • Dr. Christiane Ratjen-Damerau
  • Joachim Stamp
  • Michael Theurer
  • Florian Toncar
  • Johannes Vogel
  • Prof. Dr. Carl Christian von Weizsäcker
  • Dr. Volker Wissing
  • Holger Zastrow
  • Martin Zeil

Der Bundesvorstand bittet darüber hinaus die Mitglieder des Präsidiums um Mitwirkung an den Beratungen.

III. Der Beratungsprozess

Die Erarbeitung eines neuen Grundsatzprogramms ist eine Gelegenheit zur Selbstvergewisserung und Orientierung aller freien Demokraten mit oder ohne Parteibuch. Wir wollen die Chance nutzen, einen neuen Dialog mit Liberalen auch außerhalb der FDP zu führen und unsere Positionen an den Argumenten von Skeptikern und Gegnern zu stärken.

Unser Beratungsprozess beteiligt Experten, Bürger und die Mitglieder und Sympathisanten der liberalen Familie. Jedes Mitglied, jede Gliederung, jeder Bundes- und Landesfachausschuss, die FDP-Fraktionen in Bund, Ländern, Kommunen und Europa, die Landesverbände und die Vorfeldorganisationen sollen die Gelegenheit zur gezielten Mitarbeit haben. Einzelne Bürgerinnen und Bürger und die breite Öffentlichkeit sollen ebenso eingebunden werden wie Wissenschaftler, Intellektuelle, Meinungsmacher und Multiplikatoren aus allen gesellschaftlichen Bereichen.

Die öffentliche Debatte zum neuen Grundsatzprogramm wird mit einem Auftaktkongress Anfang Oktober 2010 beginnen. Mit zentralen Leitfragen, Referaten und Diskussionen wird die Programmdebatte eröffnet.

In Regionalkonferenzen soll es im Laufe des Jahres 2011 zu einem unmittelbaren Austausch der Programmkommission mit den Parteimitgliedern und interessierten Bürgern vor Ort kommen. Ein außerordentlicher Programmparteitag wird im Herbst 2011 Zwischenergebnisse in Form von Thesen der Programmkommission diskutieren und bewerten. Von den Orts- und Kreisverbänden eigenständig durchgeführte Deutschland-Salons laden zur Reflektion mittel- und langfristiger Perspektiven liberaler Politik ein. In ihnen können Mandatsträger, Orts- und Kreisverbände Bürgerhefte erarbeiten, um die Sorgen und Ideen der Bürger für die Programmkommission zu dokumentieren.

Die Gliederungen der Partei und die Mitglieder der liberalen Familie werden zudem gezielt um schriftliche Stellungnahmen gebeten.

Neben dem Eröffnungskongress und den thematischen Kongressen der Foren findet in Berlin eine Veranstaltungsreihe "Zukunft der Freiheit", teilweise in Kooperation mit Partnern, statt.

In Programmforen sollen Wissenschaftler, Intellektuelle und Meinungsmacher gemeinsam mit liberalen Mandatsträgern zentrale Fragen des liberalen Grundsatzprogramms nach dem Vorbild parlamentarischer Enquetekommissionen diskutieren. Sie vertiefen die Diskussion in konzentrierten Klausursitzungen und durch jeweils einen öffentlichen Kongress. Zur Orientierung der Programmkommission erarbeiten sie Thesenpapiere, in denen sie Problemen, Perspektiven und Positionen der Freiheit beschreiben. Als Auftakt wird die Programmkommission vier Programmforen einsetzen:

  1. Das Programmforum Ordnung der Märkte behandelt Fragen zwischen Markt, Macht, Staat, Umwelt, Unternehmen und Verbrauchern. Ein aktueller Schwerpunkt ist die Disziplinierung der Finanzmärkte.
  2. Das Programmforum Bildungsgesellschaft behandelt Aufstiegs- und Chancengerechtigkeit durch Bildung, lebenslanges Lernen und Exzellenz in der Spitze. Ein aktueller Schwerpunkt ist die frühkindliche Förderung.
  3. Das Programmforum Demographie und Integration bearbeitet die Zusammenhänge zwischen demographischer Entwicklung, Einwanderung und gesellschaftlichem Zusammenhalt.
  4. Das Programmforum Digitale Gesellschaft thematisiert die Chancen und Risiken der zunehmenden Digitalisierung von Information, Wirtschaft und politischer Öffentlichkeit zwischen den Polen Mensch - Maschine - Medien. Aktuelle Schwerpunkt sind Netzneutralität, Datenschutz und der Schutz geistigen Eigentums.

Weitere Foren sollen sich u.a. mit den Themen "Zukunft des Sozialstaats" und "Nachhaltigkeit als Prinzip einer neuen Weltordnung" befassen.

Die FDP knüpft an ihre Erfolge der Online-Beteiligung an. In einem virtuellen Deutschland-Salon bieten wir Gelegenheit zur strukturierten Diskussion und Erarbeitung von Empfehlungen zu Leitfragen der Programmdebatte

IV. Das Ziel

Wir wollen der FDP in der Kontinuitätslinie der Wiesbadener Grundsätze eine neue Perspektive öffnen. Wir wollen neue Freunde und Unterstützer gewinnen. Wir wollen die Idee des Liberalismus in der Gegenwart neu interpretieren. Wir wollen die Kraft der Freiheit neu begründen.

Anhang: Zeitplan der Grundsatzprogramm-Debatte

  • 27./28. Juni 2010: Bundesvorstandsklausur - Beschluss über Vorgehen und Zusammensetzung der Programmkommission
  • Bis 31. August: Konstituierende Sitzung der Programm-Kommission
  • 31. August 2010: Veröffentlichung des "Arbeitsplans" der Kommission in der elde-Ausgabe mit Ankündigung des Grundsatzkongresses
  • September 2010: Beginn der Online-Diskussion
  • September 2010: Beginn der Veranstaltungsreihe "Zukunft der Freiheit" bis April 2012 und weiterer Gespräche
  • Oktober 2010: Auftakt-Kongress
  • Ab Oktober 2010: Foren nehmen ihre Arbeit auf (1. Runde)
  • November 2010 Programm-Kongresse der Foren bis April 2011
  • Ab Oktober 2010: Schriftliche Stellungnahmen 1. Runde bis Juni 2011
  • Ab Mitte Oktober 2010 Deutschland-Salons, Bürgerhefte, Essay-Wettbewerbe bis Juni 2011
  • Ab Februar bis Juni 2011: Regionalkonferenzen
  • 13.-15. Mai 2011: Bericht von der Grundsatzprogrammarbeit beim Bundesparteitag
  • Herbst 2011: Programmparteitag der FDP, Ausstellung Bürgerhefte, anschließend Fortsetzung Foren 2. Runde (bei Bedarf) und Stellungnahmen (2. Runde) bis März 2012
  • Bundesparteitag Frühjahr 2012: Verabschiedung des neuen Grundsatzprogramms

Ablauf der Grundsatzprogramm-Debatte

Ablauf

Strukturen der Grundsatzprogramm-Debatte

Strukturen

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