13.10.2014FDPFDP

BEER-Interview: Große Koalition packt Zukunftsthemen nicht an

Berlin. Die FDP-Generalsekretärin NICOLA BEER gab dem „Weser Kurier“ das folgende Interview. Die Fragen stellte NORBERT HOLST:

Frage: Frau Beer, was ist Ihnen am Abend der Bundestagswahl durch den Kopf gegangen: Das ist das Ende der Partei. Oder: Ups, jetzt werde ich Generalsekretärin. Oder: Das ist nur ein Ausrutscher?

BEER: Ich hatte keinen dieser Gedanken. Vielmehr habe ich gedacht, dass jetzt sehr, sehr viel Arbeit vor uns liegt, um das verlorene Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Wir haben unmittelbar damit begonnen, den Grauschleier von der FDP wegzuziehen und uns auf den Kern unseres liberalen Gedankenguts zu fokussieren – Freiheit und Verantwortung. Damit setzen wir dem politischen Mainstream im Bundestag eine Politik entgegen, die zuerst auf den Menschen und seine Potenziale vertraut.

Frage: Zumindest wissen wir heute, dass das Desaster bei der Bundestagswahl nicht nur ein Ausrutscher war. Danach ging die FDP solide und pfiffig in die Europawahl, beim Landtagswahlkampf in Sachsen setzte sie auf Unabhängigkeit und Bodenständigkeit, in Brandenburg hat sie mit humorvollen Plakataktionen für Aufsehen gesorgt. Doch kein Rezept hat geholfen. Haben Sie eine Erklärung?

BEER: Ja, die alte FDP ist noch in den Köpfen. Vertrauen ist sehr schnell verspielt, aber nur sehr langsam wieder aufgebaut.

Frage: Dennoch sagen Sie, eine liberale Partei sei heute nötiger denn je ...

BEER: ... selbstverständlich. Sie können in alle Richtungen des Parteienspektrums schauen: Die Menschen werden in eine Art Wohlstandslethargie geführt, schleichend immer mehr bevormundet und dazu noch über Gebühr belastet.

Frage: Was meinen Sie denn mit Wohlstandslethargie?

BEER: Die Politik in unserem Land verwaltet mehr als sie gestaltet. Vor allem werden die Zukunftsthemen nicht angepackt. Wir haben sehr hohe Steuereinnahmen, und dennoch diskutieren Union und SPD bis hin zu Grünen und Linken nur darüber, wie man die Bürger und Bürgerinnen noch mehr belasten kann. Das Festhalten an der kalten Progression, der Griff in die Kassen der sozialen Sicherungssysteme bei Renten und Krankenversicherung oder auch die Verstetigung es Soli – es wird versucht, zusätzlich abzukassieren. Das Schlimme dabei ist: Die Einnahmen werden nicht genutzt, um die Zukunft zu organisieren. Sondern es geht der Großen Koalition darum, sich im Jetzt und Heute bequem einzurichten. Wir Liberale haben den Blick immer etwas weiter gerichtet: Es geht uns darum, heute die richtigen Entscheidungen zu treffen, damit wir auch in Zukunft in Wohlstand leben können.

Frage: An welche Bereiche denken Sie?

BEER: Es stellt sich zum Beispiel die Frage nach der Digitalen Agenda. Was für Auswirkungen hat die zunehmende Digitalisierung auf unsere Gesellschaft? Welche Folgen ergeben sich daraus für Arbeitswelt und Mobilität? Ganz wichtig angesichts der demografischen Entwicklung ist die Finanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme. Wie machen wir die Rente enkelfit? Doch die Große Koalition geht solche Fragen gar nicht oder allenfalls halbherzig an.

Frage: Gut. Die FDP würde es also besser machen. Wie erklären Sie sich dann aber die guten Umfragewerte für Schwarz-Rot?

BEER: Schwarz-Rot hat das Land in einem sehr guten Zustand übernommen und zunächst Wahlgeschenke verteilt. Ich mache mir trotzdem Sorgen. Denn das Problem ist: Wenn wichtige Zukunftsfragen verschlafen werden, ist die Gefahr groß, dass es den Menschen in fünf oder zehn Jahren nicht mehr so gut geht.

Frage: Fehlt es der FDP nicht an einem Top-Thema, sozusagen als Alleinstellungsmerkmal in der politischen Landschaft?

BEER: Nein. Die FDP ist die einzige Partei, die wirtschaftliche Vernunft mit der Vorstellung einer modernen, offenen Gesellschaft auf der Basis von Bildung verbindet. Dieser Dreiklang ist ein klares Alleinstellungsmerkmal unserer Partei.

Frage: Aber das Thema Bildung haben im Moment doch alle Parteien auf dem Zettel.

BEER: Es kommt doch darauf an, welche Schwerpunkte gesetzt werden. Für die FDP ist es wichtig, dass jeder einzelne Mensch befähigt wird, seine Chance überhaupt ergreifen zu können. Das geht nur durch eine qualitativ hochwertige Bildung. Während die anderen Parteien über Schulstrukturen diskutieren, fragen wir uns, was Qualität in der Bildung ausmacht: Was ist guter Unterricht? Wie bringen wir Schülerinnen und Schüler wirklich voran?

Frage: Aber selbst die klügste Bildungspolitik lässt sich nicht ohne politische Macht gestalten. Ihr Parteichef Christian Lindner hofft auf die „Eisbrecher-Wahl“, die der FDP endlich wieder einen Erfolg beschert. Viele Liberale setzen auf Hamburg, wo im Februar gewählt wird. Doch an der Spitze des Landesverbandes gab es heftigen Streit. Enttäuschte Liberale haben die Partei Neue Liberale gegründet. Verhagelt das nicht einen möglichen Erfolg?

BEER: Für uns ist die nächste Wahl immer die wichtigste. Und natürlich blicken wir jetzt auf Hamburg. Dort leistet die FDP in der Bürgerschaft eine tolle Arbeit mit Katja Suding an der Spitze. Wir werden sie im Wahlkampf mit aller Kraft unterstützen.

Frage: Sind denn die Neuen Liberalen keine Gefahr für die FDP?

BEER: Die Partei ist meines Erachtens eine sehr lokale, auf Hamburg beschränkte Entwicklung. Wir konzentrieren uns auf uns und unsere Themen.

Frage: Im Mai folgt dann bereits die Bürgerschaftswahl in Bremen. Können dort die Liberalen nach den mageren 2,4 Prozent von 2011 ein „Wunder von der Weser“ vollbringen?

BEER: Die FDP wird die Parteifreunde in Bremen ebenso mit voller Kraft unterstützen, die momentan sehr engagiert an ihrem Wahlprogramm und der personellen Aufstellung arbeiten. Auch in Bremen wollen wir die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, dass es besser für sie ist, wenn freie Demokraten im Parlament sitzen.

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