BEER-Gastbeitrag für „Handelsblatt Online“
Berlin. Die FDP-Generalsekretärin NICOLA BEER schrieb für „Handelsblatt Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Der Zweck heiligt die Mittel. So oder so ähnlich muss das Motto der NSA der letzten Jahre gelautet haben. Spätestens seit dem die Enthüllungen von Edward Snowden das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin erreichten, habe ich mir, wie viele andere in unserem Land erhofft, dass das Thema Datenschutz und Bürgerrechte einen stärkeren Stellenwert in der deutschen Politik einnehmen würde. Mit Frau Voßhoff als neue Bundesdatenschutzbeauftragte schwindet diese Hoffnung.
Von Beginn an teilte die Ausspähaffäre unsere Gesellschaft in die vermeintlich „digital Eingeweihten“ und die „analog Unbekümmerten“. Die Führungsetage der Union scheint bis zum heutigen Tag zur zweiten Kategorie zu gehören. Erst patzte die Bundeskanzlerin als sie das Internet als „Neuland“ bezeichnete, später erklärte ihr engster Vertrauter und Chef der deutschen Nachrichtendienste, Ronald Pofalla, den Skandal für beendet – freilich bevor dieser auf das Mobiltelefon seiner Chefin übergriff.
Die Koalitionsvereinbarung und die ersten personellen Entscheidungen wären deshalb eine große Chance gewesen, die schwierige Beziehung der großen Koalitionäre zu den Bürgerrechten zu verbessern. Diese Chance wurde vertan. Schon im Koalitionsvertrag haben sich die innenpolitischen Hartliner von SPD und Union durchgesetzt. Nachdem die ungeliebten liberalen Bürgerrechtmahner in der Koalition keinen Widerstand mehr leisten können, ist der Weg zur Einführung der Quellen-Telekommunikationsüberwachung und der Vorratsdatenspeicherung frei. Unbekümmert werden nun die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass staatliche Behörden in die Computer von Bürgern und Unternehmen eindringen und sie mit einer Ausspäh-Software infizieren können. Bei der Vorratsdatenspeicherung irritiert es die Großkoalitionäre noch nicht einmal mehr, dass der zuständige Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof die zugrundeliegende EU-Richtlinie für nicht vereinbar mit den Europäischen Grundrechten hält. Die Macht der Großen Koalition ist mit den Sicherheitskriegern. Wenn es um vermeintliche Sicherheitsinteressen geht, werden die Grenzen des Rechtsstaats ausgelotet und ausgereizt, bis Karlsruhe oder Luxemburg die Notbremse ziehen.
Daran wird die neue Datenschutzbeauftragte leider nichts ändern (wollen). Denn auch sie sprach sich noch im Wahlkampf mit gewohnter CDU-Rhetorik für die Einführung einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung aus und hat die faktische Abwicklung der Stiftung Datenschutz in den Koalitionsverhandlungen nicht verhindert. Damit keine Missverständnisse entstehen: Mir sind die Anschläge von Madrid und London noch gut im Gedächtnis. Auch ist mir bewusst, dass es eine Sauerland-Gruppe in Deutschland gegeben hat und dass Mohammed Atta in Hamburg lebte. Ich bestreite weder Bedrohungen noch die Möglichkeit, modernste Technologie zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität zu nutzen. Dies entbindet aber keinesfalls davon, dass den Eingriffen in die Bürgerrechte Grenzen gesetzt sind – auch im Interesse eines freiheitlichen Rechtsstaats. Ein anlassloses Scannen der gesamten Kommunikation der Bürger sollte keiner Regierung erlaubt sein. Dies gilt bei der Vorratsdatenspeicherung im Innern ebenso wie bei geheimdienstlichem Vorgehen. Für eine anlasslose Überwachung aller Bürger gibt es keine rechtsstaatliche, und damit auch keine sicherheits- oder verteidigungspolitische Rechtfertigung.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte wurde als unabhängiges Korrektiv gegenüber staatlichen Maßnahmen geschaffen – als Anwalt der Bürgerinnen und Bürger in Sachen privatem und öffentlichem Datenschutz. Diese Funktion muss mit einer kompetenten, unabhängigen und glaubwürdigen Person besetzt werden, wie sie Peter Schaar war und ist. Die Union hat diese Position nun zu einem Versorgungsposten degradiert. Die Große Koalition hat weder die Dimension der Ausspähaffäre verstanden, noch die Chance ergriffen, die Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen. Sicherheitspolitisch wird künftig durchregiert und die Akzentsetzung deutlich von Datenschutz in Richtung Überwachungsinfrastruktur verschoben.
Wie fatal sich eine verselbstständigte Überwachungsinfrastruktur entwickeln kann, haben uns die britischen und amerikanischen Geheimdienste gezeigt. Hast Du einen Hammer in der Hand, sehen alle Probleme wie Nägel aus. Hast Du eine Überwachungsstruktur zur Hand, sehen alle Bürger wie potentielle Gefährder aus. Die Liberalen werden deshalb auch weiterhin an der Seite derjenigen sein, die über ihre persönlichen Daten selbst entscheiden wollen und sich gegen den Ausbau einer gigantischen Überwachungsinfrastruktur aussprechen, wie etwa die Initiative von Juli Zeh und vieler anderer Autoren zur Verteidigung der Demokratie im Digitalen Zeitalter. Die Bürgerrechtsdebatten werden wir Liberale im Moment nicht im Deutschen Bundestag, dafür aber auf der Straße und im Gerichtssaal führen.