17.04.2015FDPDatenschutz

BEER-Gastbeitrag: Ein zentraler Ort für alle meine Daten

Berlin. Die FDP-Generalsekretärin NICOLA BEER schrieb für „Zeit Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Der digitale Fortschritt betrifft uns alle: Er verändert unser Privatleben ebenso wie die Arbeitswelt und die wirtschaftlichen Wertschöpfungsketten. In seiner Auswirkung und Geschwindigkeit übertrifft er alle bisher da gewesenen technischen Entwicklungen. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes revolutionär.

Neue Geschäftsmodelle, veränderte Arbeitsplätze, aber auch die Möglichkeiten für Bürokratieabbau und Serviceorientierung staatlicher Stellen gegenüber den Bürgern schaffen Möglichkeiten für eine moderne Gesellschaft mit mehr Freiräumen. Die Digitalisierung hat aber auch Auswirkungen auf unsere Privatsphäre und unsere Sicherheit: Weil immer mehr unserer Daten gesammelt und verknüpft werden und somit für viele verfügbar sind, werden wir gläsern und angreifbar. Dies betrifft den einzelnen Bürger, große wie kleine Unternehmen und Staaten gleichermaßen, wie uns die NSA-Affäre und der Angriff auf TV5Monde unmissverständlich vor Augen geführt haben.

Doch auch die eigene Bundesregierung will uns durchleuchten: Eine Zehn-Wochen-Frist bei der Vorratsdatenspeicherung stellt die gesamte deutsche Bevölkerung unter Generalverdacht und ist in ihrem Ausmaß unverhältnismäßig. Damit wird die Privatsphäre jedes Bürgers zur Disposition gestellt.

Deswegen ist es die Herausforderung der Zukunft, die Chancen der Digitalisierung zu erkennen und zu nutzen, ohne dabei die Risiken für informationelle Selbstbestimmung, Datensicherheit und Urheberrecht aus dem Blick zu verlieren. Es gilt, die technische Weiterentwicklung zu nutzen, um diese Gefahren so gut wie möglich auszuschließen oder zu minimieren.

Wir müssen lernen, nicht nur die Fortentwicklung des technisch Möglichen und mehr Nutzerfreundlichkeit als Erfolg zu begreifen. Gerade Fortschritte bei der Sicherheit von Datenerfassung, -nutzung und -verarbeitung können ein Aushängeschild für den Wirtschaftsstandort Deutschland sein: Wir müssen Verschlüsselungstechnologien ebenso weiterentwickeln wie die Sicherheit von Speichersystemen und qualifizierten Zugriffs- und Berechtigungslogiken.

Die Digitalisierung ist zudem eine der größten Herausforderungen für das Eigentumsrecht, und damit für die Basis unserer Wirtschafts- und Sozialordnung: Netzfreiheit darf nicht zur Rechtsfreiheit im Netz führen.

Es muss stets die Maxime gelten, dass personenbezogene Daten das persönliche Eigentum des Bürgers sind. Wir dürfen uns deshalb nicht damit abfinden, dass dieses Eigentum heute rein faktisch schon infrage gestellt ist: Kein Bürger hat mehr einen kompletten Überblick über seine Daten, egal, ob sie von öffentlichen Stellen oder von kommerziellen Datensammlern gespeichert wurden. Wir Freien Demokraten wollen, dass jeder die sich aus der Digitalisierung ergebenden Chancen nutzen kann, ohne seiner informationellen Selbstbestimmung beraubt zu werden. Deshalb müssen wir Datenschutz neu denken: Jeder Bürger muss die alleinige Hoheit über seine Daten zurückerhalten.

Bisher ist er einer schier unüberschaubaren Vielzahl von Stellen ausgeliefert, die seine Daten gespeichert haben. Er muss Auskunft verlangen, was mit seinen Daten geschehen ist und geschieht. Künftig soll jeder vollumfänglich selbst entscheiden können, wem er in welchem Umfang, zu welchem Zweck und in welchem Zeitraum den Zugriff auf seine Daten genehmigt. Gleichzeitig ist zur Gewährleistung seiner Datenhoheit unabdingbar, dass der Einzelne die Kontrolle über sein Dateneigentum und dessen Verwendung effektiv ausüben kann.

Deswegen sollten wir das System vom Kopf auf die Füße stellen: Alle Daten sollen sich zentral in einem hochgesicherten Systemverbund befinden, statt breitflächig verteilt zu sein. Eine neue ID-Karte mit Signatur und zusätzlichen Schutzmechanismen (z. B. Biometrie, Zwei-Faktor-Authentifizierung) sichert den Zugriff. Jeder Bürger kann über ein qualifiziertes und differenziertes Berechtigungssystem Nutzungsrechte einräumen und entziehen. Jeder fremde Zugriff wird protokolliert, was umfängliche Transparenz schafft und wirkungsvolle Kontrolle ermöglicht. Für eine zentrale und sichere Speicherung sind neue Verschlüsselungstechnologien und qualifizierte Zugriffs- und Berechtigungslogiken ohne Hintertüren die Voraussetzung. So führen wir persönliches Eigentum an Daten und deren selbstbestimmte Verwendung wieder zusammen. So eröffnen wir Chancen für Fortschritt und Freiheitsrechte.

Die Entwicklung des digitalen Fortschritts verläuft exponentiell. Wir müssen endlich Fahrt aufnehmen, um nicht den Anschluss zu verpassen. So bietet die Digitalisierung große Chancen im Gesundheitsbereich. E-Health-Systeme ermöglichen zum Beispiel, Patientendaten weltweit von den besten Ärzten auswerten zu lassen, um eine zusätzliche Meinung zu erhalten. Mehrfachuntersuchungen und Wiederholungen teurer Untersuchungen würden obsolet. Operationen könnten unter Verwendung von 3-D-Visualisierung der zu operierenden Körperteile oder Organe von Teams vorgenommen werden, die ortsunabhängig je nach Lage des Falles unter Hinzuziehung von spezieller Expertise zusammengestellt würden. Spezielle Computerprogramme könnten Röntgenbilder weit exakter auf Krankheitsanzeichen hin untersuchen als das menschliche Auge.

Sinnvoll wäre es auch, die dezentrale und unsichere Speicherung von Patientendaten auf der Gesundheitskarte durch eine elektronische Patientenakte zu ersetzen. Sie würde die gesundheitsrelevanten Daten jedes Bürgers in dessen Eigentum zusammenführen. Der Bürger hätte die alleinige Zugriffskompetenz bei höchsten Sicherheitsstandards. Bei schweren Unfällen könnten von ihm freigegebene Notfalldaten schon im Krankenwagen abgerufen werden, was unter Umständen Menschenleben rettet: Bevor der Patient im Krankenhaus eintrifft, weiß das medizinische Personal bereits, was zu tun ist, welche Medikamentenunverträglichkeiten und welche Vorerkrankungen bestehen.

Entscheidend ist aus Gründen der Datensicherheit, dass der eigenverantwortliche Patient bei seiner elektronischen Patientenakte stets die volle Kontrolle über seine gesamten Gesundheitsdaten behält. Nur er entscheidet darüber, wer in welchem Umfang Zugriff auf seine Daten hat.

Alle Gesundheitsdaten müssen von allen behandelnden Ärzten auf einem Server bereitgestellt werden; sie dürfen auch nur dort gespeichert werden. Jeder Log-in und jeder Datenexport darf nur mit persönlicher Identifikation des Arztes, der Krankenschwester oder des Pflegers möglich und muss für den betroffenen Patienten mit einem Klick sichtbar sein. Der Patient hätte sodann, auch nachdem er die Freigabe zur Dateneinsicht erteilt hat – im Gegensatz zur klassischen Krankenakte – die Kontrolle darüber, wer tatsächlich Einsicht genommen hat. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass diese Daten nicht dem Zugriff der Krankenkassen und Versicherungen ausgesetzt werden. Denn dies birgt die Gefahr, dass sie ihre Tarifstrukturen gezielt auf der Grundlage dieser Daten ausrichten.

Um vom digitalen Fortschritt zu profitieren, brauchen wir neben den technischen Voraussetzungen schnellstens eine Politik, die die notwendigen politischen und rechtlichen Weichenstellungen vornimmt. Dann kann jeder an der Entwicklung teilhaben und wird gleichzeitig effektiv vor Missbrauch geschützt. Denn die digitale Entwicklung darf die persönliche Freiheit des Einzelnen nicht einschränken – sie muss ihr dienen.

Dafür brauchen wir einen Mentalitätswechsel bei der weitverbreiteten Skepsis gegenüber technischen Neuerungen in Gesellschaft und Politik: Wir dürfen die Digitalisierung nicht zuerst als Risiko, sondern müssen sie vor allem als Chance für den Menschen sehen. Chance auf mehr Freiheit, auf effektiveren Datenschutz, für weniger Bürokratie, auf eine Optimierung aller möglichen Lebensbereiche.

Deshalb kommt es darauf an, dass wir diese Entwicklungen für alle transparent machen und dass Entscheider, auch Politiker, sich bereits heute mit den Fragen von morgen beschäftigen, damit wir übermorgen auch alle Chancen nutzen können. Gerade die Chance, mit neuen Technologien die informationelle Selbstbestimmung der Bürger sicherzustellen.

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