FDPSpionage-Affäre

Berlin und Paris müssen Druck auf Washington erhöhen

Sabine Leutheusser-SchnarrenbergerSabine Leutheusser-Schnarrenberger kritisiert die Verletzung europäischer und nationaler Gesetze durch Geheimdienste
09.07.2015

Der Geheimdienst-Skandal findet kein Ende: Neue Wikileaks-Dokumente belegen weitere Spionage der NSA in Berliner Ministerien. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Vorstandsmitglied der Stiftung für die Freiheit, rief die Bundesregierung auf, viel selbstbewusster aufzutreten. "Das Mindeste wäre, dass Frau Merkel vom US-Präsidenten verlangt, dass die NSA das massenhafte Abhören ihrer Regierung sofort und umfassend einstellt", sagte sie dem "Stern". Gemeinsam mit Frankreich müsse Deutschland den Druck erhöhen und die Einhaltung europäischer und nationaler Gesetze fordern.

Außerdem müssten strafrechtliche Konsequenzen ernsthaft geprüft werden. "Die NSA will alles darüber wissen, wie in Deutschland Politik gedacht und geplant wird. Dieser Ansatz reicht offenbar hinter die Terroranschläge von 2001 zurück, die bisher immer als Begründung dienten", konstatierte Leutheusser-Schnarrenberger. Die Bundesanwaltschaft müsse deshalb den Sachverhalt neu bewerten. Darüber hinaus sollte die Bundesregierung ihre gesamte Kommunikation verschlüsseln.

Lesen Sie hier das gesamte Interview.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, neue, von Wikileaks veröffentlichte Dokumente zeigen: Der US-Geheimdienst NSA hat außer dem Handy der Kanzlerin Dutzende Anschlüsse in Berliner Ministerien überwacht. Reicht es, den US-Botschafter zum Gespräch ins Kanzleramt zu bitten?

Die Bundesregierung muss viel selbstbewusster auftreten. Das Mindeste wäre, dass Frau Merkel vom US-Präsidenten verlangt, dass die NSA das massenhafte Abhören ihrer Regierung sofort und umfassend einstellt.

Was schlagen Sie vor?

Die Regierung muss ihre gesamte Kommunikation verschlüsseln. Sie muss die Frage beantworten: Was macht eigentlich der Verfassungsschutz? Und natürlich müssen strafrechtliche Konsequenzen geprüft werden.

Soll der Generalbundesanwalt die Ermittlungen wieder aufnehmen?

Es geht um eine neue Dimension. Die NSA will alles darüber wissen, wie in Deutschland Politik gedacht und geplant wird. Dieser Ansatz reicht offenbar hinter die Terroranschläge von 2001 zurück, die bisher immer als Begründung dienten. Die Bundesanwaltschaft muss den Sachverhalt neu bewerten.

Die Ermittlungen wegen des Angriffs auf Merkels Handy wurden eingestellt: keine Beweise. Warum soll jetzt mehr herauskommen?

Die Bundesanwaltschaft ist angewiesen auf Unterstützung der Politik. Wer meint, sie könne leisten, was eigentlich die Politik zu leisten hätte, erwartet zu viel.

Bundesregierung will den Skandal totschweigen

Befürchten Sie, als Bundesjustizministerin selbst abgehört worden zu sein?

Das weiß ich nicht. Seit Snowden gehe ich aber davon aus, dass auch das Justizministerium Ziel von Lauschangriffen ist.

Edward Snowdens Enthüllungen liegen zwei Jahre zurück. Wieso verläuft die Aufklärung so schleppend?

Weil es nicht im Interesse der Dienste liegt, dass über Details ihrer Zusammenarbeit berichtet wird. Und weil die Regierung alles tut, damit das Thema nicht skandalisiert wird.

Ist es denn ein Skandal?

Angesichts des seit Jahren dauernden Rechtsbruchs muss man es so nennen.

Was heißt das für den Rechtsstaat und das Rechtsempfinden der Bürger?

Es ist der Eindruck entstanden, dass die Dienste der Politik entglitten seien. Oder dass man ihnen nicht Einhalt gebietet. Beides ist für die Rechtskultur sehr schädlich. Als er noch in der Opposition saß, sagte der heutige SPD-Fraktionschef Oppermann: Die Regierung sei dafür zuständig, sich für die Wahrung von Grundrechten auch gegenüber ausländischen Diensten einzusetzen. Die Große Koalition muss ihre 80-Prozent-Mehrheit endlich nutzen.

Diese Mehrheit verhindert bis heute, dass Edward Snowden im Untersuchungsausschuss gehört wird.

Die Amerikaner verlangen seine sofortige Auslieferung. Ich bin nicht sicher, ob die Bundesregierung für seine Sicherheit garantieren kann. Aber eine Befragung per Video hätte man versuchen müssen.

Geheimdienste sind kein Staat im Staate

Was wurde aus dem Fragenkatalog, den Sie als Justizministerin Ihrem US-Amtskollegen geschickt hatten?

Nichts. Es gibt Treffen auf Arbeitsebene, die den Eindruck vermitteln sollen, man rede miteinander. Aber es fehlt die Bereitschaft, irgendetwas substanziell zu ändern.

Haben Sie je an ein No-Spy-Abkommen geglaubt?

Ich ging davon aus, dass ernsthaft verhandelt wird. No-Spy hieß nie, das nicht mehr spioniert wird. Aber es sollte Regeln geben, eine lautete: Beachtung der Rechtslage.

Sollte die Bundesregierung gemeinsam mit den ebenfalls abgehörten Franzosen den Druck auf die USA erhöhen?

Ich hielte es für sehr sinnvoll, die deutschfranzösische Achse zu nutzen, um gemeinsam die Einhaltung von europäischen und nationalen Gesetzen zu verlangen.

Die Regierung warnt, unsere Sicherheit hänge von Hinweisen der US-Dienste ab. Müssen wir Spionage also dulden?

Geheimdienste sind kein Staat im Staate. Man kann Gesetze diskutieren, aber man kann sich nicht über sie hinwegsetzen.

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