FDP|
02.03.2006 - 01:00WESTERWELLE-Interview für den "Deutschlandfunk"
Berlin Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Deutschlandfunk" heute das folgende Interview. Die Fragen stellte JOCHEN SPENGLER:
Frage: Herr Westerwelle, neben aller Kritik heißt 100 Tage Schwarz-Rot auch Abbau der Staatssubvention Eigenheimzulage, Korrektur des "Hartz IV"-Mißbrauchs, Rentenalter auf 67 erhöht, Föderalismusreform angepackt. Was hätten Sie in einer schwarz-gelben Koalition nach nur 100 Tagen schon mehr geschafft?
WESTERWELLE: Also beispielsweise den Abbau der steuerlichen Ausnahmetatbestände gibt es nur, weil die FDP da mitgemacht hat, und zwar im Bundestag, und auch angekündigt hat, dieses im Bundesrat zu begleiten. Genau dasselbe gilt für die Föderalismusreform, da hätten wir selbstverständlich mitgemacht. Es ist ja unser eigenes großes Ziel gewesen. Was wir aber grundsätzlich anders gemacht hätten, wäre die Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik.
Frage: Aber nicht in 100 Tagen oder?
WESTERWELLE: Doch, wir hätten in den ersten 100 Tagen, und zwar so, wie es zwischen Union und FPD ja vor der Bundestagswahl auch vereinbart gewesen ist, auch ausdrücklich zwischen Angela Merkel und mir, ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem vereinbart. Sowohl Herr Kollege Stoiber als auch Frau Kollegin Merkel als auch meine Person, wir haben dieses vor der Wahl angekündigt. Wir Freidemokraten halten das auch unverändert für notwendig, daß wir die Investitionen nach Deutschland holen, die Kaufkraft der Bürger stärken und daß wir dementsprechend statt einer Steuererhöhungspolitik, wie sie jetzt von Schwarz-Rot beschlossen wurde - Mehrwertsteuer soll um drei Prozentpunkte rauf gehen -, ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem beschlossen hätten. Das wäre auch der entscheidende Impuls gewesen für neue Arbeitsplätze und bessere Konjunktur.
Frage: Ist das eigentlich noch die Angela Merkel, mit der Sie eigentlich im Herbst eine schwarz-gelbe Koalition bilden wollten?
WESTERWELLE: Ich bin und verstehe uns auch als konstruktive Opposition. Deswegen will ich auch positiv erwähnen, daß Angela Merkel bei ihren Antrittsbesuchen im Ausland wirklich eine vorzügliche Figur gemacht hat und Deutschland sehr würdig, sehr kompetent vertreten hat. Vor allen Dingen muß ich sagen, es ist richtig und wichtig gewesen, daß die Bundeskanzlerin bei ihren Besuchen in Washington und in Moskau auch die Politik von Gerhard Schröder und Joseph Fischer, also die der alten, abgewählten Regierung, korrigiert hat. Das ist wohltuend. Warum soll ich als Oppositionspolitiker verschweigen, daß wir damit mehr als einverstanden sind.
Frage: Aber innenpolitisch kritisieren Sie ja nun, daß Sie sagen, das ist eigentlich eine Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners. Alles wird vertagt, was dringend angepackt werden müßte. Ist es nicht möglich, daß die Bürger in ihrer übergroßen Mehrheit genau das bekommen haben, was sie wollten: kleine beständige Schritte?
WESTERWELLE: Erstens glaube ich nicht, daß das, was jetzt derzeit Schwarz-Rot macht, von der Mehrheit der Bürger gewollt wurde. Mit Verlaub gesagt, das ist die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik. Da ist eine riesige Mehrheit der Bürger dagegen.
Frage: Noch haben wir sie ja nicht.
WESTERWELLE: Entschuldigen Sie, sie ist gerade in der letzten Woche durch das Kabinett gegangen, und der Entwurf des Haushaltes liegt vor. Er wird genau einen Tag nach den drei Landtagswahlen eingebracht, also am 27. März, genau in dieser Woche. Das ist nun wirklich jetzt sehr zynisch, zu sagen, noch ist die Steuererhöhung nicht da. Denn Tatsache ist, wenn man eine dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung beschließt, ist das erstens ein glatter Wortbruch der SPD, übrigens auch der Union, denn die hatte angekündigt, das in die Senkung der Lohnzusatzkosten zu stecken, nichts davon passiert, es ist zum Dritten aber ein Beitrag zu mehr Schwarzarbeit. Und daß wir als liberale Opposition versuchen, über die Landtagswahlen, die jetzt am 26. März stattfinden, auch eine Möglichkeit zu finden und einen Auftrag zu erhalten, diese Mehrwertsteuererhöhung zu stoppen, das wird uns als Steuersenkungspartei niemand verübeln. Schließlich haben wir auch vorgerechnet, wie man es konkret finanzieren kann, ohne Steuererhöhungen auszukommen.
Frage: Herr Westerwelle, 100 Tage große Koalition heißt ja umgekehrt auch 100 Tage kleine Opposition. Welche Note würden Sie sich denn als Opposition geben?
WESTERWELLE: Mir selbst und meinen Kolleginnen und Kollegen der FDP würde ich überhaupt gar keine Noten geben, weil sich das nicht gehört. Aber ich will nur eine Sache hier mal richtig stellen, es gibt ja nicht eine Opposition im Deutschen Bundestag. Der Unterschied zu einer Regierung ist, in der Opposition gibt es keine Koalition. Und die Vorstellung, daß beispielsweise die sozialistische, postkommunistische PDS mit der FDP plötzlich eine strategische Einheit bilden würde, ist ja völlig absurd. Es gibt die PDS, also die Linkspartei, und es gibt die Grünen, und dann gibt es mit den Freien Demokraten die stärkste Oppositionsfraktion. Und da gibt es gelegentliches parlamentarisches Zusammenarbeiten, nämlich da, wo es das Alltagsgeschäft auch zur Kontrolle der Regierung verlangt. Aber es ist mit Sicherheit nicht so, daß es eine strategische Allianz ausgerechnet zwischen FDP und PDS gebe. Das ist ein völlig verquerer Gedanke, den auch wirklich, glaube ich, kein Bürger ernsthaft erwartet.
Frage: Dann bleiben wir einmal nur bei der FDP. Es gibt ja nun Modelle, die im Gespräch sind, die müßten einen Liberalen gruseln lassen, die Mindest-, Kombi-Löhne zum Beispiel oder Zersplitterung von Strafvollzug im Zuge der Föderalismusreform. Warum hört man da eigentlich keinen Aufschrei der FDP?
WESTERWELLE: Sie haben in all diesen Fragen eine sehr laute, vernehmliche FDP hören können.
Frage: Dann bin ich schwerhörig.
WESTERWELLE: Nein, Sie waren nicht schwerhörig, nur vielleicht ein wenig - und ich will es Ihnen diplomatisch sagen - konzentriert auf Anderes. Also, es ist doch völlig normal und auch legitim, daß in den ersten 100 Tagen erst einmal die meisten Journalisten, übrigens auch die allermeisten Bürger, darauf schauen, wer kommt da als neue Regierung. Die haben eine Schonfrist, jetzt wollen wir einmal gucken, wie sie es anpacken. Und das konzentriert natürlich auch viel Aufmerksamkeit auf eine neue Regierung.
Frage: Um einmal Franz Müntefering zu zitieren, ist Opposition Mist?
WESTERWELLE: Na überhaupt nicht. Jedenfalls gedeiht die FDP auf diesem Mist ja ganz prächtig. Ich darf Sie daran erinnern, daß die FPD nicht nur in den letzten fünf Jahren eine Wahl nach der anderen gewonnen hat, auf kommunaler, Europa- und auf Landtagsebene. Wir haben schließlich gerade das beste Bundestagswahlergebnis seit der Deutschen Einheit errungen und übrigens eines der besten in unserer gesamten Geschichte. Und jetzt will ich das mal sagen: Wer so über Opposition redet, der hat ein gestörtes Verhältnis auch zur demokratischen Balance. Schließlich ist gerade in Zeiten einer großen Koalition eine kontrollierende, antreibende, kritische aber eben auch konstruktive Opposition notwendiger denn je. Immerhin ist es doch noch so, daß wir, wenn Sie allein an die außenpolitischen Fragen - Stichwort BND, Stichwort CIA - denken, nur durch die Opposition überhaupt Druck gemacht wird, daß die Regierung da nicht drüber hinweg sieht.
Frage: Ja, aber Herr Westerwelle, warum leisten Sie sich dann jetzt in dieser Sache BND-Affäre so einen Eiertanz? Warum sagen Sie nicht klar und deutlich, wir haben Aufklärungsbedarf, wir wollen einen Untersuchungsausschuß?
WESTERWELLE: Weil die Entscheidung dafür noch nicht ansteht. Sie steht nächste Woche an. Ich werde mir auch durch kein Interview und auch durch keine andere Bemerkung unseren Zeitplan durcheinander bringen lassen, den wir seit Monaten bekannt gegeben haben. In der nächsten Woche findet die Sitzung der FDP-Bundestagsfraktion statt. Dort wird das beraten. Und jetzt will ich mal sagen: Wir haben am Montag auf Antrag der FDP eine Sitzung des zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums. Und mit Verlaub gesagt, ich denke, das ist auch etwas, was abgewartet werden muß, bevor man überhaupt vorzeitig irgend etwas anderes entscheidet.
Frage: Das mag sein, daß Sie innerparteilich auch Ihre Beschlüsse haben und auch Rücksicht nehmen müssen. Aber kann es sein, daß dann die Wähler eben dadurch auch die FDP eben nicht als eine solch kraftvolle Oppositionsführerin wahrnehmen, wie sie vielleicht wahrgenommen werden möchte?
WESTERWELLE: Ich bin damit ja sehr zufrieden. Der Zulauf zur FDP ist außerordentlich. Wir haben eine Eintrittswelle bei der FDP, die ist grandios. Und das zählt doch zunächst einmal. Ich kann mich mit Ihnen nicht darüber unterhalten, ob wir vielleicht dieses Interview mehr oder weniger bekommen sollten. Das ist nun einmal immer so, wenn man eine neue Regierung hat, daß da sehr genau auf die Regierung geschaut wird. Ich bewerte unsere Arbeit fachlich und sachlich. Da bin ich sehr zufrieden damit. Wir haben jedenfalls einen ganz großen Zulauf bei der FDP. Das ist das, was zählt. Und abermals. Das ist ja keine innerparteiliche Rücksichtnahme, wenn wir sagen, das wird in der nächsten Woche entschieden, sondern das ist der Ablauf der parlamentarischen Regeln. Am nächsten Montag findet genau diese Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums statt, die die FDP beantragt hat. Wir hätten sie nicht beantragen müssen, wollten wir nicht der Regierung die Gelegenheit geben, in diesem geheimen Gremium auch Auskunft über die kapitalen Vorwürfe zu geben.
Frage: Herr Westerwelle.
WESTERWELLE: Einen Satz bitte noch, wenn Sie gestatten.
Frage: Aber ja.
WESTERWELLE: Wenn das, was hier derzeit auch neuerlich von der "New York Times" veröffentlicht worden ist, zutrifft, wenn das von der Regierung nicht ausgeräumt wird, ist das ein ganz kapitaler Vorgang. Dann ist das ein regelrechter handfester Skandal. Und dann wird das auch aufgeklärt. Aber zunächst einmal gehen wir den Weg, den die parlamentarische Demokratie vorgesehen hat, unsere Verfassung, die Gesetze. Das heißt, erst einmal werden wir die Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums abwarten, die findet auf unseren Antrag schließlich am Montag statt. Das ist ja keine Kleinigkeit.
Frage: Herr Westerwelle, das war aber jetzt schon ein Satz. Und ich wollte eigentlich noch eine Frage stellen, eine kurze zum Ende. Verdichten sich dann auch für Sie, nicht nur für Herrn Brüderle, die Überlegungen, daß es vielleicht doch zu einem Untersuchungsausschuß kommen könnte?
WESTERWELLE: Ich werde darüber nicht spekulieren, weil ich weiß, was das für eine Wirkung dann anschließend im Blätterwald haben wird. Ich werde die Sitzung am kommenden Montag abwarten, das Votum unseres Abgeordneten, der uns dort vertritt. Und dann werden wir in der kommenden Woche in unserer Bundestagsfraktion diese sehr schwerwiegende Entscheidung fällen. Das ist wie gesagt keine launige Entscheidung, die man mal eben so aus der Tasche schütteln könnte. Da geht es um die Zusammenarbeit auch mit ausländischen Staaten. Da geht es um die Frage der Entführung eines deutschen Staatsangehörigen durch den amerikanischen Geheimdienst. Da geht es darum, daß die alte rot-grüne Bundesregierung augenscheinlich etwas ganz anderes gemacht hat, tatsächlich im Verdeckten, als sie öffentlich in den Wahlkämpfen behauptet hat. Und das muß aufgeklärt werden. Aber ob es dafür einen Untersuchungsausschuß braucht, das wird erst seitens der Freien Demokratischen Partei - wie von vorneherein auch angekündigt - in der nächsten Woche entschieden.
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WESTERWELLE-Interview für den "Deutschlandfunk"
Berlin Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Deutschlandfunk" heute das folgende Interview. Die Fragen stellte JOCHEN SPENGLER:
Frage: Herr Westerwelle, neben aller Kritik heißt 100 Tage Schwarz-Rot auch Abbau der Staatssubvention Eigenheimzulage, Korrektur des "Hartz IV"-Mißbrauchs, Rentenalter auf 67 erhöht, Föderalismusreform angepackt. Was hätten Sie in einer schwarz-gelben Koalition nach nur 100 Tagen schon mehr geschafft?
WESTERWELLE: Also beispielsweise den Abbau der steuerlichen Ausnahmetatbestände gibt es nur, weil die FDP da mitgemacht hat, und zwar im Bundestag, und auch angekündigt hat, dieses im Bundesrat zu begleiten. Genau dasselbe gilt für die Föderalismusreform, da hätten wir selbstverständlich mitgemacht. Es ist ja unser eigenes großes Ziel gewesen. Was wir aber grundsätzlich anders gemacht hätten, wäre die Wirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik.
Frage: Aber nicht in 100 Tagen oder?
WESTERWELLE: Doch, wir hätten in den ersten 100 Tagen, und zwar so, wie es zwischen Union und FPD ja vor der Bundestagswahl auch vereinbart gewesen ist, auch ausdrücklich zwischen Angela Merkel und mir, ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem vereinbart. Sowohl Herr Kollege Stoiber als auch Frau Kollegin Merkel als auch meine Person, wir haben dieses vor der Wahl angekündigt. Wir Freidemokraten halten das auch unverändert für notwendig, daß wir die Investitionen nach Deutschland holen, die Kaufkraft der Bürger stärken und daß wir dementsprechend statt einer Steuererhöhungspolitik, wie sie jetzt von Schwarz-Rot beschlossen wurde - Mehrwertsteuer soll um drei Prozentpunkte rauf gehen -, ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem beschlossen hätten. Das wäre auch der entscheidende Impuls gewesen für neue Arbeitsplätze und bessere Konjunktur.
Frage: Ist das eigentlich noch die Angela Merkel, mit der Sie eigentlich im Herbst eine schwarz-gelbe Koalition bilden wollten?
WESTERWELLE: Ich bin und verstehe uns auch als konstruktive Opposition. Deswegen will ich auch positiv erwähnen, daß Angela Merkel bei ihren Antrittsbesuchen im Ausland wirklich eine vorzügliche Figur gemacht hat und Deutschland sehr würdig, sehr kompetent vertreten hat. Vor allen Dingen muß ich sagen, es ist richtig und wichtig gewesen, daß die Bundeskanzlerin bei ihren Besuchen in Washington und in Moskau auch die Politik von Gerhard Schröder und Joseph Fischer, also die der alten, abgewählten Regierung, korrigiert hat. Das ist wohltuend. Warum soll ich als Oppositionspolitiker verschweigen, daß wir damit mehr als einverstanden sind.
Frage: Aber innenpolitisch kritisieren Sie ja nun, daß Sie sagen, das ist eigentlich eine Koalition des kleinsten gemeinsamen Nenners. Alles wird vertagt, was dringend angepackt werden müßte. Ist es nicht möglich, daß die Bürger in ihrer übergroßen Mehrheit genau das bekommen haben, was sie wollten: kleine beständige Schritte?
WESTERWELLE: Erstens glaube ich nicht, daß das, was jetzt derzeit Schwarz-Rot macht, von der Mehrheit der Bürger gewollt wurde. Mit Verlaub gesagt, das ist die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik. Da ist eine riesige Mehrheit der Bürger dagegen.
Frage: Noch haben wir sie ja nicht.
WESTERWELLE: Entschuldigen Sie, sie ist gerade in der letzten Woche durch das Kabinett gegangen, und der Entwurf des Haushaltes liegt vor. Er wird genau einen Tag nach den drei Landtagswahlen eingebracht, also am 27. März, genau in dieser Woche. Das ist nun wirklich jetzt sehr zynisch, zu sagen, noch ist die Steuererhöhung nicht da. Denn Tatsache ist, wenn man eine dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung beschließt, ist das erstens ein glatter Wortbruch der SPD, übrigens auch der Union, denn die hatte angekündigt, das in die Senkung der Lohnzusatzkosten zu stecken, nichts davon passiert, es ist zum Dritten aber ein Beitrag zu mehr Schwarzarbeit. Und daß wir als liberale Opposition versuchen, über die Landtagswahlen, die jetzt am 26. März stattfinden, auch eine Möglichkeit zu finden und einen Auftrag zu erhalten, diese Mehrwertsteuererhöhung zu stoppen, das wird uns als Steuersenkungspartei niemand verübeln. Schließlich haben wir auch vorgerechnet, wie man es konkret finanzieren kann, ohne Steuererhöhungen auszukommen.
Frage: Herr Westerwelle, 100 Tage große Koalition heißt ja umgekehrt auch 100 Tage kleine Opposition. Welche Note würden Sie sich denn als Opposition geben?
WESTERWELLE: Mir selbst und meinen Kolleginnen und Kollegen der FDP würde ich überhaupt gar keine Noten geben, weil sich das nicht gehört. Aber ich will nur eine Sache hier mal richtig stellen, es gibt ja nicht eine Opposition im Deutschen Bundestag. Der Unterschied zu einer Regierung ist, in der Opposition gibt es keine Koalition. Und die Vorstellung, daß beispielsweise die sozialistische, postkommunistische PDS mit der FDP plötzlich eine strategische Einheit bilden würde, ist ja völlig absurd. Es gibt die PDS, also die Linkspartei, und es gibt die Grünen, und dann gibt es mit den Freien Demokraten die stärkste Oppositionsfraktion. Und da gibt es gelegentliches parlamentarisches Zusammenarbeiten, nämlich da, wo es das Alltagsgeschäft auch zur Kontrolle der Regierung verlangt. Aber es ist mit Sicherheit nicht so, daß es eine strategische Allianz ausgerechnet zwischen FDP und PDS gebe. Das ist ein völlig verquerer Gedanke, den auch wirklich, glaube ich, kein Bürger ernsthaft erwartet.
Frage: Dann bleiben wir einmal nur bei der FDP. Es gibt ja nun Modelle, die im Gespräch sind, die müßten einen Liberalen gruseln lassen, die Mindest-, Kombi-Löhne zum Beispiel oder Zersplitterung von Strafvollzug im Zuge der Föderalismusreform. Warum hört man da eigentlich keinen Aufschrei der FDP?
WESTERWELLE: Sie haben in all diesen Fragen eine sehr laute, vernehmliche FDP hören können.
Frage: Dann bin ich schwerhörig.
WESTERWELLE: Nein, Sie waren nicht schwerhörig, nur vielleicht ein wenig - und ich will es Ihnen diplomatisch sagen - konzentriert auf Anderes. Also, es ist doch völlig normal und auch legitim, daß in den ersten 100 Tagen erst einmal die meisten Journalisten, übrigens auch die allermeisten Bürger, darauf schauen, wer kommt da als neue Regierung. Die haben eine Schonfrist, jetzt wollen wir einmal gucken, wie sie es anpacken. Und das konzentriert natürlich auch viel Aufmerksamkeit auf eine neue Regierung.
Frage: Um einmal Franz Müntefering zu zitieren, ist Opposition Mist?
WESTERWELLE: Na überhaupt nicht. Jedenfalls gedeiht die FDP auf diesem Mist ja ganz prächtig. Ich darf Sie daran erinnern, daß die FPD nicht nur in den letzten fünf Jahren eine Wahl nach der anderen gewonnen hat, auf kommunaler, Europa- und auf Landtagsebene. Wir haben schließlich gerade das beste Bundestagswahlergebnis seit der Deutschen Einheit errungen und übrigens eines der besten in unserer gesamten Geschichte. Und jetzt will ich das mal sagen: Wer so über Opposition redet, der hat ein gestörtes Verhältnis auch zur demokratischen Balance. Schließlich ist gerade in Zeiten einer großen Koalition eine kontrollierende, antreibende, kritische aber eben auch konstruktive Opposition notwendiger denn je. Immerhin ist es doch noch so, daß wir, wenn Sie allein an die außenpolitischen Fragen - Stichwort BND, Stichwort CIA - denken, nur durch die Opposition überhaupt Druck gemacht wird, daß die Regierung da nicht drüber hinweg sieht.
Frage: Ja, aber Herr Westerwelle, warum leisten Sie sich dann jetzt in dieser Sache BND-Affäre so einen Eiertanz? Warum sagen Sie nicht klar und deutlich, wir haben Aufklärungsbedarf, wir wollen einen Untersuchungsausschuß?
WESTERWELLE: Weil die Entscheidung dafür noch nicht ansteht. Sie steht nächste Woche an. Ich werde mir auch durch kein Interview und auch durch keine andere Bemerkung unseren Zeitplan durcheinander bringen lassen, den wir seit Monaten bekannt gegeben haben. In der nächsten Woche findet die Sitzung der FDP-Bundestagsfraktion statt. Dort wird das beraten. Und jetzt will ich mal sagen: Wir haben am Montag auf Antrag der FDP eine Sitzung des zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums. Und mit Verlaub gesagt, ich denke, das ist auch etwas, was abgewartet werden muß, bevor man überhaupt vorzeitig irgend etwas anderes entscheidet.
Frage: Das mag sein, daß Sie innerparteilich auch Ihre Beschlüsse haben und auch Rücksicht nehmen müssen. Aber kann es sein, daß dann die Wähler eben dadurch auch die FDP eben nicht als eine solch kraftvolle Oppositionsführerin wahrnehmen, wie sie vielleicht wahrgenommen werden möchte?
WESTERWELLE: Ich bin damit ja sehr zufrieden. Der Zulauf zur FDP ist außerordentlich. Wir haben eine Eintrittswelle bei der FDP, die ist grandios. Und das zählt doch zunächst einmal. Ich kann mich mit Ihnen nicht darüber unterhalten, ob wir vielleicht dieses Interview mehr oder weniger bekommen sollten. Das ist nun einmal immer so, wenn man eine neue Regierung hat, daß da sehr genau auf die Regierung geschaut wird. Ich bewerte unsere Arbeit fachlich und sachlich. Da bin ich sehr zufrieden damit. Wir haben jedenfalls einen ganz großen Zulauf bei der FDP. Das ist das, was zählt. Und abermals. Das ist ja keine innerparteiliche Rücksichtnahme, wenn wir sagen, das wird in der nächsten Woche entschieden, sondern das ist der Ablauf der parlamentarischen Regeln. Am nächsten Montag findet genau diese Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums statt, die die FDP beantragt hat. Wir hätten sie nicht beantragen müssen, wollten wir nicht der Regierung die Gelegenheit geben, in diesem geheimen Gremium auch Auskunft über die kapitalen Vorwürfe zu geben.
Frage: Herr Westerwelle.
WESTERWELLE: Einen Satz bitte noch, wenn Sie gestatten.
Frage: Aber ja.
WESTERWELLE: Wenn das, was hier derzeit auch neuerlich von der "New York Times" veröffentlicht worden ist, zutrifft, wenn das von der Regierung nicht ausgeräumt wird, ist das ein ganz kapitaler Vorgang. Dann ist das ein regelrechter handfester Skandal. Und dann wird das auch aufgeklärt. Aber zunächst einmal gehen wir den Weg, den die parlamentarische Demokratie vorgesehen hat, unsere Verfassung, die Gesetze. Das heißt, erst einmal werden wir die Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums abwarten, die findet auf unseren Antrag schließlich am Montag statt. Das ist ja keine Kleinigkeit.
Frage: Herr Westerwelle, das war aber jetzt schon ein Satz. Und ich wollte eigentlich noch eine Frage stellen, eine kurze zum Ende. Verdichten sich dann auch für Sie, nicht nur für Herrn Brüderle, die Überlegungen, daß es vielleicht doch zu einem Untersuchungsausschuß kommen könnte?
WESTERWELLE: Ich werde darüber nicht spekulieren, weil ich weiß, was das für eine Wirkung dann anschließend im Blätterwald haben wird. Ich werde die Sitzung am kommenden Montag abwarten, das Votum unseres Abgeordneten, der uns dort vertritt. Und dann werden wir in der kommenden Woche in unserer Bundestagsfraktion diese sehr schwerwiegende Entscheidung fällen. Das ist wie gesagt keine launige Entscheidung, die man mal eben so aus der Tasche schütteln könnte. Da geht es um die Zusammenarbeit auch mit ausländischen Staaten. Da geht es um die Frage der Entführung eines deutschen Staatsangehörigen durch den amerikanischen Geheimdienst. Da geht es darum, daß die alte rot-grüne Bundesregierung augenscheinlich etwas ganz anderes gemacht hat, tatsächlich im Verdeckten, als sie öffentlich in den Wahlkämpfen behauptet hat. Und das muß aufgeklärt werden. Aber ob es dafür einen Untersuchungsausschuß braucht, das wird erst seitens der Freien Demokratischen Partei - wie von vorneherein auch angekündigt - in der nächsten Woche entschieden.
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