FDP|
13.01.2006 - 01:00WESTERWELLE-Interview für die "Stuttgarter Zeitung"
Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Stuttgarter Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten DR. JOACHIM WORTHMANN und ANDREAS GELDNER.
Frage: Der BND soll während des Irak-Kriegs mit Billigung des Kanzleramts den USA beim Aussuchen der Ziele für die Bombardierung Bagdads geholfen haben, heißt es in Medienberichten. Was werden Sie tun?
WESTERWELLE: Außenminister Steinmeier, damals Chef des Kanzleramts, muß dringend für vollständige Aufklärung sorgen - so oder so. Entweder er schafft dadurch falsche Berichte aus der Welt, oder er entlarvt den Anti-Kriegs-Kurs der alten Bundesregierung als Lebenslüge von Rot-Grün. Wenn aber gemauert und blockiert wird, dann sieht die Opposition nicht tatenlos zu - dann würde ein Untersuchungsausschuß unumgänglich, weil die Vorwürfe, die hier erhoben werden, sehr schwer wiegen. Erst die Entführung eines deutschen Staatsangehörigen durch den CIA und die anschließende Verschleierung durch den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily, dann das Eingeständnis, daß deutsche Sicherheitsbeamte in Guantanamo und in einem syrischen Foltergefängnis verhört haben, jetzt die Frage, ob BND-Beamte im Auftrag der Regierung am Irak-Krieg beteiligt waren: Die Wahrscheinlichkeit eines Untersuchungsausschusses wird jede Woche größer.
Frage: Ist die Union für die FDP inzwischen die gefährlichere Sozialdemokratie? Wenn man Ihre jüngsten Attacken auf die CDU/CSU hört, könnte man das fast glauben.
WESTERWELLE: Nach der Klausurtagung von SPD und Union in dieser Woche hat man ironisch überspitzt den Eindruck, daß da zusammenwächst, was zusammengehört. Die Union sozialdemokratisiert sich in rasantem Tempo - zumindest auf Bundesebene. Wir arbeiten daran, daß dieser Prozeß wenigstens in den Ländern gestoppt wird.
Frage: Wenn der Abstand der FDP zu beiden Volksparteien wieder gleich groß wird, haben dann sozialliberale Bündnisse wieder eine größere Chance?
WESTERWELLE: In Rheinland-Pfalz gibt seit vielen Jahren eine erfolgreiche sozialliberale Koalition, weil sich die SPD dort mittelstandsfreundlich verhält, mehr als andernorts. In Baden-Württemberg gibt es für die FDP keinen Zweifel daran, daß das Bündnis mit der CDU fortgesetzt werden sollte.
Frage: Bisher ist von der Opposition im Bundestag wenig zu sehen und zu hören. Lähmt die übergroße Mehrheit der Regierung die politische Debatte?
WESTERWELLE: Ich habe einen ganz anderen Eindruck. Die CIA-Affäre wäre doch unter den Teppich gekehrt worden, wenn nicht die liberale Opposition auf Aufklärung gedrungen hätte. Oder erinnern Sie sich, daß die große Koalition gleich zu Beginn einen verfassungswidrigen Haushalt vorlegen wollte, da ist es auch dem Wirken der Liberalen zu verdanken, daß dieser Plan ad acta gelegt wurde.
Frage: Aber wirken nicht die Liberalen gerade wie Rufer in der Wüste? Die Stimmung im Land hellt sich doch gerade auf.
WESTERWELLE: Ich bin liberaler Rheinländer, die sind in ihrem Optimismus weltweit nicht zu überbieten. Ich glaube an die Zukunft Deutschlands, aber ich glaube nicht, daß die von der großen Koalition angekündigte Politik der kleinen Schritte in Zeiten einer rasanten Globalisierung Deutschland wieder an die Spitze bringt. Dieses Land braucht Strukturreformen von den Steuern über die Gesundheits- und Energiepolitik bis hin zur Bildungs- und Familienpolitik. Die Bundesregierung, die aus einer Notgemeinschaft von zwei Wahlverlierern besteht, hat all diese Punkte ausgespart. Die Klausurtagung der Bundesregierung hat ein schuldenfinanziertes Strohfeuer beschlossen. Die beste Familienpolitik sind nicht komplizierte Programme, sondern der Verzicht auf die familienfeindliche Mehrwertsteuererhöhung.
Frage: Warten Sie darauf, daß erst alles Schlimmer wird - bis die Stunde der FDP schlägt?
WESTERWELLE: So wie die letzte große Koalition in den sechziger Jahren eine Übergangsregierung gewesen ist, so ist auch diese große Koalition ein Übergangsphänomen. Ich möchte nicht voraussagen, ob sie vier, drei oder weniger Jahre hält. Aber daß der Politikwechsel nur vertagt ist, weil uns die Umstände und die Probleme weiter dazu zwingen werden, davon bin ich fest überzeugt. Allerdings bin ich überrascht über das rasante Tempo, in dem die Union sich auf einen Kurs der staatlichen Umverteilung begibt - und damit auf einen Kurs der Sozialdemokraten.
Frage: Sie hoffen hartnäckig auf die liberale Volkspartei mit zweistelligen Wahlergebnissen. Wie lange dauert das noch?
WESTERWELLE: Wir sind eine Partei für das ganze Volk. Der Liberalismus ist nicht das Privileg einer bestimmten Etage der Gesellschaft. Er ist eine Haltung zum Leben. Wir haben als einzige Partei nach der Bundestagswahl auf Bundesebene Mitglieder gewonnen - weit mehr als 3.000. Das ist für eine Partei von 65.000 Mitgliedern ganz stattlich. Alle anderen Parteien verlieren unter dem Strich Mitglieder. Es gibt sehr viele Menschen, die nicht zurück zu Rot-Grün wollen, aber auch die Verlängerung der bisherigen Politik durch die große Koalition nicht richtig finden. Noch vor fünf Jahren war die erste Frage an mich: Sind Sie derjenige, der bei den Liberalen das Licht ausmacht? Seither hat die FDP bei 28 von 31 Wahlen Stimmen gewonnen.
Frage: Bei der Föderalismusreform hat die FDP über ihre Regierungsbeteiligungen ein Wörtchen mitzureden. Werden Sie mit diesem machtpolitischem Hebel spielen?
WESTERWELLE: Diese Reform ist notwendig. Bund und Länder haben sich schon viel zu oft im Weg gestanden. Deswegen wird sie an uns nicht scheitern. Wir legen aber Wert darauf, daß auch die Reform der Finanzverfassung schon zum Anfang dieses Jahres angegangen wird. Das ist mir übrigens von der Bundeskanzlerin und von Franz Müntefering in einem Gespräch während der Koalitionsverhandlungen ausdrücklich zugesagt worden. Dies kann nur eine stärkere Trennung der Ebenen und Verantwortlichkeiten bedeuten. Wir bestehen darauf, daß diese verbindliche Zusage von der Union und der SPD eingehalten wird. Andernfalls machen wir nicht mit.
Frage: Überschätzt die FDP nicht Ihre Macht?
WESTERWELLE: Wir sind derzeit im Bundesrat so stark wie die SPD, das wissen viele nicht.. Wenn die Landtagswahlen für uns in diesem Jahr gut laufen, könnten wir auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer verhindern.
Frage: Aber dazu müßten sie erst einmal in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin an die Regierung kommen.
WESTERWELLE: Wir stehen bei allen fünf in diesem Jahr anstehenden Landtagwahlen pumperlgesund da. Im übrigen hat auch die große Koalition in Schleswig-Holstein bei der Beamtenbesoldung in dieser Woche den Konflikt mit Berlin gesucht. Eine wachsende FDP könnte einen Meinungsdruck erzeugen und den einen oder anderen in den Ländern auf den Kurs der wirtschaftlichen Vernunft und sozialen Verantwortung bringen. Übrigens hat sich auch die übergroße Mehrheit der Wähler bei der Bundestagswahl gegen diese Steuererhöhung entschieden. Sie kommt nur, weil die SPD umgefallen ist. Es ist eine absurde Kompromißfindung, daß aus den versprochenen null Prozent der Sozialdemokraten und den angekündigten zwei Prozent der Union am Ende drei Prozent Mehrwertsteuererhöhung geworden sind.
WESTERWELLE-Interview für die "Stuttgarter Zeitung"
Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Stuttgarter Zeitung" (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten DR. JOACHIM WORTHMANN und ANDREAS GELDNER.
Frage: Der BND soll während des Irak-Kriegs mit Billigung des Kanzleramts den USA beim Aussuchen der Ziele für die Bombardierung Bagdads geholfen haben, heißt es in Medienberichten. Was werden Sie tun?
WESTERWELLE: Außenminister Steinmeier, damals Chef des Kanzleramts, muß dringend für vollständige Aufklärung sorgen - so oder so. Entweder er schafft dadurch falsche Berichte aus der Welt, oder er entlarvt den Anti-Kriegs-Kurs der alten Bundesregierung als Lebenslüge von Rot-Grün. Wenn aber gemauert und blockiert wird, dann sieht die Opposition nicht tatenlos zu - dann würde ein Untersuchungsausschuß unumgänglich, weil die Vorwürfe, die hier erhoben werden, sehr schwer wiegen. Erst die Entführung eines deutschen Staatsangehörigen durch den CIA und die anschließende Verschleierung durch den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily, dann das Eingeständnis, daß deutsche Sicherheitsbeamte in Guantanamo und in einem syrischen Foltergefängnis verhört haben, jetzt die Frage, ob BND-Beamte im Auftrag der Regierung am Irak-Krieg beteiligt waren: Die Wahrscheinlichkeit eines Untersuchungsausschusses wird jede Woche größer.
Frage: Ist die Union für die FDP inzwischen die gefährlichere Sozialdemokratie? Wenn man Ihre jüngsten Attacken auf die CDU/CSU hört, könnte man das fast glauben.
WESTERWELLE: Nach der Klausurtagung von SPD und Union in dieser Woche hat man ironisch überspitzt den Eindruck, daß da zusammenwächst, was zusammengehört. Die Union sozialdemokratisiert sich in rasantem Tempo - zumindest auf Bundesebene. Wir arbeiten daran, daß dieser Prozeß wenigstens in den Ländern gestoppt wird.
Frage: Wenn der Abstand der FDP zu beiden Volksparteien wieder gleich groß wird, haben dann sozialliberale Bündnisse wieder eine größere Chance?
WESTERWELLE: In Rheinland-Pfalz gibt seit vielen Jahren eine erfolgreiche sozialliberale Koalition, weil sich die SPD dort mittelstandsfreundlich verhält, mehr als andernorts. In Baden-Württemberg gibt es für die FDP keinen Zweifel daran, daß das Bündnis mit der CDU fortgesetzt werden sollte.
Frage: Bisher ist von der Opposition im Bundestag wenig zu sehen und zu hören. Lähmt die übergroße Mehrheit der Regierung die politische Debatte?
WESTERWELLE: Ich habe einen ganz anderen Eindruck. Die CIA-Affäre wäre doch unter den Teppich gekehrt worden, wenn nicht die liberale Opposition auf Aufklärung gedrungen hätte. Oder erinnern Sie sich, daß die große Koalition gleich zu Beginn einen verfassungswidrigen Haushalt vorlegen wollte, da ist es auch dem Wirken der Liberalen zu verdanken, daß dieser Plan ad acta gelegt wurde.
Frage: Aber wirken nicht die Liberalen gerade wie Rufer in der Wüste? Die Stimmung im Land hellt sich doch gerade auf.
WESTERWELLE: Ich bin liberaler Rheinländer, die sind in ihrem Optimismus weltweit nicht zu überbieten. Ich glaube an die Zukunft Deutschlands, aber ich glaube nicht, daß die von der großen Koalition angekündigte Politik der kleinen Schritte in Zeiten einer rasanten Globalisierung Deutschland wieder an die Spitze bringt. Dieses Land braucht Strukturreformen von den Steuern über die Gesundheits- und Energiepolitik bis hin zur Bildungs- und Familienpolitik. Die Bundesregierung, die aus einer Notgemeinschaft von zwei Wahlverlierern besteht, hat all diese Punkte ausgespart. Die Klausurtagung der Bundesregierung hat ein schuldenfinanziertes Strohfeuer beschlossen. Die beste Familienpolitik sind nicht komplizierte Programme, sondern der Verzicht auf die familienfeindliche Mehrwertsteuererhöhung.
Frage: Warten Sie darauf, daß erst alles Schlimmer wird - bis die Stunde der FDP schlägt?
WESTERWELLE: So wie die letzte große Koalition in den sechziger Jahren eine Übergangsregierung gewesen ist, so ist auch diese große Koalition ein Übergangsphänomen. Ich möchte nicht voraussagen, ob sie vier, drei oder weniger Jahre hält. Aber daß der Politikwechsel nur vertagt ist, weil uns die Umstände und die Probleme weiter dazu zwingen werden, davon bin ich fest überzeugt. Allerdings bin ich überrascht über das rasante Tempo, in dem die Union sich auf einen Kurs der staatlichen Umverteilung begibt - und damit auf einen Kurs der Sozialdemokraten.
Frage: Sie hoffen hartnäckig auf die liberale Volkspartei mit zweistelligen Wahlergebnissen. Wie lange dauert das noch?
WESTERWELLE: Wir sind eine Partei für das ganze Volk. Der Liberalismus ist nicht das Privileg einer bestimmten Etage der Gesellschaft. Er ist eine Haltung zum Leben. Wir haben als einzige Partei nach der Bundestagswahl auf Bundesebene Mitglieder gewonnen - weit mehr als 3.000. Das ist für eine Partei von 65.000 Mitgliedern ganz stattlich. Alle anderen Parteien verlieren unter dem Strich Mitglieder. Es gibt sehr viele Menschen, die nicht zurück zu Rot-Grün wollen, aber auch die Verlängerung der bisherigen Politik durch die große Koalition nicht richtig finden. Noch vor fünf Jahren war die erste Frage an mich: Sind Sie derjenige, der bei den Liberalen das Licht ausmacht? Seither hat die FDP bei 28 von 31 Wahlen Stimmen gewonnen.
Frage: Bei der Föderalismusreform hat die FDP über ihre Regierungsbeteiligungen ein Wörtchen mitzureden. Werden Sie mit diesem machtpolitischem Hebel spielen?
WESTERWELLE: Diese Reform ist notwendig. Bund und Länder haben sich schon viel zu oft im Weg gestanden. Deswegen wird sie an uns nicht scheitern. Wir legen aber Wert darauf, daß auch die Reform der Finanzverfassung schon zum Anfang dieses Jahres angegangen wird. Das ist mir übrigens von der Bundeskanzlerin und von Franz Müntefering in einem Gespräch während der Koalitionsverhandlungen ausdrücklich zugesagt worden. Dies kann nur eine stärkere Trennung der Ebenen und Verantwortlichkeiten bedeuten. Wir bestehen darauf, daß diese verbindliche Zusage von der Union und der SPD eingehalten wird. Andernfalls machen wir nicht mit.
Frage: Überschätzt die FDP nicht Ihre Macht?
WESTERWELLE: Wir sind derzeit im Bundesrat so stark wie die SPD, das wissen viele nicht.. Wenn die Landtagswahlen für uns in diesem Jahr gut laufen, könnten wir auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer verhindern.
Frage: Aber dazu müßten sie erst einmal in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin an die Regierung kommen.
WESTERWELLE: Wir stehen bei allen fünf in diesem Jahr anstehenden Landtagwahlen pumperlgesund da. Im übrigen hat auch die große Koalition in Schleswig-Holstein bei der Beamtenbesoldung in dieser Woche den Konflikt mit Berlin gesucht. Eine wachsende FDP könnte einen Meinungsdruck erzeugen und den einen oder anderen in den Ländern auf den Kurs der wirtschaftlichen Vernunft und sozialen Verantwortung bringen. Übrigens hat sich auch die übergroße Mehrheit der Wähler bei der Bundestagswahl gegen diese Steuererhöhung entschieden. Sie kommt nur, weil die SPD umgefallen ist. Es ist eine absurde Kompromißfindung, daß aus den versprochenen null Prozent der Sozialdemokraten und den angekündigten zwei Prozent der Union am Ende drei Prozent Mehrwertsteuererhöhung geworden sind.