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08.11.2024 - 08:54LINDNER-Interview: Ich will weiter eintreten für stabile Finanzen und Generationengerechtigkeit
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner MdB gab der „Bild“ (Freitag-Ausgabe) und „Bild.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Robert Schneider, Jan Schäfer und Burkhard Uhlenbroich:
Frage: Herr Minister a. D., Sie haben gerade vom Bundespräsidenten Ihre Entlassungsurkunde erhalten. Sind Sie erleichtert oder wütend?
Lindner: Nein, ich bin nicht erleichtert. Ich hätte mir für unser Land eine andere Entwicklung natürlich gewünscht. Wir haben jetzt eine Phase der Unsicherheit, eine Regierung, die im Amt ist, aber die über keine Mehrheit im Parlament verfügt. Die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ist deshalb eingeschränkt. Ich hatte (...) dem Bundeskanzler vorgeschlagen, dass wir gemeinsam in Würde geordnet und unter Beibehaltung der Handlungsfähigkeit der Regierung schnellstmöglich im Januar zu Neuwahlen kommen. (...) Das ist brüsk abgelehnt worden. Wir wissen jetzt, warum. Der gestrige Abend war bereits der Beginn des Wahlkampfs von Olaf Scholz.
Frage: Haben Sie bei Ihrer heutigen Pressekonferenz mit den Tränen gekämpft?
Lindner: Ich war an einem Punkt schon angefasst, als ich mich nämlich erinnert habe, was mich in den letzten Wochen und Monaten wirklich an den Rand meiner Kräfte gebracht hat. Nämlich: Wenn Menschen, die in Sorge sind um ihren Arbeitsplatz oder aufgebrachte Handwerksunternehmer, wenn die sagen: Was macht ihr jetzt in der Regierung, damit mein Arbeitsplatz sicher ist, mein Betrieb funktioniert? Denen immer nur sagen zu müssen, wie begrenzt die Möglichkeiten in dieser Regierung sind, es ist so schwierig – das hat mir schon sehr zugesetzt.
Frage: Kanzler Scholz will erst am 15. Januar die Vertrauensfrage stellen. Wie lange ist Deutschland dann noch gelähmt?
Lindner: Je später der Wahltermin ist, desto länger dauert es, bis zum Beispiel der Deutsche Bundestag einen Haushalt für das Jahr 2025 beschließen kann. Die sogenannte vorläufige Haushaltsführung sorgt natürlich dafür, dass die zentralen Staatsfunktionen erfüllt werden, also z.B. die Rente ausgezahlt wird. Aber all das, was zusätzlich unser Land jetzt braucht – eine Wirtschaftswende, damit wir Wachstum bekommen, damit wir Beschäftigung, Jobs also sichern, dass wir das Land modernisieren – das unterbleibt. Und das ist eine sehr schlechte Nachricht.
Frage: Die Ampel hat dauernd gestritten und blockiert. Sind Sie zu spät ausgestiegen?
Lindner: Den Vorwurf werden mir viele machen, dass ich zu lange an der Ampel festgehalten habe. Aber mit staatspolitischer Verantwortung spielt man nicht. Kompromissfähigkeit muss gewährleistet bleiben in der Demokratie. Und insofern übernehme ich die Verantwortung dafür, dass die FDP es immer wieder neu versucht hat, dass wir Hoffnungen hatten, dass das, was wir erreichen können, in der Regierung besser ist, als keine Verantwortung zu tragen.
Frage: Wann war Ihnen klar, dass die Ampel scheitern wird?
Lindner: Schon seit längerer Zeit war jedem klar, dass die Ampel über die nächste Bundestagswahl hinaus keine Zukunft hat, weil sie in zunehmendem Maße sich entfernt hat, von dem, was das Land braucht. (...) Aber in den letzten wenigen Tagen und Stunden wurde ja ganz offensichtlich deutlich, dass es nicht mehr die gemeinsame Basis gab.
Frage: Werden Sie bei den Neuwahlen als Spitzenkandidat antreten?
Lindner: Ich werde mich bei meiner Partei darum bewerben, sie in die nächste Bundestagswahl zu führen. Das Ziel unserer Wahlkampagne wird sein, dass die FDP weiter für die Modernisierung unseres Landes arbeitet. Und um es kurz zu sagen: Ich will auch weiter die Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verteidigen. Ich will weiter eintreten für stabile Finanzen und Generationengerechtigkeit. (...) Klares Ziel ist auch, wieder Finanzminister zu werden. Ich habe mich heute von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch deshalb nicht mit Lebewohl, sondern mit ‚Auf Wiedersehen‘ verabschiedet.
Frage: Für dieses Ziel bräuchten Sie aber bei der Wahl sechs bis sieben Prozent, die Union 38 oder 39 Prozent. Ist das realistisch?
Lindner: Ich mache jetzt keine Koalitionsaussagen. Die FDP geht eigenständig in die Wahl. Klar ist, dass die Regierung Scholz zu Ende ist und dass unser Land einen neuen Aufbruch braucht. In Wahrheit stellt sich möglicherweise die Frage, ob es eine Zusammenarbeit von Friedrich Merz mit Robert Habeck oder mit Christian Lindner gibt.
Frage: Müssten Sie dazu nicht die Fraktionsführung übernehmen?
Lindner: Nein, ich will ja in der nächsten Regierung wieder mitwirken. Deshalb wäre es ja nicht sinnvoll, jetzt den Fraktionsvorsitz zu übernehmen.
Frage: Sprechen Sie und Olaf Scholz miteinander?
Lindner: Wir hatten bislang keine weitere Gelegenheit. Ich bin enttäuscht, dass Olaf Scholz diesen Schwebezustand in unserem Land, diese Handlungsunfähigkeit der Regierung in Kauf nimmt, nur um jetzt noch einige Zeit als Bundeskanzler Wahlkampf machen zu können. Das habe ich anders eingeschätzt.
Frage: Fühlen Sie sich beleidigt?
Lindner: Wir treffen jetzt eine politische Entscheidung für unser Land. Welchen Kurs fährt Deutschland? Aber gegenwärtig geht es auch um mehr. Es geht auch um eine Stilfrage in der Politik. (...) Demokratinnen und Demokraten sollten miteinander stilvoll und würdevoll, respektvoll umgehen. Denn das macht eine politische Kultur aus.
Frage: Aber wie stilvoll war denn dann eigentlich der Abgang Ihres Ex-Parteifreundes und noch amtierenden Verkehrsministers Wissing?
Lindner: Den habe ich zur Kenntnis genommen. Es ist seine persönliche politische Entscheidung. Ich habe ihm rein menschlich alles Gute gewünscht. Und jetzt gibt es einen Weg.
Frage: Wie eng arbeiten Sie bereits mit CDU-Chef Merz zusammen?
Lindner: Wir haben auch einen Kontakt miteinander gepflegt, als ich Regierungsmitglied war und er Oppositionsführer. So haben wir jetzt auch einen Austausch. Es gibt keine Koalition in der Opposition. Aber wir haben jetzt eine völlig neue Situation im Deutschen Bundestag, nämlich freie Fraktionen und keine Regierungsmehrheit. Insofern hat die Regierung die Herausforderung, sollte sie Vorhaben noch einbringen, dafür eine Mehrheit zu organisieren mit guten Argumenten. Und umgekehrt kann auch aus der Mitte des Parlaments heraus ein politischer Wille beschrieben werden. Das ist eine für unser Land neue Situation, mit der wir jetzt umgehen müssen – und lernen müssen, wie wir mit ihr umgehen.
Frage: Als Finanzminister hatten Sie noch ein großes Steuerpaket auf den Weg gebracht. Glauben Sie, Rot-Grün winkt das jetzt noch durch?
Lindner: Das weiß ich nicht. Ich weiß, dass es teilweise Vorbehalte gegen die Entlastung der arbeitenden Mitte gegeben hat. Deshalb gab es ja auch eine Weigerung, die Beseitigung der kalten Progression schon ins Gesetzblatt zu bringen. Auch während der Gespräche der vergangenen Tage wurde immer wieder ins Gespräch gebracht, auch möglicherweise zu verzichten auf die Entlastung der arbeitenden Mitte, um das Haushaltsloch zu reduzieren. (…) Mein Appell an SPD und Grüne ist, das noch zu ermöglichen. Denn es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass die Menschen, auf deren Schultern unser ganzer Staat steht, dass die nicht auch noch inflationsbedingte Steuererhöhungen tragen müssen.
LINDNER-Interview: Ich will weiter eintreten für stabile Finanzen und Generationengerechtigkeit
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner MdB gab der „Bild“ (Freitag-Ausgabe) und „Bild.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Robert Schneider, Jan Schäfer und Burkhard Uhlenbroich:
Frage: Herr Minister a. D., Sie haben gerade vom Bundespräsidenten Ihre Entlassungsurkunde erhalten. Sind Sie erleichtert oder wütend?
Lindner: Nein, ich bin nicht erleichtert. Ich hätte mir für unser Land eine andere Entwicklung natürlich gewünscht. Wir haben jetzt eine Phase der Unsicherheit, eine Regierung, die im Amt ist, aber die über keine Mehrheit im Parlament verfügt. Die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ist deshalb eingeschränkt. Ich hatte (...) dem Bundeskanzler vorgeschlagen, dass wir gemeinsam in Würde geordnet und unter Beibehaltung der Handlungsfähigkeit der Regierung schnellstmöglich im Januar zu Neuwahlen kommen. (...) Das ist brüsk abgelehnt worden. Wir wissen jetzt, warum. Der gestrige Abend war bereits der Beginn des Wahlkampfs von Olaf Scholz.
Frage: Haben Sie bei Ihrer heutigen Pressekonferenz mit den Tränen gekämpft?
Lindner: Ich war an einem Punkt schon angefasst, als ich mich nämlich erinnert habe, was mich in den letzten Wochen und Monaten wirklich an den Rand meiner Kräfte gebracht hat. Nämlich: Wenn Menschen, die in Sorge sind um ihren Arbeitsplatz oder aufgebrachte Handwerksunternehmer, wenn die sagen: Was macht ihr jetzt in der Regierung, damit mein Arbeitsplatz sicher ist, mein Betrieb funktioniert? Denen immer nur sagen zu müssen, wie begrenzt die Möglichkeiten in dieser Regierung sind, es ist so schwierig – das hat mir schon sehr zugesetzt.
Frage: Kanzler Scholz will erst am 15. Januar die Vertrauensfrage stellen. Wie lange ist Deutschland dann noch gelähmt?
Lindner: Je später der Wahltermin ist, desto länger dauert es, bis zum Beispiel der Deutsche Bundestag einen Haushalt für das Jahr 2025 beschließen kann. Die sogenannte vorläufige Haushaltsführung sorgt natürlich dafür, dass die zentralen Staatsfunktionen erfüllt werden, also z.B. die Rente ausgezahlt wird. Aber all das, was zusätzlich unser Land jetzt braucht – eine Wirtschaftswende, damit wir Wachstum bekommen, damit wir Beschäftigung, Jobs also sichern, dass wir das Land modernisieren – das unterbleibt. Und das ist eine sehr schlechte Nachricht.
Frage: Die Ampel hat dauernd gestritten und blockiert. Sind Sie zu spät ausgestiegen?
Lindner: Den Vorwurf werden mir viele machen, dass ich zu lange an der Ampel festgehalten habe. Aber mit staatspolitischer Verantwortung spielt man nicht. Kompromissfähigkeit muss gewährleistet bleiben in der Demokratie. Und insofern übernehme ich die Verantwortung dafür, dass die FDP es immer wieder neu versucht hat, dass wir Hoffnungen hatten, dass das, was wir erreichen können, in der Regierung besser ist, als keine Verantwortung zu tragen.
Frage: Wann war Ihnen klar, dass die Ampel scheitern wird?
Lindner: Schon seit längerer Zeit war jedem klar, dass die Ampel über die nächste Bundestagswahl hinaus keine Zukunft hat, weil sie in zunehmendem Maße sich entfernt hat, von dem, was das Land braucht. (...) Aber in den letzten wenigen Tagen und Stunden wurde ja ganz offensichtlich deutlich, dass es nicht mehr die gemeinsame Basis gab.
Frage: Werden Sie bei den Neuwahlen als Spitzenkandidat antreten?
Lindner: Ich werde mich bei meiner Partei darum bewerben, sie in die nächste Bundestagswahl zu führen. Das Ziel unserer Wahlkampagne wird sein, dass die FDP weiter für die Modernisierung unseres Landes arbeitet. Und um es kurz zu sagen: Ich will auch weiter die Interessen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler verteidigen. Ich will weiter eintreten für stabile Finanzen und Generationengerechtigkeit. (...) Klares Ziel ist auch, wieder Finanzminister zu werden. Ich habe mich heute von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch deshalb nicht mit Lebewohl, sondern mit ‚Auf Wiedersehen‘ verabschiedet.
Frage: Für dieses Ziel bräuchten Sie aber bei der Wahl sechs bis sieben Prozent, die Union 38 oder 39 Prozent. Ist das realistisch?
Lindner: Ich mache jetzt keine Koalitionsaussagen. Die FDP geht eigenständig in die Wahl. Klar ist, dass die Regierung Scholz zu Ende ist und dass unser Land einen neuen Aufbruch braucht. In Wahrheit stellt sich möglicherweise die Frage, ob es eine Zusammenarbeit von Friedrich Merz mit Robert Habeck oder mit Christian Lindner gibt.
Frage: Müssten Sie dazu nicht die Fraktionsführung übernehmen?
Lindner: Nein, ich will ja in der nächsten Regierung wieder mitwirken. Deshalb wäre es ja nicht sinnvoll, jetzt den Fraktionsvorsitz zu übernehmen.
Frage: Sprechen Sie und Olaf Scholz miteinander?
Lindner: Wir hatten bislang keine weitere Gelegenheit. Ich bin enttäuscht, dass Olaf Scholz diesen Schwebezustand in unserem Land, diese Handlungsunfähigkeit der Regierung in Kauf nimmt, nur um jetzt noch einige Zeit als Bundeskanzler Wahlkampf machen zu können. Das habe ich anders eingeschätzt.
Frage: Fühlen Sie sich beleidigt?
Lindner: Wir treffen jetzt eine politische Entscheidung für unser Land. Welchen Kurs fährt Deutschland? Aber gegenwärtig geht es auch um mehr. Es geht auch um eine Stilfrage in der Politik. (...) Demokratinnen und Demokraten sollten miteinander stilvoll und würdevoll, respektvoll umgehen. Denn das macht eine politische Kultur aus.
Frage: Aber wie stilvoll war denn dann eigentlich der Abgang Ihres Ex-Parteifreundes und noch amtierenden Verkehrsministers Wissing?
Lindner: Den habe ich zur Kenntnis genommen. Es ist seine persönliche politische Entscheidung. Ich habe ihm rein menschlich alles Gute gewünscht. Und jetzt gibt es einen Weg.
Frage: Wie eng arbeiten Sie bereits mit CDU-Chef Merz zusammen?
Lindner: Wir haben auch einen Kontakt miteinander gepflegt, als ich Regierungsmitglied war und er Oppositionsführer. So haben wir jetzt auch einen Austausch. Es gibt keine Koalition in der Opposition. Aber wir haben jetzt eine völlig neue Situation im Deutschen Bundestag, nämlich freie Fraktionen und keine Regierungsmehrheit. Insofern hat die Regierung die Herausforderung, sollte sie Vorhaben noch einbringen, dafür eine Mehrheit zu organisieren mit guten Argumenten. Und umgekehrt kann auch aus der Mitte des Parlaments heraus ein politischer Wille beschrieben werden. Das ist eine für unser Land neue Situation, mit der wir jetzt umgehen müssen – und lernen müssen, wie wir mit ihr umgehen.
Frage: Als Finanzminister hatten Sie noch ein großes Steuerpaket auf den Weg gebracht. Glauben Sie, Rot-Grün winkt das jetzt noch durch?
Lindner: Das weiß ich nicht. Ich weiß, dass es teilweise Vorbehalte gegen die Entlastung der arbeitenden Mitte gegeben hat. Deshalb gab es ja auch eine Weigerung, die Beseitigung der kalten Progression schon ins Gesetzblatt zu bringen. Auch während der Gespräche der vergangenen Tage wurde immer wieder ins Gespräch gebracht, auch möglicherweise zu verzichten auf die Entlastung der arbeitenden Mitte, um das Haushaltsloch zu reduzieren. (…) Mein Appell an SPD und Grüne ist, das noch zu ermöglichen. Denn es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass die Menschen, auf deren Schultern unser ganzer Staat steht, dass die nicht auch noch inflationsbedingte Steuererhöhungen tragen müssen.