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12.11.2023 - 11:15WISSING-Interview: Das Deutschlandticket ist eine nie dagewesene Chance für den Öffentlichen Nahverkehr.
FDP-Präsidiumsmitglied und Bundesminister für Digitales und Verkehr Dr. Volker Wissing gab den Zeitungen der Funke Mediengruppe das folgende Interview. Die Fragen stellten Dominik Bath und Jochen Gaugele:
Frage: Wie lange gibt es das Deutschlandticket noch, Herr Wissing?
Wissing: Das entscheiden letztlich die Bürgerinnen und Bürger, die es nutzen. Aktuell sind das bereits über elf Millionen Menschen. Das Deutschlandticket ist eine nie dagewesene Chance für den Öffentlichen Nahverkehr und viel mehr als nur ein Tarif. Ich verstehe nicht, warum andere dieses Ticket ständig infrage stellen. Die Debatte ist kontraproduktiv und hat viel Schaden angerichtet.
Frage: Fünf Jahre – würden Sie darauf wetten?
Wissing: Wer sollte denn auf ein solch einfaches, unkompliziertes Angebot verzichteten wollen? Ich bin mir sehr sicher, dass das Deutschlandticket in fünf Jahren noch da ist. Um seine volle Kraft auszuschöpfen, müssen es die Länder natürlich weiterentwickeln. Dazu gehört, dass das Angebot größer und digitaler werden muss. Besonders im ländlichen Raum gibt es noch viel ungenutztes Potenzial, gerade in Kombination mit anderen Verkehrsmitteln.
Frage: Die Länder pochen auf mehr Geld vom Bund, um das 49-Euro-Ticket zu finanzieren.
Wissing: Die Finanzfragen sind geklärt. Bund und Länder sind sich einig über die Finanzierung. Es gibt nur einzelne Verkehrsminister, die anderer Meinung sind als ihre Ministerpräsidenten, darunter die grünen Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Das müssen sie intern klären. Vereinbart ist, dass Bund und Länder 2023 und 2024 jeweils 1,5 Milliarden Euro beisteuern. Für das Einführungsjahr 2023 gibt es eine Nachschusspflicht des Bundes, für 2024 wurde diese von der Ministerpräsidentenkonferenz mehrfach ausgeschlossen. Bis spätestens 1. Mai 2024 haben die Länder den Auftrag, Vorschläge zu machen, wie sich der Ticketpreis unter den gesetzten finanziellen Rahmenbedingungen künftig gestaltet.
Frage: Wie teuer wird das Ticket?
Wissing: Für die Preisgestaltung des Tickets sind zunächst die Länder zuständig. Sie müssen daran arbeiten, dass der Preis so niedrig wie möglich bleibt. Das bedeutet: Kräftig digitalisieren und Strukturen verschlanken, damit die Kosten sinken.
Frage: Welchen Preis halten Sie für vertretbar?
Wissing: 49 Euro sind der Einführungspreis. Die Aufgabe der Länder ist es, das Deutschlandticket in der Einführungsphase kräftig zu bewerben. Denn je mehr Kunden gewonnen werden, desto attraktiver kann auch der Preis sein. Ich hätte mir gewünscht, dass die Länder mehr Werbung für das Ticket machen. Stattdessen schaffen einige sogar noch regionale Konkurrenzprodukte wie das 29-Euro-Ticket in Berlin. Andere stellen das Deutschlandticket infrage und behaupten ständig, die Finanzierung sei nicht geklärt.
Frage: Wären 69 Euro noch attraktiv?
Wissing: Diese Frage hat mir niemand gestellt, als die Monatskarten in Berlin über 80 Euro und auf dem Land zum Teil 250 Euro oder mehr gekostet haben. Ich kann diese Debatte nicht nachvollziehen.
Frage: Der Bahnverkehr könnte bald erheblich eingeschränkt sein. In den Tarifverhandlungen droht die Lokführergewerkschaft mit Streik – auch zur Weihnachtszeit. Wie bewerten Sie das?
Wissing: Weihnachten gilt als die Zeit des Friedens – darüber sollten sich alle Tarifparteien Gedanken machen. Gerade an Weihnachten ist Mobilität für Menschen enorm wichtig. Sie wollen ihre Verwandten und Freunde besuchen. Viele entscheiden sich dabei ganz bewusst für das Reisen mit der klimafreundlichen Bahn. Unter dem Eindruck der Tarifverhandlungen, die in diesem Jahr geführt wurden, kann ich nur an alle Tarifparteien appellieren, sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst zu sein und mögliche Maßnahmen so zu gestalten, dass Menschen nicht darunter leiden müssen.
Frage: Viele würden auf die Straße ausweichen, was nicht nur Nachteile für den Klimaschutz, sondern auch bei der Sicherheit bringt. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die Zahl der tödlichen Unfälle wieder zunimmt - gerade auch unter Alkoholeinfluss. Wird es Zeit, die Null-Promille-Grenze einzuführen?
Wissing: Alkohol und Straßenverkehr passen nicht zusammen, daher gilt: Don’t drink and drive!
Frage: Also null Promille?
Wissing: Die Unfälle passieren zumeist nicht im niedrigen Promillebereich. Für Fahranfänger zwischen 17 und 21 Jahren gibt es bereits ein komplettes Alkoholverbot, und für alle anderen gelten 0,5 Promille. Ich sehe keine Notwendigkeit, daran etwas zu ändern.
Frage: Sie verpassen die Chance, ein Signal zu setzen.
Wissing: Es gibt das klare Gebot, auf Alkohol zu verzichten, wenn man Auto fährt. Die Frage ist, ab welcher Grenze der Staat das nicht mehr in die Verantwortung seiner Bürger legen kann, sondern mit Strafmaßnahmen eingreifen muss. Der Staat braucht immer eine Begründung, um Dinge zu sanktionieren. Wir können ohnehin niemals einen perfekten Gesetzeskatalog für ein rechtschaffenes Leben erstellen. Ohne Eigenverantwortung funktioniert eine Gesellschaft nicht.
Frage: Die EU-Kommission will die Zahl der Verkehrstoten bis 2050 auf Null bringen – und dazu die Fahrtauglichkeit von Menschen über 70 Jahren regelmäßig überprüfen. Was spricht eigentlich dagegen?
Wissing: Vieles. Die Unfallstatistik verzeichnet in dieser Altersgruppe keine signifikanten Zahlen bei schweren Unfällen. Viele ältere Menschen leben auf dem Land. Für sie ist ein selbstbestimmtes Leben ohne Auto schwer möglich.
Frage: Es gibt dazu ganz unterschiedliche Statistiken. Die Unfallforschung der Versicherer hat herausgefunden, dass Senioren ein ähnlich hohes Unfallrisiko haben wie Fahranfänger.
Wissing: Senioren fahren in aller Regel nicht Hunderte Kilometer über die Autobahn. Viele nutzen das Auto, um den Supermarkt oder den Arzt im Nachbarort zu besuchen. Prüfungen auf Fahrtauglichkeit enthalten aber Aufgaben wie eine Fahrt von Berlin nach Hamburg. Das ist der objektive Maßstab. Ich halte eine Prüfung, wie sie der EU-Kommission vorschwebt, nicht für verhältnismäßig.
Frage: Sie wollen die europäische Verkehrsrichtlinie also stoppen.
Wissing: Ich will keine verpflichtenden Tauglichkeitsprüfungen für Autofahrer über 70, und ich bin zuversichtlich, dass sich dafür in der EU auch keine Mehrheit finden wird. Ich wehre mich dagegen, dass der Einzelne immer mehr zum Objekt gemacht wird, der sich Zwangsuntersuchungen unterziehen und nach Vorschriftskatalog seinen Alltag gestalten muss. Das entspricht nicht meinem Bild von Menschenwürde. Es macht unsere Gesellschaft unmenschlicher, wenn wir mit dieser Härte eingreifen. Ich traue den Senioren schon zu, dass sie sich ohne staatliche Vorgaben und bürokratische Kontrolle mit ihrer Gesundheit auseinandersetzen. Und es ist auch eine Verantwortung des Umfelds, von Kindern, Verwandten und Nachbarn, mit alten Menschen über das Autofahren zu sprechen.
Frage: Eine ganz andere Sicherheitsfrage stellt sich an deutschen Flughäfen: In Hamburg durchbricht ein Geiselnehmer das Tor zum Rollfeld, andernorts kleben sich Klimaaktivisten fest. Was unternehmen Sie dagegen?
Wissing: Wir haben bereits heute ein sehr hohes Sicherheitsniveau an unseren Flughäfen. Die Sicherung entspricht allen internationalen Standards und übererfüllt sie zum Teil sogar. Gleichzeitig müssen wir kontinuierlich unsere Sicherheitsmaßnahmen überprüfen. Wo sich potenzielle Sicherheitslücken zeigen, müssen wir sie schließen. Auch für die Abschreckung wollen wir mehr tun: Die Strafen für das Eindringen in den Sicherheitsbereich von Flughäfen sind zu niedrig. Nach bisheriger Rechtslage wird das lediglich als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 10.000 Euro geahndet. Das ist eine echte Gesetzeslücke. Ich habe – gemeinsam mit Justizminister Buschmann – Innenministerin Faeser gebeten, einen Vorschlag für eine Änderung des Luftsicherheitsgesetzes zu machen. Wer vorsätzlich auf das Gelände eines Flughafens vordringt, gefährdet die Sicherheit von Menschen und richtet einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden an. Das muss künftig als Straftat verfolgt werden. Hierfür müsste es nach meiner Vorstellung eigentlich eine Freiheitsstrafe geben, mindestens aber eine empfindliche Geldstrafe.
Frage: Was hat die Innenministerin geantwortet?
Wissing: Dass sie diese Initiative gerne aufgreift. Das Schreiben von Nancy Faeser ist gerade eingetroffen. Jetzt kommt es darauf an, keine Zeit zu verlieren und das Luftsicherheitsgesetz rasch anzupassen. Es ist keine Bagatelle, mal eben den Flugbetrieb lahmzulegen. Das kann man nicht mit einer Geldbuße abtun.
Frage: Gefängnisstrafen mögen Klimakleber abschrecken – aber wie wollen Sie Vorfälle wie in Hamburg verhindern?
Wissing: Infrastrukturen müssen so sicher wie möglich sein. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie – auch nicht an Flughäfen. Was jetzt in Hamburg passiert ist, muss Anlass für alle Flughafenbetreiber sein, die eigenen Sicherheitskonzepte zu überprüfen und nachzusteuern, wenn es Verbesserungsmöglichkeiten gibt. In Hamburg musste der Geiselnehmer nur eine Schranke durchbrechen, um auf das Rollfeld zu gelangen. Das kann nicht sein. Ein richtiger Schritt vom Hamburger Flughafen ist es, das Sicherheitskonzept zu überarbeiten und sofort mit baulichen Maßnahmen die erkannte Lücke zu schließen.
WISSING-Interview: Das Deutschlandticket ist eine nie dagewesene Chance für den Öffentlichen Nahverkehr.
FDP-Präsidiumsmitglied und Bundesminister für Digitales und Verkehr Dr. Volker Wissing gab den Zeitungen der Funke Mediengruppe das folgende Interview. Die Fragen stellten Dominik Bath und Jochen Gaugele:
Frage: Wie lange gibt es das Deutschlandticket noch, Herr Wissing?
Wissing: Das entscheiden letztlich die Bürgerinnen und Bürger, die es nutzen. Aktuell sind das bereits über elf Millionen Menschen. Das Deutschlandticket ist eine nie dagewesene Chance für den Öffentlichen Nahverkehr und viel mehr als nur ein Tarif. Ich verstehe nicht, warum andere dieses Ticket ständig infrage stellen. Die Debatte ist kontraproduktiv und hat viel Schaden angerichtet.
Frage: Fünf Jahre – würden Sie darauf wetten?
Wissing: Wer sollte denn auf ein solch einfaches, unkompliziertes Angebot verzichteten wollen? Ich bin mir sehr sicher, dass das Deutschlandticket in fünf Jahren noch da ist. Um seine volle Kraft auszuschöpfen, müssen es die Länder natürlich weiterentwickeln. Dazu gehört, dass das Angebot größer und digitaler werden muss. Besonders im ländlichen Raum gibt es noch viel ungenutztes Potenzial, gerade in Kombination mit anderen Verkehrsmitteln.
Frage: Die Länder pochen auf mehr Geld vom Bund, um das 49-Euro-Ticket zu finanzieren.
Wissing: Die Finanzfragen sind geklärt. Bund und Länder sind sich einig über die Finanzierung. Es gibt nur einzelne Verkehrsminister, die anderer Meinung sind als ihre Ministerpräsidenten, darunter die grünen Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Das müssen sie intern klären. Vereinbart ist, dass Bund und Länder 2023 und 2024 jeweils 1,5 Milliarden Euro beisteuern. Für das Einführungsjahr 2023 gibt es eine Nachschusspflicht des Bundes, für 2024 wurde diese von der Ministerpräsidentenkonferenz mehrfach ausgeschlossen. Bis spätestens 1. Mai 2024 haben die Länder den Auftrag, Vorschläge zu machen, wie sich der Ticketpreis unter den gesetzten finanziellen Rahmenbedingungen künftig gestaltet.
Frage: Wie teuer wird das Ticket?
Wissing: Für die Preisgestaltung des Tickets sind zunächst die Länder zuständig. Sie müssen daran arbeiten, dass der Preis so niedrig wie möglich bleibt. Das bedeutet: Kräftig digitalisieren und Strukturen verschlanken, damit die Kosten sinken.
Frage: Welchen Preis halten Sie für vertretbar?
Wissing: 49 Euro sind der Einführungspreis. Die Aufgabe der Länder ist es, das Deutschlandticket in der Einführungsphase kräftig zu bewerben. Denn je mehr Kunden gewonnen werden, desto attraktiver kann auch der Preis sein. Ich hätte mir gewünscht, dass die Länder mehr Werbung für das Ticket machen. Stattdessen schaffen einige sogar noch regionale Konkurrenzprodukte wie das 29-Euro-Ticket in Berlin. Andere stellen das Deutschlandticket infrage und behaupten ständig, die Finanzierung sei nicht geklärt.
Frage: Wären 69 Euro noch attraktiv?
Wissing: Diese Frage hat mir niemand gestellt, als die Monatskarten in Berlin über 80 Euro und auf dem Land zum Teil 250 Euro oder mehr gekostet haben. Ich kann diese Debatte nicht nachvollziehen.
Frage: Der Bahnverkehr könnte bald erheblich eingeschränkt sein. In den Tarifverhandlungen droht die Lokführergewerkschaft mit Streik – auch zur Weihnachtszeit. Wie bewerten Sie das?
Wissing: Weihnachten gilt als die Zeit des Friedens – darüber sollten sich alle Tarifparteien Gedanken machen. Gerade an Weihnachten ist Mobilität für Menschen enorm wichtig. Sie wollen ihre Verwandten und Freunde besuchen. Viele entscheiden sich dabei ganz bewusst für das Reisen mit der klimafreundlichen Bahn. Unter dem Eindruck der Tarifverhandlungen, die in diesem Jahr geführt wurden, kann ich nur an alle Tarifparteien appellieren, sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst zu sein und mögliche Maßnahmen so zu gestalten, dass Menschen nicht darunter leiden müssen.
Frage: Viele würden auf die Straße ausweichen, was nicht nur Nachteile für den Klimaschutz, sondern auch bei der Sicherheit bringt. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die Zahl der tödlichen Unfälle wieder zunimmt - gerade auch unter Alkoholeinfluss. Wird es Zeit, die Null-Promille-Grenze einzuführen?
Wissing: Alkohol und Straßenverkehr passen nicht zusammen, daher gilt: Don’t drink and drive!
Frage: Also null Promille?
Wissing: Die Unfälle passieren zumeist nicht im niedrigen Promillebereich. Für Fahranfänger zwischen 17 und 21 Jahren gibt es bereits ein komplettes Alkoholverbot, und für alle anderen gelten 0,5 Promille. Ich sehe keine Notwendigkeit, daran etwas zu ändern.
Frage: Sie verpassen die Chance, ein Signal zu setzen.
Wissing: Es gibt das klare Gebot, auf Alkohol zu verzichten, wenn man Auto fährt. Die Frage ist, ab welcher Grenze der Staat das nicht mehr in die Verantwortung seiner Bürger legen kann, sondern mit Strafmaßnahmen eingreifen muss. Der Staat braucht immer eine Begründung, um Dinge zu sanktionieren. Wir können ohnehin niemals einen perfekten Gesetzeskatalog für ein rechtschaffenes Leben erstellen. Ohne Eigenverantwortung funktioniert eine Gesellschaft nicht.
Frage: Die EU-Kommission will die Zahl der Verkehrstoten bis 2050 auf Null bringen – und dazu die Fahrtauglichkeit von Menschen über 70 Jahren regelmäßig überprüfen. Was spricht eigentlich dagegen?
Wissing: Vieles. Die Unfallstatistik verzeichnet in dieser Altersgruppe keine signifikanten Zahlen bei schweren Unfällen. Viele ältere Menschen leben auf dem Land. Für sie ist ein selbstbestimmtes Leben ohne Auto schwer möglich.
Frage: Es gibt dazu ganz unterschiedliche Statistiken. Die Unfallforschung der Versicherer hat herausgefunden, dass Senioren ein ähnlich hohes Unfallrisiko haben wie Fahranfänger.
Wissing: Senioren fahren in aller Regel nicht Hunderte Kilometer über die Autobahn. Viele nutzen das Auto, um den Supermarkt oder den Arzt im Nachbarort zu besuchen. Prüfungen auf Fahrtauglichkeit enthalten aber Aufgaben wie eine Fahrt von Berlin nach Hamburg. Das ist der objektive Maßstab. Ich halte eine Prüfung, wie sie der EU-Kommission vorschwebt, nicht für verhältnismäßig.
Frage: Sie wollen die europäische Verkehrsrichtlinie also stoppen.
Wissing: Ich will keine verpflichtenden Tauglichkeitsprüfungen für Autofahrer über 70, und ich bin zuversichtlich, dass sich dafür in der EU auch keine Mehrheit finden wird. Ich wehre mich dagegen, dass der Einzelne immer mehr zum Objekt gemacht wird, der sich Zwangsuntersuchungen unterziehen und nach Vorschriftskatalog seinen Alltag gestalten muss. Das entspricht nicht meinem Bild von Menschenwürde. Es macht unsere Gesellschaft unmenschlicher, wenn wir mit dieser Härte eingreifen. Ich traue den Senioren schon zu, dass sie sich ohne staatliche Vorgaben und bürokratische Kontrolle mit ihrer Gesundheit auseinandersetzen. Und es ist auch eine Verantwortung des Umfelds, von Kindern, Verwandten und Nachbarn, mit alten Menschen über das Autofahren zu sprechen.
Frage: Eine ganz andere Sicherheitsfrage stellt sich an deutschen Flughäfen: In Hamburg durchbricht ein Geiselnehmer das Tor zum Rollfeld, andernorts kleben sich Klimaaktivisten fest. Was unternehmen Sie dagegen?
Wissing: Wir haben bereits heute ein sehr hohes Sicherheitsniveau an unseren Flughäfen. Die Sicherung entspricht allen internationalen Standards und übererfüllt sie zum Teil sogar. Gleichzeitig müssen wir kontinuierlich unsere Sicherheitsmaßnahmen überprüfen. Wo sich potenzielle Sicherheitslücken zeigen, müssen wir sie schließen. Auch für die Abschreckung wollen wir mehr tun: Die Strafen für das Eindringen in den Sicherheitsbereich von Flughäfen sind zu niedrig. Nach bisheriger Rechtslage wird das lediglich als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße bis zu 10.000 Euro geahndet. Das ist eine echte Gesetzeslücke. Ich habe – gemeinsam mit Justizminister Buschmann – Innenministerin Faeser gebeten, einen Vorschlag für eine Änderung des Luftsicherheitsgesetzes zu machen. Wer vorsätzlich auf das Gelände eines Flughafens vordringt, gefährdet die Sicherheit von Menschen und richtet einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden an. Das muss künftig als Straftat verfolgt werden. Hierfür müsste es nach meiner Vorstellung eigentlich eine Freiheitsstrafe geben, mindestens aber eine empfindliche Geldstrafe.
Frage: Was hat die Innenministerin geantwortet?
Wissing: Dass sie diese Initiative gerne aufgreift. Das Schreiben von Nancy Faeser ist gerade eingetroffen. Jetzt kommt es darauf an, keine Zeit zu verlieren und das Luftsicherheitsgesetz rasch anzupassen. Es ist keine Bagatelle, mal eben den Flugbetrieb lahmzulegen. Das kann man nicht mit einer Geldbuße abtun.
Frage: Gefängnisstrafen mögen Klimakleber abschrecken – aber wie wollen Sie Vorfälle wie in Hamburg verhindern?
Wissing: Infrastrukturen müssen so sicher wie möglich sein. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie – auch nicht an Flughäfen. Was jetzt in Hamburg passiert ist, muss Anlass für alle Flughafenbetreiber sein, die eigenen Sicherheitskonzepte zu überprüfen und nachzusteuern, wenn es Verbesserungsmöglichkeiten gibt. In Hamburg musste der Geiselnehmer nur eine Schranke durchbrechen, um auf das Rollfeld zu gelangen. Das kann nicht sein. Ein richtiger Schritt vom Hamburger Flughafen ist es, das Sicherheitskonzept zu überarbeiten und sofort mit baulichen Maßnahmen die erkannte Lücke zu schließen.