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03.11.2023 - 09:08LINDNER-Gastbeitrag: Die Schuldenbremse hat eine höhere Weisheit
Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen Christian Lindner schrieb für „Spiegel Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Es ist inzwischen ritualisiert. Die Schuldenbremse sei aus der Zeit gefallen, sei immer schon orthodox gewesen, sei parteipolitischer Fetisch, behindere die Zukunft, werde nur noch von Reaktionären verteidigt und sei gegenwärtig ohnehin unanwendbar. Die Leserinnen und Leser des SPIEGEL kennen diesen Sound.
Seit mindestens zwei Jahren vertreten Autoren wie Gerald Traufetter, Michael Sauga, Thomas Fricke und andere diese Position. Das ist ihr gutes Recht. Für die Leserinnen und Leser des SPIEGEL ist es aber bedauerlich, denn andere Einschätzungen werden weit weniger argumentiert. Ich nenne daher sechs Gründe für die Schuldenbremse und gegen ihre Aufweichung oder Abschaffung.
Man mag es bedauern oder begrüßen, aber die Achtung der Fiskalregeln liegt nicht im Ermessen des Finanzministers oder der Haushaltspolitiker der Koalitionsfraktionen. Es bräuchte eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Deutschen Bundestag und im Bundesrat, um die Finanzverfassung zu ändern. Zudem gelten über diese nationalen Regeln hinaus auch noch europäische Vorgaben, die exzessive Defizite unseres Landes untersagen.
Ausnahmen von der geltenden Schuldenbremse müssen gut begründet werden – und werden vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geprüft. Um die Schuldenbremse aussetzen zu können, müssen außergewöhnliche Notlagen herrschen, die sich dem Einfluss des Staates entziehen. Herausforderungen wie etwa der Klimaschutz oder die Transformation zählen nicht dazu. Sie sind strukturelle und langfristige Aufgaben, die der Staat planvoll in seiner Finanzpolitik abbilden kann.
Dafür müssen Mittel umgeschichtet und bisweilen unbequeme Wahrheiten akzeptiert werden, was in einer klugen Politik möglich sein muss. Deshalb halte ich schuldenfinanzierte Transformationsfonds, wie sie einige Länder auflegen, für problematisch. Verfassungsgerichte werden darüber entscheiden.
Als Finanzminister habe auch ich übrigens Ausnahmen von der Schuldenbremse begründet und beantragt: Nach dem außergewöhnlichen Energiepreisschock des vergangenen Jahres mussten die Preisbremsen finanziert werden, um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Der dafür genutzte Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds ist aber zweckgebunden und zeitlich begrenzt. Eine Umwidmung für einen dauerhaften »Industriestrompreis«, wie sie einige nun fordern, ist rechtlich ausgeschlossen.
Die Stärkung der Bundeswehr erfolgt mit einem Sonderprogramm, das im Grundgesetz verankert ist und insofern schon dadurch seinen einmaligen Ausnahmecharakter beschreibt. Es war nötig, weil in der außergewöhnlichen Situation ein schneller Aufwuchs der Verteidigungsausgaben notwendig, aber aufgrund der feststehenden Struktur des Bundeshaushalts nicht darstellbar war.
Der Etat ist ein Tanker, der sich auf langfristige Aufgaben einstellen, aber nicht ad hoc wenden kann. Auf Basis der noch von meinem Vorgänger beantragten Ausnahme im Jahr 2021 hat die Bundesregierung ganz zu Beginn als Vorhaben des Koalitionsvertrages den Klima- und Transformationsfonds einmalig mit nicht benötigten Kreditermächtigungen ausgestattet, um während der Pandemie ausgebliebene Investitionen nachzuholen. Dieses Vorgehen wurde noch von meinem Vorgänger konzipiert, ist nicht mein liebster Koalitionskompromiss, war aber verantwortbar.
Eine höhere Verschuldung engt zunehmend die Spielräume des Staates durch höhere Zinsausgaben und den von den Finanzmärkten bestimmten Grenzen der Verschuldung ein. Dies gilt umso mehr im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld, das sich in den vergangenen zwei Jahren fundamental verändert hat. Die Zinsen sind deutlich gestiegen. Manche sprechen bereits von einem »Rendite-Schock« an den Anleihemärkten. Waren im Jahr 2021 noch gut vier Milliarden Euro an Steuermitteln nötig, um die Zinslast für alte Schulden zu stemmen, müssen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in diesem Jahr nach Plan fast 40 Milliarden Euro an die internationalen Kapitalmärkte überweisen. Geld, das für andere Aufgaben fehlt.
Auf der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in Marrakesch Mitte Oktober wurde mit großer Sorge über die Einengung der fiskalischen Möglichkeiten durch Schulden diskutiert. Es ist deshalb an der Zeit, dass die Kritiker der Schuldenbremse ihre Argumente einem Update unterziehen. Denn bei steigenden Kosten für den Zins sinkt die Höhe der maximalen Staatsschulden, die noch tragbar sind. Mit steigender Schuldenquote müssten irgendwann Ausgaben gekürzt oder Steuern erhöht werden, um Zinsen zu zahlen. Das würde den Haushalt strangulieren.
Deutschland hat die fiskalische Trendwende übrigens vermutlich geschafft. Nach über 69 Prozent Schulden im Vergleich zur jährlichen Wirtschaftsleistung im Jahr 2021 sinkt die Quote in diesem Jahr auf 65 Prozent. Und das Defizit wird statt wie ursprünglich prognostiziert bei 4,25 Prozent vermutlich bei deutlich unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Daran will ich anknüpfen.
Nachhaltig solide Staatsfinanzen sichern auch unsere Glaubwürdigkeit gegenüber den Kapitalmärkten. Wenn die deutschen Anleihen weiterhin der »Goldstandard« sind, dann spart das den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern Geld. Unsere EU-Partner mit hohen und höchsten Schuldenquoten haben dagegen gegenwärtig große Sorgen. Wir sollten ihnen nicht folgen.
Oft wird behauptet, die Begrenzung der Staatsverschuldung würde zur Vernachlässigung der Infrastruktur oder anderer öffentlicher Güter führen. Dieses Argument kann man historisch und aktuell widerlegen. Im vergangenen Jahrzehnt hatte Deutschland die Schuldenbremse mit der »schwarzen Null« übererfüllt und sogar Milliarden an Rücklagen angelegt – Geld für Bundeswehr, Straßen, Schienen und digitale Netze wäre also vorhanden gewesen. Dennoch wurden diese Bereiche vernachlässigt. Umgekehrt sind im Haushaltsentwurf für 2024 mit 54 Milliarden Euro Investitionen in Rekordhöhe vorgesehen. Zum Vergleich: Im Vorkrisenjahr 2019 waren es nur gut 37 Milliarden Euro. Die Investitionsquote im Haushalt steigt von 10 auf 12 Prozent – trotz oder eben wegen der Schuldenbremse.
Tatsächlich werden wichtige Vorhaben in der Regel nicht durch mangelnde Haushaltsmittel gebremst, sondern durch Verwaltungsverfahren. Jedenfalls bleiben in jedem Jahr große Reste nicht genutzter Finanzmittel übrig. Ohnehin hilft es meist nicht, einfach mehr Geld einzuplanen. Schließlich müssen auch die Kapazitäten in einer Volkswirtschaft vorhanden sein, um die Finanzmittel in Straßen, Schienen, Netze und Energieinfrastruktur umzusetzen. Der ungestillte Appetit, immer mehr staatliche Mittel einzusetzen bei begrenzten Kapazitäten, würde Mitnahmeeffekte provozieren, Preise treiben und private Vorhaben verdrängen, weil sich alle Anbieter auf den Renditeturbo Staatshaushalt fokussieren würden.
Die Schuldenbremse ist also keine Investitionsbremse. Sie erfordert nur Entscheidungen, was dringlich und wichtig ist und was später erfolgen oder unterbleiben muss. So werden durch einen demokratischen Aushandlungsprozess die öffentlichen Mittel einer möglichst effizienten Verwendung zugeführt.
Weder höhere öffentliche Ausgaben noch ein Konjunkturprogramm auf Pump sind im aktuellen Umfeld angezeigt. Deutschland braucht höhere Investitionen, allerdings erfolgen die meisten Investitionen nicht durch den Staat, sondern im privaten Sektor. Für sie müssen wir die Rahmenbedingungen verbessern, denn Kapital wird nur dann mobilisiert, wenn es sich rentiert.
Die meisten Maßnahmen dafür kosten kein oder wenig Geld: Ein Stopp neuer Bürokratie, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, Aktivierung benötigter Fach- und Arbeitskräfte, Freihandelsabkommen oder gezielte steuerliche Anreize für Investitionen und Forschung. Auf die beliebte Forderung nach Steuererhöhungen zu verzichten, würde im Übrigen ebenfalls das Vertrauen in den Standort stärken. Wenn wir dagegen etwa die Treffsicherheit des Sozialstaats verbessern und Subventionen reduzieren würden, wären die Mittel für eine breitflächige Steuersenkung verfügbar.
Stattdessen wird argumentiert, öffentliche Ausgaben beziehungsweise ein Konjunkturprogramm auf Pump seien nötig. Tatsächlich blendet dieser Appell vollkommen die unverändert zu hohe Inflation und die begrenzten angebotsseitigen Kapazitäten aus.
Die Europäische Zentralbank bekämpft die Inflation durch höhere Zinsen. Würde der Staat mit kreditfinanzierten Ausgaben die Wirtschaft anschieben wollen, so würden wir die Politik der Notenbank konterkarieren: Während die Geldpolitik bremst, würde die staatliche Fiskalpolitik Gas geben. In der Folge würden die Zinsen weiter steigen, die schädlichen realwirtschaftlichen Nebeneffekte, die wir gerade etwa in der Baukonjunktur sehen, würden verschärft.
Nicht umsonst raten daher alle internationalen Finanzinstitutionen und die Europäische Kommission zu der moderat restriktiven Finanzpolitik, die die Bundesregierung verfolgt. Ein zusätzlicher Konjunkturimpuls hingegen würde bei angebotsseitigen Einschränkungen tendenziell nur private Aktivitäten verdrängen und die Preise erhöhen.
Er ist eine Überlebensfrage der Menschheit. Für ihn werden wir die Art unseres Lebens und Wirtschaftens nachhaltig verändern müssen. Die sogenannte »Transformation« wird deshalb vielfach bemüht, um die Schuldenbremse aufzuheben und so Finanzhilfen und Subventionen bezahlen zu können.
Der Schuldenstand unseres Staates in Euro und Cent ist nicht entscheidend. Wichtig ist das Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung. Genauer gesagt, entscheidet über die langfristige Tragfähigkeit von Staatsschulden vor allem die Entwicklung der Bevölkerung, der Produktivität, der Produktionskapazität und somit des Potentialwachstums. Der Umbau der Volkswirtschaft zur Klimaneutralität muss aber nicht zwingend positiv auf diese Faktoren wirken. Im Gegenteil: Wenn ein hochmodernes und im globalen Vergleich effizientes Kohlekraftwerk vorzeitig durch ein staatlich hochsubventioniertes Wasserstoffkraftwerk ersetzt wird, dann steigt der Schuldenstand des Staates, aber nicht das Potentialwachstum. Mithin verschlechtert sich die Schuldentragfähigkeit. In der Folge wachsen die fiskalischen Risiken – und die Zinsen wiegen schwerer.
Natürlich sind gezielte staatliche Finanzhilfen in transformativen Bereichen erforderlich. Sie sollten allerdings im Rahmen der Schuldenbremse ermöglicht werden. Grundsätzlich ist es nicht ratsam, alle Veränderungsprozesse am grünen Tisch mit staatlichen Plänen steuern und über Subventionen finanzieren zu wollen. Wir sollten stärker auf marktwirtschaftlichen Ideenwettbewerb und Erfindergeist setzen und darauf vertrauen, dass dadurch der Klimaschutz beschleunigt wird. Der CO₂-Emissionshandel ist das richtige Instrument, um deren Kraft in den Dienst der natürlichen Lebensgrundlagen zu stellen.
In einer alternden Gesellschaft, die großen Herausforderungen gegenübersteht, etwa durch geopolitische Veränderungen oder ambitionierten Klimaschutz, wird es schwer, die Wertschöpfung hochzuhalten. Umso mehr wiegt die Last der Staatsverschuldung auf den Schultern einer geringeren Zahl an wirtschaftlich aktiven Menschen. Sie würde schwerer wiegen als heute oder in der Vergangenheit.
LINDNER-Gastbeitrag: Die Schuldenbremse hat eine höhere Weisheit
Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesminister der Finanzen Christian Lindner schrieb für „Spiegel Online“ den folgenden Gastbeitrag:
Es ist inzwischen ritualisiert. Die Schuldenbremse sei aus der Zeit gefallen, sei immer schon orthodox gewesen, sei parteipolitischer Fetisch, behindere die Zukunft, werde nur noch von Reaktionären verteidigt und sei gegenwärtig ohnehin unanwendbar. Die Leserinnen und Leser des SPIEGEL kennen diesen Sound.
Seit mindestens zwei Jahren vertreten Autoren wie Gerald Traufetter, Michael Sauga, Thomas Fricke und andere diese Position. Das ist ihr gutes Recht. Für die Leserinnen und Leser des SPIEGEL ist es aber bedauerlich, denn andere Einschätzungen werden weit weniger argumentiert. Ich nenne daher sechs Gründe für die Schuldenbremse und gegen ihre Aufweichung oder Abschaffung.
Man mag es bedauern oder begrüßen, aber die Achtung der Fiskalregeln liegt nicht im Ermessen des Finanzministers oder der Haushaltspolitiker der Koalitionsfraktionen. Es bräuchte eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Deutschen Bundestag und im Bundesrat, um die Finanzverfassung zu ändern. Zudem gelten über diese nationalen Regeln hinaus auch noch europäische Vorgaben, die exzessive Defizite unseres Landes untersagen.
Ausnahmen von der geltenden Schuldenbremse müssen gut begründet werden – und werden vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geprüft. Um die Schuldenbremse aussetzen zu können, müssen außergewöhnliche Notlagen herrschen, die sich dem Einfluss des Staates entziehen. Herausforderungen wie etwa der Klimaschutz oder die Transformation zählen nicht dazu. Sie sind strukturelle und langfristige Aufgaben, die der Staat planvoll in seiner Finanzpolitik abbilden kann.
Dafür müssen Mittel umgeschichtet und bisweilen unbequeme Wahrheiten akzeptiert werden, was in einer klugen Politik möglich sein muss. Deshalb halte ich schuldenfinanzierte Transformationsfonds, wie sie einige Länder auflegen, für problematisch. Verfassungsgerichte werden darüber entscheiden.
Als Finanzminister habe auch ich übrigens Ausnahmen von der Schuldenbremse begründet und beantragt: Nach dem außergewöhnlichen Energiepreisschock des vergangenen Jahres mussten die Preisbremsen finanziert werden, um die Bürgerinnen und Bürger zu entlasten. Der dafür genutzte Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds ist aber zweckgebunden und zeitlich begrenzt. Eine Umwidmung für einen dauerhaften »Industriestrompreis«, wie sie einige nun fordern, ist rechtlich ausgeschlossen.
Die Stärkung der Bundeswehr erfolgt mit einem Sonderprogramm, das im Grundgesetz verankert ist und insofern schon dadurch seinen einmaligen Ausnahmecharakter beschreibt. Es war nötig, weil in der außergewöhnlichen Situation ein schneller Aufwuchs der Verteidigungsausgaben notwendig, aber aufgrund der feststehenden Struktur des Bundeshaushalts nicht darstellbar war.
Der Etat ist ein Tanker, der sich auf langfristige Aufgaben einstellen, aber nicht ad hoc wenden kann. Auf Basis der noch von meinem Vorgänger beantragten Ausnahme im Jahr 2021 hat die Bundesregierung ganz zu Beginn als Vorhaben des Koalitionsvertrages den Klima- und Transformationsfonds einmalig mit nicht benötigten Kreditermächtigungen ausgestattet, um während der Pandemie ausgebliebene Investitionen nachzuholen. Dieses Vorgehen wurde noch von meinem Vorgänger konzipiert, ist nicht mein liebster Koalitionskompromiss, war aber verantwortbar.
Eine höhere Verschuldung engt zunehmend die Spielräume des Staates durch höhere Zinsausgaben und den von den Finanzmärkten bestimmten Grenzen der Verschuldung ein. Dies gilt umso mehr im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld, das sich in den vergangenen zwei Jahren fundamental verändert hat. Die Zinsen sind deutlich gestiegen. Manche sprechen bereits von einem »Rendite-Schock« an den Anleihemärkten. Waren im Jahr 2021 noch gut vier Milliarden Euro an Steuermitteln nötig, um die Zinslast für alte Schulden zu stemmen, müssen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in diesem Jahr nach Plan fast 40 Milliarden Euro an die internationalen Kapitalmärkte überweisen. Geld, das für andere Aufgaben fehlt.
Auf der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in Marrakesch Mitte Oktober wurde mit großer Sorge über die Einengung der fiskalischen Möglichkeiten durch Schulden diskutiert. Es ist deshalb an der Zeit, dass die Kritiker der Schuldenbremse ihre Argumente einem Update unterziehen. Denn bei steigenden Kosten für den Zins sinkt die Höhe der maximalen Staatsschulden, die noch tragbar sind. Mit steigender Schuldenquote müssten irgendwann Ausgaben gekürzt oder Steuern erhöht werden, um Zinsen zu zahlen. Das würde den Haushalt strangulieren.
Deutschland hat die fiskalische Trendwende übrigens vermutlich geschafft. Nach über 69 Prozent Schulden im Vergleich zur jährlichen Wirtschaftsleistung im Jahr 2021 sinkt die Quote in diesem Jahr auf 65 Prozent. Und das Defizit wird statt wie ursprünglich prognostiziert bei 4,25 Prozent vermutlich bei deutlich unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Daran will ich anknüpfen.
Nachhaltig solide Staatsfinanzen sichern auch unsere Glaubwürdigkeit gegenüber den Kapitalmärkten. Wenn die deutschen Anleihen weiterhin der »Goldstandard« sind, dann spart das den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern Geld. Unsere EU-Partner mit hohen und höchsten Schuldenquoten haben dagegen gegenwärtig große Sorgen. Wir sollten ihnen nicht folgen.
Oft wird behauptet, die Begrenzung der Staatsverschuldung würde zur Vernachlässigung der Infrastruktur oder anderer öffentlicher Güter führen. Dieses Argument kann man historisch und aktuell widerlegen. Im vergangenen Jahrzehnt hatte Deutschland die Schuldenbremse mit der »schwarzen Null« übererfüllt und sogar Milliarden an Rücklagen angelegt – Geld für Bundeswehr, Straßen, Schienen und digitale Netze wäre also vorhanden gewesen. Dennoch wurden diese Bereiche vernachlässigt. Umgekehrt sind im Haushaltsentwurf für 2024 mit 54 Milliarden Euro Investitionen in Rekordhöhe vorgesehen. Zum Vergleich: Im Vorkrisenjahr 2019 waren es nur gut 37 Milliarden Euro. Die Investitionsquote im Haushalt steigt von 10 auf 12 Prozent – trotz oder eben wegen der Schuldenbremse.
Tatsächlich werden wichtige Vorhaben in der Regel nicht durch mangelnde Haushaltsmittel gebremst, sondern durch Verwaltungsverfahren. Jedenfalls bleiben in jedem Jahr große Reste nicht genutzter Finanzmittel übrig. Ohnehin hilft es meist nicht, einfach mehr Geld einzuplanen. Schließlich müssen auch die Kapazitäten in einer Volkswirtschaft vorhanden sein, um die Finanzmittel in Straßen, Schienen, Netze und Energieinfrastruktur umzusetzen. Der ungestillte Appetit, immer mehr staatliche Mittel einzusetzen bei begrenzten Kapazitäten, würde Mitnahmeeffekte provozieren, Preise treiben und private Vorhaben verdrängen, weil sich alle Anbieter auf den Renditeturbo Staatshaushalt fokussieren würden.
Die Schuldenbremse ist also keine Investitionsbremse. Sie erfordert nur Entscheidungen, was dringlich und wichtig ist und was später erfolgen oder unterbleiben muss. So werden durch einen demokratischen Aushandlungsprozess die öffentlichen Mittel einer möglichst effizienten Verwendung zugeführt.
Weder höhere öffentliche Ausgaben noch ein Konjunkturprogramm auf Pump sind im aktuellen Umfeld angezeigt. Deutschland braucht höhere Investitionen, allerdings erfolgen die meisten Investitionen nicht durch den Staat, sondern im privaten Sektor. Für sie müssen wir die Rahmenbedingungen verbessern, denn Kapital wird nur dann mobilisiert, wenn es sich rentiert.
Die meisten Maßnahmen dafür kosten kein oder wenig Geld: Ein Stopp neuer Bürokratie, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, Aktivierung benötigter Fach- und Arbeitskräfte, Freihandelsabkommen oder gezielte steuerliche Anreize für Investitionen und Forschung. Auf die beliebte Forderung nach Steuererhöhungen zu verzichten, würde im Übrigen ebenfalls das Vertrauen in den Standort stärken. Wenn wir dagegen etwa die Treffsicherheit des Sozialstaats verbessern und Subventionen reduzieren würden, wären die Mittel für eine breitflächige Steuersenkung verfügbar.
Stattdessen wird argumentiert, öffentliche Ausgaben beziehungsweise ein Konjunkturprogramm auf Pump seien nötig. Tatsächlich blendet dieser Appell vollkommen die unverändert zu hohe Inflation und die begrenzten angebotsseitigen Kapazitäten aus.
Die Europäische Zentralbank bekämpft die Inflation durch höhere Zinsen. Würde der Staat mit kreditfinanzierten Ausgaben die Wirtschaft anschieben wollen, so würden wir die Politik der Notenbank konterkarieren: Während die Geldpolitik bremst, würde die staatliche Fiskalpolitik Gas geben. In der Folge würden die Zinsen weiter steigen, die schädlichen realwirtschaftlichen Nebeneffekte, die wir gerade etwa in der Baukonjunktur sehen, würden verschärft.
Nicht umsonst raten daher alle internationalen Finanzinstitutionen und die Europäische Kommission zu der moderat restriktiven Finanzpolitik, die die Bundesregierung verfolgt. Ein zusätzlicher Konjunkturimpuls hingegen würde bei angebotsseitigen Einschränkungen tendenziell nur private Aktivitäten verdrängen und die Preise erhöhen.
Er ist eine Überlebensfrage der Menschheit. Für ihn werden wir die Art unseres Lebens und Wirtschaftens nachhaltig verändern müssen. Die sogenannte »Transformation« wird deshalb vielfach bemüht, um die Schuldenbremse aufzuheben und so Finanzhilfen und Subventionen bezahlen zu können.
Der Schuldenstand unseres Staates in Euro und Cent ist nicht entscheidend. Wichtig ist das Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung. Genauer gesagt, entscheidet über die langfristige Tragfähigkeit von Staatsschulden vor allem die Entwicklung der Bevölkerung, der Produktivität, der Produktionskapazität und somit des Potentialwachstums. Der Umbau der Volkswirtschaft zur Klimaneutralität muss aber nicht zwingend positiv auf diese Faktoren wirken. Im Gegenteil: Wenn ein hochmodernes und im globalen Vergleich effizientes Kohlekraftwerk vorzeitig durch ein staatlich hochsubventioniertes Wasserstoffkraftwerk ersetzt wird, dann steigt der Schuldenstand des Staates, aber nicht das Potentialwachstum. Mithin verschlechtert sich die Schuldentragfähigkeit. In der Folge wachsen die fiskalischen Risiken – und die Zinsen wiegen schwerer.
Natürlich sind gezielte staatliche Finanzhilfen in transformativen Bereichen erforderlich. Sie sollten allerdings im Rahmen der Schuldenbremse ermöglicht werden. Grundsätzlich ist es nicht ratsam, alle Veränderungsprozesse am grünen Tisch mit staatlichen Plänen steuern und über Subventionen finanzieren zu wollen. Wir sollten stärker auf marktwirtschaftlichen Ideenwettbewerb und Erfindergeist setzen und darauf vertrauen, dass dadurch der Klimaschutz beschleunigt wird. Der CO₂-Emissionshandel ist das richtige Instrument, um deren Kraft in den Dienst der natürlichen Lebensgrundlagen zu stellen.
In einer alternden Gesellschaft, die großen Herausforderungen gegenübersteht, etwa durch geopolitische Veränderungen oder ambitionierten Klimaschutz, wird es schwer, die Wertschöpfung hochzuhalten. Umso mehr wiegt die Last der Staatsverschuldung auf den Schultern einer geringeren Zahl an wirtschaftlich aktiven Menschen. Sie würde schwerer wiegen als heute oder in der Vergangenheit.