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17.09.2022 - 09:22VOGEL-Gastbeitrag: Wir brauchen einen China-Stresstest
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel schrieb für "ZEIT Online" den folgenden Gastbeitrag:
Usbekistan bietet derzeit die Bühne, auf der sich Wladimir Putin und Xi Jinping die Hand reichen – also die Bühne für das Symbolbild unserer Zeit. Vielleicht hilft uns diese Verbildlichung dabei, den neuen Systemwettbewerb und die strategischen Herausforderungen zu erkennen, vor denen wir stehen. Denn viel zu lange hatten wir die Augen verschlossen. Als westliche Demokratien müssen wir uns aber diesem Systemwettbewerb ganz neuer Art endlich mit ausreichend strategischer Tiefe stellen.
Wir haben zugelassen, dass wir in Rohstoff- und vor allem Energiefragen so abhängig von Russland sind, dass der Gashahn zur Waffe für einen Angriff auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land werden konnte. Die deutsche Energiepolitik war zudem in den Augen Putins ohne Frage nützlich und dürfte im Kreml eine Rolle gespielt haben bei der Entscheidung zum Angriffskrieg gegen die Ukraine – bereits letztes Jahr wurden ja auch durch Gazprom die Speicher in Deutschland systematisch geleert, wie wir heute wissen. Um unsere Freiheit und Unabhängigkeit zu schützen, müssen wir jetzt handeln.
Wir müssen das Momentum nutzen, dass sich die Ukrainerinnen und Ukrainer im wahrsten Sinne erkämpft haben. Die Ukraine muss den Krieg um ihr Territorium gewinnen und Putin so zum Frieden zwingen. Unsere Aufgabe ist es, die Ukraine dabei zu unterstützen – mit der Lieferung weiterer schwerer Waffen, auch abseits des zähen Ringtausches. Das schließt die Panzer Marder und Fuchs nach meiner Überzeugung ausdrücklich ein.
Das Schauspiel auf usbekischer Bühne hat aber neben Putin noch einen zweiten Darsteller. Mit Blick auf den chinesischen Präsidenten Xi Jinping muss es uns eine Lehre sein, dass uns Versäumnisse in der Krise bitter einholen. Deswegen dürfen wir neben den dringenden auch die langfristig wichtigen Fragen nicht aus dem Blick verlieren, wie es die letzten Jahre viel zu oft passiert ist. Anders gesagt: Nach Putin kommt Xi – und daraus müssen wir nationale, europäische und globale Konsequenzen ziehen.
Erstens: Sind wir in Deutschland auf den Systemwettbewerb mit China vorbereitet? Produktions- und Lieferketten, Rohstoffe, Infrastruktur – die Liste der Verflechtungen und Abhängigkeiten lässt sich lange fortsetzen. Zu Recht warnen Wirtschaftsvertreter, dass die Verflechtungen weit umfassender sind als mit Russland. Umso mehr brauchen wir aber eine ehrliche Bestandsaufnahme, die sich vor allem die Frage stellt: Welche Verflechtung ist sicherheitspolitisch relevant und welche nicht? Hier muss der Fokus auf konkreten Abhängigkeiten liegen, insbesondere auf unmittelbaren Gefahren für unsere Infrastruktur. In deutschen Kommunikationsnetzen stecken allerlei chinesische Komponenten. Zumindest für die neue Generation 5G wurde dem gerade noch rechtzeitig entgegengewirkt. Solche Feststellungen sind kein Anlass zur Panik, aber zur kritischen Prüfung und Vorbereitung. Denn sonst wird wie bei der Gaspipeline die "jährlichen Wartung" zur Chiffre neuer Bedrohungen – nur dass wir nicht auf die Reaktion in Moskau, sondern in Peking warten. Wir brauchen deswegen einen China-Stresstest, und zwar bald.
Zweitens: Der Einschlag von russischen Raketen auf europäischem Boden hat ein Beben ausgelöst, das die Menschen auf unserem Kontinent erschüttert und aufgeweckt hat. Die Europäische Union als großartiges Friedensprojekt ist vielen so nah wie nie zuvor. Damit die Europäische Union im Wettbewerb der Systeme mitreden kann, braucht sie eine klare und laute Stimme. Diese Stimme hat wegen des Krieges Wladimir Putin zum Glück zu hören bekommen. Diese Stimme sollte aber zukünftig auch bis zu Xi Jinping schallen. Dafür muss Europa sich aber außen- und sicherheitspolitisch Gehör verschaffen. Das Einstimmigkeitsprinzip bei Entscheidungen in der Europäischen Union muss dafür fallen. Für die Zukunft brauchen wir eine gemeinsame, schlüssige und robuste Sicherheitspolitik. Mit Schweden und Finnland treten zwei militärisch gut gerüstete, ehemals neutrale Staaten der Nato bei. Dieser Schritt muss auch ein Impuls für die europäische Sicherheitspolitik werden.
Drittens: Grundsätzlich kann die Antwort auf die systemischen Herausforderungen nur durch ein viel engeres Zusammenrücken der marktwirtschaftlichen Demokratien auf der ganzen Welt gelingen. Wir müssen gerade jetzt eine weitere Freihandelsoffensive auf den Weg bringen und Handel und Investitionen mit politisch freien Weltregionen um den Atlantik wie den Pazifik stärken – und so auf Basis einer außenwirtschaftlichen Beyond-China-Strategie Abhängigkeiten vom chinesischen Markt verringern. Darüber hinausgehend müssen wir vor allem eine Leerstelle in der internationalen Zusammenarbeit schließen. Denn wo kommen Länder zusammen, die zwar geografisch weit auseinander-, politisch aber nah zusammenliegen? Kanada und Südkorea, Estland und Japan, Australien und Portugal – die Liste ist lang. Wir brauchen einen organisatorischen Rahmen, ein Forum für diese Staaten – für alle marktwirtschaftlichen Demokratien der Welt. Ein solches Forum brächte weit mehr hervor als Gruppenfotos, es könnte der Freiheitsanker im pazifischen Jahrhundert werden. Die Eintrittskarte in diese Organisation muss deswegen ein gelebtes Bekenntnis zur Unteilbarkeit der Freiheit sein. Dann kann daraus eine "Demokratische Allianz" erwachsen, die eine echte Antwort auf das ist, was sich in Usbekistan dieser Tage zeigt.
VOGEL-Gastbeitrag: Wir brauchen einen China-Stresstest
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Johannes Vogel schrieb für "ZEIT Online" den folgenden Gastbeitrag:
Usbekistan bietet derzeit die Bühne, auf der sich Wladimir Putin und Xi Jinping die Hand reichen – also die Bühne für das Symbolbild unserer Zeit. Vielleicht hilft uns diese Verbildlichung dabei, den neuen Systemwettbewerb und die strategischen Herausforderungen zu erkennen, vor denen wir stehen. Denn viel zu lange hatten wir die Augen verschlossen. Als westliche Demokratien müssen wir uns aber diesem Systemwettbewerb ganz neuer Art endlich mit ausreichend strategischer Tiefe stellen.
Wir haben zugelassen, dass wir in Rohstoff- und vor allem Energiefragen so abhängig von Russland sind, dass der Gashahn zur Waffe für einen Angriff auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land werden konnte. Die deutsche Energiepolitik war zudem in den Augen Putins ohne Frage nützlich und dürfte im Kreml eine Rolle gespielt haben bei der Entscheidung zum Angriffskrieg gegen die Ukraine – bereits letztes Jahr wurden ja auch durch Gazprom die Speicher in Deutschland systematisch geleert, wie wir heute wissen. Um unsere Freiheit und Unabhängigkeit zu schützen, müssen wir jetzt handeln.
Wir müssen das Momentum nutzen, dass sich die Ukrainerinnen und Ukrainer im wahrsten Sinne erkämpft haben. Die Ukraine muss den Krieg um ihr Territorium gewinnen und Putin so zum Frieden zwingen. Unsere Aufgabe ist es, die Ukraine dabei zu unterstützen – mit der Lieferung weiterer schwerer Waffen, auch abseits des zähen Ringtausches. Das schließt die Panzer Marder und Fuchs nach meiner Überzeugung ausdrücklich ein.
Das Schauspiel auf usbekischer Bühne hat aber neben Putin noch einen zweiten Darsteller. Mit Blick auf den chinesischen Präsidenten Xi Jinping muss es uns eine Lehre sein, dass uns Versäumnisse in der Krise bitter einholen. Deswegen dürfen wir neben den dringenden auch die langfristig wichtigen Fragen nicht aus dem Blick verlieren, wie es die letzten Jahre viel zu oft passiert ist. Anders gesagt: Nach Putin kommt Xi – und daraus müssen wir nationale, europäische und globale Konsequenzen ziehen.
Erstens: Sind wir in Deutschland auf den Systemwettbewerb mit China vorbereitet? Produktions- und Lieferketten, Rohstoffe, Infrastruktur – die Liste der Verflechtungen und Abhängigkeiten lässt sich lange fortsetzen. Zu Recht warnen Wirtschaftsvertreter, dass die Verflechtungen weit umfassender sind als mit Russland. Umso mehr brauchen wir aber eine ehrliche Bestandsaufnahme, die sich vor allem die Frage stellt: Welche Verflechtung ist sicherheitspolitisch relevant und welche nicht? Hier muss der Fokus auf konkreten Abhängigkeiten liegen, insbesondere auf unmittelbaren Gefahren für unsere Infrastruktur. In deutschen Kommunikationsnetzen stecken allerlei chinesische Komponenten. Zumindest für die neue Generation 5G wurde dem gerade noch rechtzeitig entgegengewirkt. Solche Feststellungen sind kein Anlass zur Panik, aber zur kritischen Prüfung und Vorbereitung. Denn sonst wird wie bei der Gaspipeline die "jährlichen Wartung" zur Chiffre neuer Bedrohungen – nur dass wir nicht auf die Reaktion in Moskau, sondern in Peking warten. Wir brauchen deswegen einen China-Stresstest, und zwar bald.
Zweitens: Der Einschlag von russischen Raketen auf europäischem Boden hat ein Beben ausgelöst, das die Menschen auf unserem Kontinent erschüttert und aufgeweckt hat. Die Europäische Union als großartiges Friedensprojekt ist vielen so nah wie nie zuvor. Damit die Europäische Union im Wettbewerb der Systeme mitreden kann, braucht sie eine klare und laute Stimme. Diese Stimme hat wegen des Krieges Wladimir Putin zum Glück zu hören bekommen. Diese Stimme sollte aber zukünftig auch bis zu Xi Jinping schallen. Dafür muss Europa sich aber außen- und sicherheitspolitisch Gehör verschaffen. Das Einstimmigkeitsprinzip bei Entscheidungen in der Europäischen Union muss dafür fallen. Für die Zukunft brauchen wir eine gemeinsame, schlüssige und robuste Sicherheitspolitik. Mit Schweden und Finnland treten zwei militärisch gut gerüstete, ehemals neutrale Staaten der Nato bei. Dieser Schritt muss auch ein Impuls für die europäische Sicherheitspolitik werden.
Drittens: Grundsätzlich kann die Antwort auf die systemischen Herausforderungen nur durch ein viel engeres Zusammenrücken der marktwirtschaftlichen Demokratien auf der ganzen Welt gelingen. Wir müssen gerade jetzt eine weitere Freihandelsoffensive auf den Weg bringen und Handel und Investitionen mit politisch freien Weltregionen um den Atlantik wie den Pazifik stärken – und so auf Basis einer außenwirtschaftlichen Beyond-China-Strategie Abhängigkeiten vom chinesischen Markt verringern. Darüber hinausgehend müssen wir vor allem eine Leerstelle in der internationalen Zusammenarbeit schließen. Denn wo kommen Länder zusammen, die zwar geografisch weit auseinander-, politisch aber nah zusammenliegen? Kanada und Südkorea, Estland und Japan, Australien und Portugal – die Liste ist lang. Wir brauchen einen organisatorischen Rahmen, ein Forum für diese Staaten – für alle marktwirtschaftlichen Demokratien der Welt. Ein solches Forum brächte weit mehr hervor als Gruppenfotos, es könnte der Freiheitsanker im pazifischen Jahrhundert werden. Die Eintrittskarte in diese Organisation muss deswegen ein gelebtes Bekenntnis zur Unteilbarkeit der Freiheit sein. Dann kann daraus eine "Demokratische Allianz" erwachsen, die eine echte Antwort auf das ist, was sich in Usbekistan dieser Tage zeigt.