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10.02.2022 - 10:20STARK-WATZINGER-Interview: Es wäre falsch, die Schulen noch einmal zu schließen
FDP-Präsidiumsmitglied Bettina Stark-Watzinger gab der „Rheinischen Post“ (Donnerstag-Ausgabe) und „RP Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Jan Drebes und Kerstin Münstermann:
Frage: Frau Stark-Watzinger, Sie sind Mutter von zwei Kindern. Versündigen wir uns in der Pandemie an der jüngeren Generation?
Stark-Watzinger: Die Belastung für Kinder, Jugendliche, Studierende und ihre Familien ist immens. Zum einen durch den Bildungsausfall, aber auch die Einschränkungen des sozialen Lebens. Wir müssen nach den Erfahrungen der ersten Wellen und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts alles unternehmen, um das Recht auf Bildung zu gewährleisten.
Frage: Braucht es eine Form von Anerkennung für die Solidarität der Jüngsten?
Stark-Watzinger: Mein Eindruck ist, dass sich junge Menschen vor allem sichere und moderne Schulen wünschen. Da wäre zum Beispiel mit mehr Luftfiltern viel geholfen. Und die Digitalisierung muss endlich so funktionieren, dass es zu keinem Bildungsausfall mehr kommt und individuelleres Lernen möglich wird.
Frage: Haben Sie sich schon mit #WirWerdenLaut getroffen? Die Schülervertreter baten um ein Gespräch.
Stark-Watzinger: Noch nicht, aber ich habe ein konkretes Gesprächsangebot für Ende dieser Woche gemacht. Bereits stattgefunden hat ein Gespräch mit der Bundesschülerkonferenz.
Frage: Wie bewerten Sie deren Forderungen? Omikron rauscht durch die Schulen, es wirkt, als hätte man den Kampf aufgegeben.
Stark-Watzinger: Ich verstehe, dass die Infektionsdynamik und kurzfristige Entscheidungen, wie etwa die Aussetzung der Präsenzpflicht in Berlin, zu Verunsicherungen führt. Ich wünsche mir im Interesse aller eine bessere Kommunikation und Planbarkeit. Die Frage des Präsenzunterrichts sehe ich jedoch anders als die Initiative. Durch regelmäßiges Testen, konsequentes Maske tragen und konsequent angewandte Hygieneregeln kann ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet werden. Es braucht zudem mehr niedrigschwellige Impfangebote an Schulen.
Frage: Sie haben die Präsenzpflicht an Schulen als hohes Gut bezeichnet. Was heißt das?
Stark-Watzinger: Es wäre falsch, die Schulen noch einmal zu schließen. Denn die Auswirkungen sind fatal. Es würden weitere Lernlücken entstehen und sozial benachteiligte Schüler weiter abgehängt. Präsenzunterricht ist eine Frage der Chancengerechtigkeit. Zudem sind digitale Angebote noch nicht ausreichend vorhanden.
Frage: Sie haben das Testen angesprochen – die neue Verordnung ist noch nicht da. Was soll denn Ihrer Ansicht nach an Schulen gelten?
Stark-Watzinger: Es muss schnell ein verbindlicher Mindeststandard festgelegt werden, damit die Schulen rechtssicher handeln können. Und damit auch die Familien Sicherheit haben.
Frage: Sollten Schüler, Studierende und Lehrkräfte bei PCR-Tests priorisiert werden?
Stark-Watzinger: Die Pandemie hat gezeigt, dass Bildungseinrichtungen zur kritischen Infrastruktur gehören. Ich habe daher gegenüber dem Bundesgesundheitsminister und im Kabinett sehr deutlich gemacht, dass auch Schulen und somit Schüler und Lehrpersonal priorisiert werden sollten. Es ist schon einmal gut, dass der Anspruch auf einen PCR-Test für alle erhalten bleibt.
Frage: Braucht es eine einrichtungsbezogene Impfplicht auch für Lehrende?
Stark-Watzinger: Die Impfbereitschaft bei den Lehrerinnen und Lehrern ist schon sehr hoch. Sie gehen mit gutem Vorbild voran.
Frage: Wird die allgemeine Impfplicht kommen?
Stark-Watzinger: Es ist zunächst einmal gut, dass wir im Bundestag anhand von Gruppenanträgen beraten, die aus der Mitte des Parlaments kommen. Es gilt gut abzuwägen zwischen dem Freiheitseingriff und dem Gesundheitsschutz.
Frage: Haben Sie sich schon festgelegt?
Stark-Watzinger Nein, aber ich sehe eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren kritisch. Wir sollten das mildeste Mittel wählen, um Menschenleben zu schützen und die Pandemie nachhaltig hinter uns lassen. Ich neige zu einer Impfplicht ab 50 Jahren, wenn es keine verfassungsrechtlichen Bedenken gibt.
Frage: Ist die Union noch im Boot?
Stark-Watzinger: Ich bedaure sehr, dass die Union aus dem Thema parteipolitisches Kapital schlagen will. Ministerpräsident Söder hat als einer der Ersten vehement für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht plädiert. Jetzt weigert er sich, sie umzusetzen. Das ist unerhört. Der Schutz vulnerabler Gruppen muss höchste Priorität haben.
Frage: Wie ist Ihre Meinung zu der aktuellen Lockerungsdebatte?
Stark-Watzinger: Es ist gut, dass erste Lockerungen im Einzelhandel stattfinden. Wir müssen schon jetzt weitere Öffnungsschritte planen und dies gut kommunizieren. Gleichzeitig müssen wir spätestens den Sommer dazu nutzen, um uns gut auf den Herbst vorzubereiten. So müssen wir zum Beispiel überprüfen, ob das Geld für Luftfilter an Schulen und auch den Digitalpakt abgerufen wurde.
Frage: Hat RKI-Chef Wieler noch ihr Vertrauen?
Stark-Watzinger: Die Kommunikation beim Genesenen-Status war sehr unglücklich und hat zur Verunsicherung beigetragen. Deswegen muss der Bundesgesundheitsminister sicherstellen, dass so etwas nicht noch einmal passieren kann.
Frage: Muss Herr Wieler zurücktreten?
Stark-Watzinger: Das muss der Bundesgesundheitsminister entscheiden. Aber es wurde viel Vertrauen verspielt.
Frage: Auch an den Unis hat die Pandemie verheerende Folgen. Haben die Studierenden später am Arbeitsmarkt Folgen zu befürchten?
Stark-Watzinger: Studierende haben ebenfalls stark unter der Pandemie gelitten, aber sie können besser mit der Situation umgehen. Bei den Schülerinnen und Schülern wird es lange dauern, die großen Lernlücken auszugleichen. Manche von ihnen wurden gar nicht mehr erreicht. Da braucht es neben dem Corona-Aufholprogramm auch das Startchancen-Programm, mit dem 4000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler besonders gefördert werden sollen.
Frage: Erwägen Sie den Wegfall von Ferien, um Unterricht nachholen zu können?
Stark-Watzinger: Wichtig ist, dass man nachhaltig hilft. Sommercamps sind gut, aber sie reichen natürlich nicht aus. Deshalb müssen wir die Schulen grundsätzlich besser aufstellen, etwa was die digitale Bildung angeht.
Frage: Ein Flaschenhals beim Klimaschutz und der industriellen Transformation sind die fehlenden Fachkräfte. Was wollen Sie tun, um die Ausbildung zu boostern?
Stark-Watzinger: Wir brauchen ein einfaches, modernes Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Ich denke dabei an ein Punktemodell etwa nach dem Vorbild von Kanada. Auch braucht es die schnellere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und die Möglichkeit zur Nachqualifikation. Wir sollten durch zusätzliche Maßnahmen versuchen, die vielen ausländischen Studierenden naturwissenschaftlicher Fächer bei uns im Land zu halten. Und wir brauchen eine Exzellenzinitiative in der beruflichen Bildung, um diese attraktiver zu machen. Dazu gehört das Öffnen von Begabtenförderwerken auch für die berufliche Bildung, um den Austausch untereinander zu fördern. Für die große Herausforderung der klimagerechten Transformation der Wirtschaft braucht es schließlich nicht nur Akademiker.
STARK-WATZINGER-Interview: Es wäre falsch, die Schulen noch einmal zu schließen
FDP-Präsidiumsmitglied Bettina Stark-Watzinger gab der „Rheinischen Post“ (Donnerstag-Ausgabe) und „RP Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellten Jan Drebes und Kerstin Münstermann:
Frage: Frau Stark-Watzinger, Sie sind Mutter von zwei Kindern. Versündigen wir uns in der Pandemie an der jüngeren Generation?
Stark-Watzinger: Die Belastung für Kinder, Jugendliche, Studierende und ihre Familien ist immens. Zum einen durch den Bildungsausfall, aber auch die Einschränkungen des sozialen Lebens. Wir müssen nach den Erfahrungen der ersten Wellen und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts alles unternehmen, um das Recht auf Bildung zu gewährleisten.
Frage: Braucht es eine Form von Anerkennung für die Solidarität der Jüngsten?
Stark-Watzinger: Mein Eindruck ist, dass sich junge Menschen vor allem sichere und moderne Schulen wünschen. Da wäre zum Beispiel mit mehr Luftfiltern viel geholfen. Und die Digitalisierung muss endlich so funktionieren, dass es zu keinem Bildungsausfall mehr kommt und individuelleres Lernen möglich wird.
Frage: Haben Sie sich schon mit #WirWerdenLaut getroffen? Die Schülervertreter baten um ein Gespräch.
Stark-Watzinger: Noch nicht, aber ich habe ein konkretes Gesprächsangebot für Ende dieser Woche gemacht. Bereits stattgefunden hat ein Gespräch mit der Bundesschülerkonferenz.
Frage: Wie bewerten Sie deren Forderungen? Omikron rauscht durch die Schulen, es wirkt, als hätte man den Kampf aufgegeben.
Stark-Watzinger: Ich verstehe, dass die Infektionsdynamik und kurzfristige Entscheidungen, wie etwa die Aussetzung der Präsenzpflicht in Berlin, zu Verunsicherungen führt. Ich wünsche mir im Interesse aller eine bessere Kommunikation und Planbarkeit. Die Frage des Präsenzunterrichts sehe ich jedoch anders als die Initiative. Durch regelmäßiges Testen, konsequentes Maske tragen und konsequent angewandte Hygieneregeln kann ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet werden. Es braucht zudem mehr niedrigschwellige Impfangebote an Schulen.
Frage: Sie haben die Präsenzpflicht an Schulen als hohes Gut bezeichnet. Was heißt das?
Stark-Watzinger: Es wäre falsch, die Schulen noch einmal zu schließen. Denn die Auswirkungen sind fatal. Es würden weitere Lernlücken entstehen und sozial benachteiligte Schüler weiter abgehängt. Präsenzunterricht ist eine Frage der Chancengerechtigkeit. Zudem sind digitale Angebote noch nicht ausreichend vorhanden.
Frage: Sie haben das Testen angesprochen – die neue Verordnung ist noch nicht da. Was soll denn Ihrer Ansicht nach an Schulen gelten?
Stark-Watzinger: Es muss schnell ein verbindlicher Mindeststandard festgelegt werden, damit die Schulen rechtssicher handeln können. Und damit auch die Familien Sicherheit haben.
Frage: Sollten Schüler, Studierende und Lehrkräfte bei PCR-Tests priorisiert werden?
Stark-Watzinger: Die Pandemie hat gezeigt, dass Bildungseinrichtungen zur kritischen Infrastruktur gehören. Ich habe daher gegenüber dem Bundesgesundheitsminister und im Kabinett sehr deutlich gemacht, dass auch Schulen und somit Schüler und Lehrpersonal priorisiert werden sollten. Es ist schon einmal gut, dass der Anspruch auf einen PCR-Test für alle erhalten bleibt.
Frage: Braucht es eine einrichtungsbezogene Impfplicht auch für Lehrende?
Stark-Watzinger: Die Impfbereitschaft bei den Lehrerinnen und Lehrern ist schon sehr hoch. Sie gehen mit gutem Vorbild voran.
Frage: Wird die allgemeine Impfplicht kommen?
Stark-Watzinger: Es ist zunächst einmal gut, dass wir im Bundestag anhand von Gruppenanträgen beraten, die aus der Mitte des Parlaments kommen. Es gilt gut abzuwägen zwischen dem Freiheitseingriff und dem Gesundheitsschutz.
Frage: Haben Sie sich schon festgelegt?
Stark-Watzinger Nein, aber ich sehe eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren kritisch. Wir sollten das mildeste Mittel wählen, um Menschenleben zu schützen und die Pandemie nachhaltig hinter uns lassen. Ich neige zu einer Impfplicht ab 50 Jahren, wenn es keine verfassungsrechtlichen Bedenken gibt.
Frage: Ist die Union noch im Boot?
Stark-Watzinger: Ich bedaure sehr, dass die Union aus dem Thema parteipolitisches Kapital schlagen will. Ministerpräsident Söder hat als einer der Ersten vehement für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht plädiert. Jetzt weigert er sich, sie umzusetzen. Das ist unerhört. Der Schutz vulnerabler Gruppen muss höchste Priorität haben.
Frage: Wie ist Ihre Meinung zu der aktuellen Lockerungsdebatte?
Stark-Watzinger: Es ist gut, dass erste Lockerungen im Einzelhandel stattfinden. Wir müssen schon jetzt weitere Öffnungsschritte planen und dies gut kommunizieren. Gleichzeitig müssen wir spätestens den Sommer dazu nutzen, um uns gut auf den Herbst vorzubereiten. So müssen wir zum Beispiel überprüfen, ob das Geld für Luftfilter an Schulen und auch den Digitalpakt abgerufen wurde.
Frage: Hat RKI-Chef Wieler noch ihr Vertrauen?
Stark-Watzinger: Die Kommunikation beim Genesenen-Status war sehr unglücklich und hat zur Verunsicherung beigetragen. Deswegen muss der Bundesgesundheitsminister sicherstellen, dass so etwas nicht noch einmal passieren kann.
Frage: Muss Herr Wieler zurücktreten?
Stark-Watzinger: Das muss der Bundesgesundheitsminister entscheiden. Aber es wurde viel Vertrauen verspielt.
Frage: Auch an den Unis hat die Pandemie verheerende Folgen. Haben die Studierenden später am Arbeitsmarkt Folgen zu befürchten?
Stark-Watzinger: Studierende haben ebenfalls stark unter der Pandemie gelitten, aber sie können besser mit der Situation umgehen. Bei den Schülerinnen und Schülern wird es lange dauern, die großen Lernlücken auszugleichen. Manche von ihnen wurden gar nicht mehr erreicht. Da braucht es neben dem Corona-Aufholprogramm auch das Startchancen-Programm, mit dem 4000 Schulen mit einem hohen Anteil sozial benachteiligter Schüler besonders gefördert werden sollen.
Frage: Erwägen Sie den Wegfall von Ferien, um Unterricht nachholen zu können?
Stark-Watzinger: Wichtig ist, dass man nachhaltig hilft. Sommercamps sind gut, aber sie reichen natürlich nicht aus. Deshalb müssen wir die Schulen grundsätzlich besser aufstellen, etwa was die digitale Bildung angeht.
Frage: Ein Flaschenhals beim Klimaschutz und der industriellen Transformation sind die fehlenden Fachkräfte. Was wollen Sie tun, um die Ausbildung zu boostern?
Stark-Watzinger: Wir brauchen ein einfaches, modernes Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Ich denke dabei an ein Punktemodell etwa nach dem Vorbild von Kanada. Auch braucht es die schnellere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und die Möglichkeit zur Nachqualifikation. Wir sollten durch zusätzliche Maßnahmen versuchen, die vielen ausländischen Studierenden naturwissenschaftlicher Fächer bei uns im Land zu halten. Und wir brauchen eine Exzellenzinitiative in der beruflichen Bildung, um diese attraktiver zu machen. Dazu gehört das Öffnen von Begabtenförderwerken auch für die berufliche Bildung, um den Austausch untereinander zu fördern. Für die große Herausforderung der klimagerechten Transformation der Wirtschaft braucht es schließlich nicht nur Akademiker.